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BAG: Kündigung einer in der katholischen Schwangerenberatung beschäftigten Sozialpädagogin wegen Kirchenaustritts

Das BAG ersucht den EuGH um Auslegung des Unionsrechts zur Frage, ob ein katholischer Verein einer Arbeitnehmerin kündigen darf, weil sie während des Arbeitsverhältnisses aus der Katholischen Kirche ausgetreten ist.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat den Europäischen Gerichtshof (EuGH) am 1. Februar 2024 zur Auslegung des Unionsrechts zu der Frage angerufen, ob ein der Katholischen Kirche zugeordneter Verein eine Arbeitnehmerin allein deshalb als ungeeignet für eine Tätigkeit ansehen darf, weil sie während des Arbeitsverhältnisses aus der Katholischen Kirche ausgetreten ist, auch wenn grundsätzlich nicht verlangt wird, dass alle bei dem Verein tätigen Arbeitnehmer der Katholischen Kirche angehören. Das Revisionsverfahren wurde bis zur Entscheidung des EuGH über das Vorabentscheidungsverfahren ausgesetzt (BAG, Beschluss vom 01.02.2024, Az. 2 AZR 196/22). 

Im Wortlaut hält das BAG seine Frage allgemeiner und ersucht den EuGH um die Beantwortung der Frage, ob es mit dem Unionsrecht vereinbar sei, wenn eine nationale Regelung vorsieht, dass eine private Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen beruht, von den für sie arbeitenden Personen verlangen kann, während des Arbeitsverhältnisses nicht aus einer bestimmten Kirche auszutreten oder den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses davon abhängig machen darf, dass eine für sie arbeitende Person, die während des Arbeitsverhältnisses aus einer bestimmten Kirche ausgetreten ist, dieser wieder beitritt, wenn sie von den für sie arbeitenden Personen im Übrigen nicht verlangt, dieser Kirche anzugehören und die für sie arbeitende Person sich nicht öffentlich wahrnehmbar kirchenfeindlich betätigt. 

Sachverhalt

Der Vorlagefrage liegt die Kündigungsschutzklage einer Sozialpädagogin zugrunde, die seit dem Jahr 2006 in einer Schwangerenberatungsstelle arbeitete. Der beklagte Trägerverein gehört der Katholischen Kirche an und unterliegt der kirchlichen Aufsicht des Diözesanbischofs.  

Die Klägerin ging im Juni 2013 in Elternzeit und trat im Oktober 2013 aus der Katholischen Kirche aus. Als Grund dafür gab sie später an, dass die Diözese Limburg ein besonderes Kirchgeld erhebe. Dieses betreffe Personen, die mit einem gutverdienenden, nicht katholischen Partner verheiratet seien. Ihre christlichen Werte hätten sich seit dem Austritt nicht verändert. Insbesondere sei es ihr wichtig, in einer Schwangerenberatungsstelle zu arbeiten, die keine Beratungsscheine für den Schwangerschaftsabbruch ausstellt. 

Der Beklagte hatte seit Dezember 2013 Kenntnis von dem Kirchenaustritt der Klägerin. Im Rahmen der Gespräche zur Rückkehr aus der Elternzeit wurde der Kirchenaustritt der Klägerin schon Ende des Jahres 2018 thematisiert. Da der Wiedereintritt der Klägerin ausblieb, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis am 1. Juni 2019 außerordentlich fristlos und hilfsweise ordentlich. 

Gegen die Kündigung erhob die Mitarbeiterin Klage. Dabei führte sie an, dass die Schwangerenberatung konfessionsneutral sei. Außerdem berate sie größtenteils muslimische Frauen und habe ausdrücklich keinen Missionsauftrag. In der Beratungsstelle arbeiteten zu dem Zeitpunkt sechs Sozialpädagogen, von denen vier katholisch und zwei protestantisch waren. Die Klägerin vertritt die Auffassung, wegen ihrer Religion ungerechtfertigt benachteiligt zu sein. 

Der Beklagte ist der Meinung, dass die Klägerin durch ihren Kirchenaustritt schwerwiegend gegen ihre Loyalitätsobliegenheiten verstoßen habe. Der Kirchenaustritt gehöre zu den schwersten Vergehen gegen die Religion und die Einheit der Kirche. Der Beklagte könne daher nicht mehr davon ausgehen, dass die Klägerin sich künftig bei ihrer Beratungstätigkeit vorbehaltlos an den Vorgaben der Katholischen Kirche im Zusammenhang mit den Schwangerschaftsberatungstätigkeiten orientieren werde. Sollte eine Diskriminierung vorliegen, dann sei diese gerechtfertigt. 

