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LAG Hessen: Kirchenchorleiter muss trotz Austritts aus der katholischen Kirche weiterbeschäftigt werden

Einem Arbeitnehmer kann nicht wegen Kirchenaustritts gekündigt werden, wenn seine Kirchenzugehörigkeit nicht als wesentliche, rechtmäßige, gerechtfertigte und verhältnismäßige berufliche Anforderung angesehen werden kann, Art. 4 Abs. 2 RL 2000/78/EG.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung und einen Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers gegenüber der Beklagten.

Der Kläger ist Chorleiter in einer katholischen Kirchengemeinde. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Arbeitsvertragsordnung für die Beschäftigten im kirchlichen Dienst in der Diözese Limburg (AVO) und die Grundordnung des kirchlichen Dienstes (GrO) Anwendung.

Der Kläger trat aus der katholischen Kirche aus. In einem anschließenden Gespräch mit der Beklagten wurde dem Kläger die Gelegenheit gegeben, seine Entscheidung zu erläutern. Die Beklagte erläuterte dem Kläger die arbeitsrechtlichen Konsequenzen und gab ihm die Möglichkeit seine Entscheidung zu überdenken und wieder einzutreten. Der Kläger lehnte es jedoch ab, wieder einzutreten. Daraufhin kündigte die Beklagte dem Kläger. Nach Erhalt der Kündigung setzte der Kläger seine Tätigkeit als Chorleiter in der Kirchengemeinde fort und erhob Kündigungsschutzklage.

Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam, weil sie ihn wegen seiner Religion diskriminiere. Er stehe dem christlichen Glauben nach wie vor positiv gegenüber. Ein Verbleib in der katholischen Kirche komme für ihn aus Gewissensgründen im Hinblick auf die dort geführte Missbrauchsdebatte jedoch nicht in Betracht. Aus der erfolgten Weiterbeschäftigung ergebe sich, dass die in der Kündigung dargelegten Gründe nicht mehr fortbestünden. Zudem sei zu berücksichtigen, dass in den Stellenausschreibungen der Beklagten die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche nicht zwingend als Einstellungskriterium gefordert werde. Er sei zwar als Chorleiter im Rahmen des Gottesdienstes tätig, nehme aber keine liturgischen Aufgaben wahr. Er sei weder mit dem Verkündigungsauftrag noch mit der Liturgie wesentlich befasst. Seine Tätigkeit unterliege den Weisungen der Kirchenleitung, insbesondere hinsichtlich der Auswahl und Gestaltung der Musikstücke, die den liturgischen und theologischen Erfordernissen entsprechen müssten. Der Chorleiter sei daher eher als ausführender Angestellter anzusehen, dessen Hauptaufgabe die Umsetzung von Vorgaben und nicht deren Gestaltung sei.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass der Austritt aus der katholischen Kirche regelmäßig zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führe, vgl. Art. 7 Abs. 4 GrO. Nur ein wichtiger Grund könne den Austritt aus der katholischen Kirche rechtfertigen. Einen solchen Grund habe der Kläger für seinen Kirchenaustritt nicht benannt. Durch den Austritt habe sich der Kläger aktiv von der katholischen Kirche abgewandt, so dass ein Loyalitätsverstoß des Klägers vorliege, der eine außerordentliche Kündigung rechtfertige. Der Kläger könne den Sendungsauftrag nicht mehr glaubhaft erfüllen. Die Kündigung sei nach § 9 AGG gerechtfertigt. Die Zugehörigkeit des Kirchenchorleiters zur katholischen Kirche stelle eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung des Arbeitgebers dar. Nach dem Selbstverständnis der Kirche sei die Kirchenmusik ein wesentlicher und integraler Bestandteil der Liturgie, der den Zuhörenden einen besonderen Zugang zum Glaubensverständnis ermögliche. Es sei zwar richtig, dass nach der novellierten GrO ab 2022 die Kirchenmitgliedschaft nur noch „in der Regel“ gefordert werde. Entscheidend sei aber auch nach der neuen GrO, ob Mitarbeitende Profilverantwortung übernähmen. Zwar würden notgedrungen auch Chorleiter ohne Kirchenmitgliedschaft eingestellt, für die Frage der Eignung bleibe es aber grundsätzlich beim Erfordernis der Kirchenzugehörigkeit. Der Kläger nehme als Kirchenchorleiter eine repräsentative und damit herausgehobene Stellung innerhalb der Mitarbeitenden der Pfarrei ein. Der Kläger sei im Rahmen seiner Tätigkeit wesentlich mit dem Verkündigungsauftrag und der Liturgie befasst. Die Gestaltung der Liturgie und die gemeinsame Feier des Gottesdienstes mache das Wesen der kirchenmusikalischen Gruppierung in der Pfarrei aus. Der Chorleiter ist derjenige, der für die Umsetzung dieser Funktionen im Kirchenchor leitend und repräsentativ einzutreten hat.

Das Arbeitsgericht (ArbG) Wiesbaden hat der Klage in der ersten Instanz stattgegeben.

