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BAG: Verdachts­quarantäne während des Urlaubs führt zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs

Müssen sich Arbeitnehmende bzw. Mitarbeitende während des Urlaubs absondern, ohne arbeitsunfähig erkrankt zu sein, wird der Urlaubsanspruch dennoch erfüllt.

Sachverhalt

Die Parteien in diesem und auch in den Parallelverfahren streiten über die Verpflichtung der Beklagten, dem Urlaubskonto des Klägers Urlaub aus dem Jahr 2020 bzw. 2021 nachzugewähren, und in diesem Zusammenhang darüber, ob die Anordnung häuslicher Quarantäne für Zeiträume, für die bereits Urlaub bewilligt war, der Erfüllung dieser Urlaubsansprüche entgegensteht.

In allen Verfahren ordnete die zuständige Behörde während des Urlaubes Absonderung im häuslichen Umfeld an, nachdem zuvor Kontakt zu infizierten Personen bestanden hatte. Keiner der Kläger erkrankte arbeitsunfähig.

Die Vorinstanzen hatten der Klage zunächst teilweise stattgegeben, die Landesarbeitsgerichte entschieden jedoch, dass die Klage unbegründet sei.

Entscheidung

Das BAG hat die vorinstanzlichen Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte bestätigt. Die Klagen sind unbegründet. Der Urlaubsanspruch werde jeweils mit der bezahlten Freistellung von der Arbeit für den beantragten Urlaub erfüllt, vgl. § 362 Abs. 1 BGB. Die Ausnahmevorschrift des § 9 Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG). nach der bei einem Arbeitnehmer, der während des Urlaubs erkrankt, die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Jahresurlaub nicht angerechnet werden, ist weder direkt noch entsprechend anwendbar. Es verbleibe bei dem Grundsatz, dass nach der Festlegung des Urlaubszeitraums eintretende urlaubsstörende Ereignisse in den persönlichen Risikobereich des Arbeitnehmers fallen.

Voraussetzung für die Erfüllung des Urlaubsanspruches sei, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch entsprechende Erklärung von der Arbeitspflicht bezahlt freistelle, vgl. § 11 BUrlG. Der Arbeitgeber schulde bezahlte Freistellung zum Zwecke der Erholung und Entspannung, aber keinen bestimmten „Urlaubserfolg“. Mit der Festlegung des Urlaubszeitraums auf Wunsch des Arbeitnehmers habe der Arbeitgeber bzgl. des Anspruchs auf bezahlte Freistellung alles Erforderliche getan, § 7 Abs 1 BUrlG. Die Arbeitspflicht sei – einvernehmlich – mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben. Wenn später andere arbeitsbefreiende Umstände einträten, könne die Arbeitspflicht nicht nochmals entfallen. Dies falle dann grundsätzlich in die Risikosphäre des Arbeitnehmers. Die bewilligte bezahlte Freistellung erfülle daher den Urlaubsanspruch auch dann, wenn er seine Freizeit infolge nachträglich eintretender urlaubsstörender Ereignisse nicht uneingeschränkt so gestalten könne, wie er sich dies eigentlich vorgestellt habe.

Jedoch sei der Urlaub wegen des späteren Eintritts urlaubsstörender Umstände nachzugewähren, soweit der Gesetzgeber oder die Tarifpartien das Urlaubsrisiko dem Arbeitgeber auferlegt hätten. Im streitgegenständlichen Zeitraum 2020 bzw. 2021 habe keine Ausnahmevorschrift gegolten, die das Risiko einer angeordneten häuslichen Quarantäne ohne Vorliegen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit dem Arbeitgeber zugeordnet hätte. Insbesondere der § 9 BUrlG habe dies nicht vorgesehen. Der § 9 BUrlG regelt, dass durch ärztliches Zeugnis nachgewiesene Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den bewilligten Jahresurlaub nicht angerechnet werden. Diese Regelung beruhe auf dem Gedanken, dass ein Arbeitnehmer, der während des Urlaubs erkranke, sich nicht erholen könne. Urlaub und Krankheit schlössen einander aus.