Urteil der Vorinstanz

Die Vorinstanzen haben beide Kündigungen des Beklagten für unwirksam gehalten und der Kündigungsschutzklage stattgegeben.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Frankfurt am Main führte dazu aus, die außerordentliche, fristlose Kündigung aus wichtigem Grund sei schon deshalb unwirksam, da sie nicht innerhalb von zwei Wochen erfolgt und damit verfristet sei. Die Frist beginne ab Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen und habe damit im Dezember 2013 begonnen. Die Kündigung am 1. Juni 2019 sei damit signifikant später erfolgt. Dem stehe hier auch nicht der Kündigungsschutz während der Elternzeit der Klägerin entgegen. Der Beklagte werfe der Klägerin hier ein aktives Tun in Form des Kirchenaustritts als Verstoß gegen die Loyalitätspflichten vor, zu deren Einhaltung sich die Klägerin bei Begründung des Arbeitsverhältnisses verpflichtet habe. Ein solcher Loyalitätsverstoß wirke auch während der Elternzeit. Damit hätte der Beklagte die außerordentliche Kündigung schon im Dezember 2013 aussprechen müssen.

Vor allem aber fehle es auch an einem kündigungsrelevanten Verstoß der Klägerin gegen eine vertragliche Loyalitätspflicht. Die Erwartung des Beklagten an die Klägerin, nicht aus der Katholischen Kirche auszutreten, sei nicht berechtigt. Dadurch diskriminiere der Beklagte die Klägerin gegenüber nicht-katholischen Mitarbeitenden ungerechtfertigt wegen ihrer Religion. Die Zugehörigkeit zur Katholischen Kirche stelle keine berechtigte Anforderung des Beklagten an die persönliche Eignung der Klägerin dar. Deswegen sei ein Kirchenaustritt arbeitsrechtlich nicht zu beanstanden. Dass es sich nach der katholischen Glaubenslehre um ein schweres Vergehen gegen den Glauben und die Einheit der Kirche handele, werde nicht übersehen. Es handele sich dabei jedoch um eine innerkirchliche Angelegenheit. Diese sei der Beurteilung durch staatliche Gerichte entzogen. Nicht der Beurteilung der staatlichen Gerichte entzogen sei aber die Frage, ob die Verwirklichung einer bestimmten Glaubenslehre mit dem Recht der Arbeitnehmer vor Diskriminierung geschützt zu werden, kollidiere, und wie diese Kollision aufzulösen sei. 

Erste Einordnung

Das BAG ruft den EuGH mit seiner Vorlage erneut um die Beantwortung hochaktueller Fragen an, die insbesondere auch im Zusammenhang mit den Debatten um das kirchliche Arbeitsrecht im Allgemeinen und die Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Speziellen immer wieder gestellt werden.  

Zwar galt zum Zeitpunkt der hier streitgegenständlichen Kündigung noch die Grundordnung des kirchlichen Dienstes in ihrer alten Fassung. Doch auch nach der neuen, in wesentlichen Punkten liberaleren Grundordnung steht der Austritt aus der Katholischen Kirche einer Weiterbeschäftigung und auch einer Einstellung grundsätzlich entgegen. Je nach Antwort des EuGH könnte hier also indirekt auch die neue Grundordnung und damit ein Kern des kirchlichen Arbeitsrechts auf dem Prüfstand stehen.  

Das Thema ist auch deshalb von besonderer Brisanz, weil der EuGH sich erst kürzlich mit einer sehr ähnlich gelagerten Frage im Zusammenhang mit dem „Hebammen-Fall“ beschäftigt hat. Der EuGH hat in der Sache nicht entschieden, da die der Caritas angeschlossene Beklagte die Revisionsanträge der Klägerin nach der mündlichen Verhandlung vor der Großen Kammer des EuGH anerkannt hatte. Mit Zustellung des Anerkenntnisurteils war auch das Verfahren vor dem BAG abgeschlossen. Damit blieb die Hoffnung auf klärende Antworten zur Vorlagefrage zuletzt vergeblich. 

Die erneute Vorlage dieser Grundsatzfrage birgt das Potential, Klarheit und Rechtssicherheit bezüglich des zugrundeliegenden Themas herzustellen. Es ist daher mit Spannung abzuwarten, auf welche Weise der EuGH die Vorlagefrage beantworten wird.  

Bundesarbeitsgericht (BAG), Beschluss vom 01.02.2024, Az. 2 AZR 196/22

Rechtsprechung

Autor/-in: Yolanda Thau und Laura Weber-Rehtmeyer

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