Entscheidung

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hessen wies die zulässige Berufung der Kirchengemeinde als unbegründet zurück.

Dem Kläger sei nicht wirksam außerordentlich fristlos gekündigt worden. Hierzu bedürfe es eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB, der nicht vorliege. Die Kündigung verstoße gegen § 7 Abs. 1 AGG, da sie unmittelbar benachteiligend an das Diskriminierungsmerkmal „Religion“ anknüpfe, §§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 2, 3 Abs. 1 AGG. Die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche sei keine gerechtfertigte Anforderung an die persönliche Eignung des Klägers, sodass der Kirchenaustritt auch keine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung darstelle. Die Einbeziehung der GrO in den Arbeitsvertrag sei insoweit unwirksam, als danach der Kirchenaustritt des Arbeitnehmers einen Loyalitätsverstoß darstelle, der grundsätzlich eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertige. Hierbei handele es sich um Beschäftigungs- und Entlassungsbedingungen im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG, die den Kläger gemäß § 7 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG unmittelbar wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligten, ohne dass dies nach § 9 Abs. 2 AGG gerechtfertigt sei. § 9 Abs.  2 AGG sei nämlich europarechtskonform dahingehend auszulegen, dass die Beklagte nicht berechtigt sei, bei der Anforderung eines loyalen Verhaltens im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses Beschäftigte wegen ihrer Konfession oder Konfessionslosigkeit unterschiedlich zu behandeln, es sei denn, die Religion stelle nach der Art der in Rede stehenden beruflichen Tätigkeiten oder den Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung dar, die mit dem Ethos der Einrichtung im Einklang stehe und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspreche. Es unterliege der gerichtlichen Kontrolle, ob eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung vorliege.

„Wesentlich“ sei eine berufliche Anforderung dann, wenn die Zugehörigkeit zu der Religion, auf die sich das Ethos der betreffenden Kirche oder Organisation gründet, wegen der Bedeutung der betreffenden beruflichen Tätigkeit für den Ausdruck dieses Ethos oder für die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts unerlässlich erscheint. Die Anforderung sei „rechtmäßig“, wenn sie nicht der Verfolgung eines dem Ethos oder der Ausübung des Rechts der Kirche oder Organisation auf Autonomie fremden Ziels diene. Eine „gerechtfertigte“ Anforderung setze voraus, dass zum einen die dort genannten Kriterien durch ein innerstaatliches Gericht überprüfbar seien. Zum anderen obliege es der Kirche oder Organisation, die eine berufliche Anforderung aufgestellt hat, im Licht der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls darzutun, dass die geltend gemachte Gefahr einer Beeinträchtigung ihres Ethos oder ihres Rechts auf Autonomie wahrscheinlich und erheblich ist. Schließlich muss die Anforderung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang stehen, was bedeutet, dass die nationalen Gerichte prüfen müssen, ob die Anforderung angemessen ist und nicht über das zur Erreichung des angestrebten Ziels Erforderliche hinausgeht.

Im vorliegenden Fall sahen sowohl das ArbG als auch das LAG in der Konfessionszugehörigkeit des Klägers keine „gerechtfertigte“ berufliche Anforderung. Es sei nicht erkennbar, dass angesichts der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls die Gefahr einer Beeinträchtigung des Ethos der Beklagten wahrscheinlich und erheblich wäre. Auch sei nicht ersichtlich, dass der Kläger aktiv innerhalb der Glaubensgemeinschaft dem Ethos der Beklagten zuwiderarbeite und durch offene Bekundungen den Wertvorstellungen der katholischen Kirche zuwiderhandele. Durch den Kirchenaustritt könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger sich künftig nicht an die Vorgaben der katholischen Kirche im Hinblick auf die Komposition des Gottesdienstes halten werde.

Der Kläger habe zudem einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses, §§ 611, 242 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG. Überwiegende schutzwürdige Interessen der Beklagten, die dem Anspruch des Klägers auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsverfahrens entgegenstünden, stellte das LAG Hessen nicht fest.

Das LAG Hessen hat die Revision zugelassen.

Bewertung

Die Entscheidung des LAG Hessen stellt für die Anwendbarkeit von Art. 7 Abs. 4 GrO bei Kirchenaustritten von Mitarbeitenden des Dritten Weges hohe Hürden auf.

Die Entscheidung ist auch deshalb von besonderer Brisanz, weil der Europäische Gerichtshof (EuGH) aktuell mit der Frage der Vereinbarkeit von Art. 7 Abs. 4 GrO und der Gleichbehandlungsrichtlinie der EU Richtlinie 2000/78/EG und deren Umsetzung im deutschen AGG befasst ist. Die zu erwartenden Auslegungshinweise des EuGHs können noch in der Revision eine Rolle spielen.

Landesarbeitsgericht (LAG) Hessen, Urteil vom 19.11.2024, Az. 4 SLa 127/24

Rechtsprechung

Autor/-in: Laura Weber-Rehtmeyer und Luisa Stermann

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