Die Voraussetzungen für eine entsprechende Anwendung des § 9 BUrlG seien ebenfalls nicht gegeben. Dies würde eine planwidrige Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenlage voraussetzen. Hier fehle es bereits aufgrund der Regelung des § 56 Infektionsschutzgesetz (IfSG) an einer Regelungslücke. Der § 56 IfSG stelle eine abschließende Regelung der finanziellen Folgen einer angeordneten Quarantäne dar, wonach keine völlige Absicherung der von der Absonderungsanordnung Betroffenen vorgesehen sei (Billigkeitsregelung). Eine vollständige Gleichstellung mit arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmern sei nicht beabsichtigt, sondern es solle lediglich eine punktuelle Absicherung erfolgen. Es läge aber auch keine vergleichbare Interessenlage vor, da es sich bei der Quarantäne um eine vom Gesundheitszustand unabhängige Präventivmaßnahme des Gesundheitsschutzes handele. Die Quarantäne wirke sich „lediglich“ auf die Bedingungen aus, unter denen der Arbeitnehmer seine Freizeit gestalten könne. Erholung sei aber dennoch möglich.

Bewertung

Das BAG setzt die vorausgegangene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) um, wonach sich aus Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtline (EU) 2003/88 kein Anspruch auf Übertragung von Urlaubstagen ergibt, wenn diese in eine behördlich angeordnete Quarantäne fallen. Sie betrifft jedoch die alte Rechtslage vor dem 17. September 2022. Für Fälle ab dem 17. September 2022 ist im Falle des Zusammentreffens von behördlicher Quarantäne und Urlaub die Quarantänezeit nicht auf den Jahresurlaub anzurechnen, § 59 Abs. 1 IfSG. Für Konfliktfälle aus davorliegenden Zeiträumen ist die Entscheidung aber anwendbar. Es ist daher erfreulich, dass das BAG sich der überzeugenden Aussage des EuGHs zur Risikoverteilung zu Gunsten des Arbeitgebers bzw. Dienstgebers anschließt.

Zu begrüßen ist auch, dass sich das BAG gegen die Auffassung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur weitgehenden entsprechenden Anwendung des § 9 BUrlG positioniert hat. Der BGH habe in seinem Urteil vom 30. November 1978 (AZ. III ZR 43/77) angenommen, dass Ausscheider, Ausscheidungsverdächtige und Ansteckungsverdächtige in ähnlicher Weise betroffen seien wie Kranke. Die Ähnlichkeit dieser Beschränkungen rechtfertigten es, den in § 9 BUrlG enthaltenen Rechtsgedanken auf Fälle der vorliegenden Art mit der Maßgabe anzuwenden, dass im Einzelfall zu prüfen sei, ob durch die Beschränkungen die Gestaltung, die der Betroffene seinem Erholungsurlaub üblicherweise gegeben hätte, tatsächlich erheblich beeinträchtigt worden ist. Dabei gehe der BGH von der Prämisse aus, zu einer echten Erholung gehöre eine Sphäre der Selbstbestimmung und des Lebensgenusses. Dies entspricht jedoch weder der ständigen Rechtsprechung des EuGHs noch der des BAGs.

Im Falle der Krankheit während des genehmigten Urlaubes ist diese Zeit bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 9 BUrlG nicht auf den Jahresurlaub anzurechnen. Vor dem Hintergrund der überzeugenden Entscheidungen des BAGs und des EuGHs ist fraglich, ob die Lastenverteilung bei einer behördlich angeordneten Quarantäne neuerdings doch zu Ungunsten des Arbeitgebers erfolgen sollte. Eine derartige Quarantäne stellt ein Risiko weit außerhalb der Einflusssphäre des Arbeitgebers dar. Dies findet nicht ausreichend Berücksichtigung in der Neuregelung im § 59 IfSG. Denn der Arbeitnehmer ist nicht zwangsläufig durch Quarantäne an der Erholung gehindert. Dem sollte der deutsche Gesetzgeber Rechnung tragen.

Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 28.05.2024, Az. 9 AZR 76/22 u.a.

Rechtsprechung

Autor/-in: Laura Weber-Rehtmeyer

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