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EuGH: Quarantäne ist keine Krankheit – kein Anspruch aus EU-Recht auf Übertragung der Urlaubstage

Aus Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtline (EU) 2003/88 ergibt sich kein Anspruch auf Übertragung von Urlaubstagen, wenn diese in eine behördlich angeordnete Quarantäne fallen. Nach neuer deutscher Rechtslage sind diese Tage jedoch nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) nicht mehr auf den Jahresurlaub anzurechnen.

Sachverhalt

Das Arbeitsgericht (ArbG) Ludwigshafen am Rhein hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine Frage zur Auswirkung einer behördlichen Quarantäne während des Urlaubs auf den Urlaubsanspruch zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der Frage liegt der Streit zwischen dem klagenden Arbeitnehmer und seiner Arbeitgeberin zugrunde. Der Mitarbeiter hatte der für den Zeitraum vom 3. Dezember bis zum 11. Dezember 2020 Urlaub genommen. Am Tag vor Urlaubsbeginn wurde ihm gegenüber behördlich Quarantäne bis einschließlich zum 11. Dezember 2020 angeordnet, Die Beklagte weigerte sich, dem Kläger diesen Urlaub aus dem Jahr 2020 auf das Jahr 2021 zu übertragen. Der Kläger war in dem streitbefangenen Zeitraum nicht ärztlich bescheinigt erkrankt.

Das ArbG hat dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob das in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 verankerte Recht auf bezahlten Jahresurlaub dahingehend auszulegen sei, dass es einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten zur Gewährung von Erholungsurlaub für Arbeitnehmer entgegenstünde, nach denen eine Erfüllung des Urlaubsanspruchs auch dann eintritt, wenn der Arbeitnehmer während des genehmigten Urlaubs von einem unvorhersehbaren Ereignis wie vorliegend einer staatlich angeordneten Quarantäne betroffen und deswegen an der uneingeschränkten Ausübung des Anspruchs gehindert ist.

Entscheidung

Der EuGH hat entschieden, dass Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 dahingehend auszulegen sei, dass er einer nationalen Regelung oder Gepflogenheit nicht entgegenstünde, nach der kein Anspruch darauf bestehe, die Tage bezahlten Jahresurlaubs zu übertragen, die einem Arbeitnehmer, der nicht krank ist, für einen Zeitraum gewährt werden, der mit dem Zeitraum einer Quarantäne zusammenfällt, die wegen eines Kontakts mit einer mit einem Virus infizierten Person behördlich angeordnet wurde.

Zwar handele es sich bei der Quarantänemaßnahme, ebenso wie bei dem Eintreten einer Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit, um ein unvorhersehbares und vom Willen der betroffenen Person unabhängiges Ereignis. Jedoch war der Arbeitnehmer in dem Zeitraum nicht ärztlich bescheinigt arbeitsunfähig. Somit sei ein solcher Arbeitnehmer in einer anderen Lage als ein Arbeitnehmer im Krankheitsurlaub, der unter durch eine Erkrankung hervorgerufenen physischen oder psychischen Beschwerden leidet. Der Zweck des Krankheitsurlaubs und des Urlaubs in Sinne des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 seien deutlich zu unterscheiden. Ersterer diene der Genesung von einer Krankheit und letzterer solle die Erholung des Arbeitnehmers ermöglichen und ihm einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit bieten. Zwar habe die Quarantäne Auswirkungen auf die Bedingungen des Urlaubs und inwieweit der Arbeitnehmer über seine Freizeit verfügen könne, aber es kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie als solche den Anspruch des Arbeitnehmers auf tatsächliche Inanspruchnahme seines bezahlten Jahresurlaubs beeinträchtige. Der Arbeitnehmer dürfe nämlich während des Jahresurlaubs seitens seines Arbeitgebers keiner Verpflichtung unterworfen werden, also derart gestört werden, dass er daran gehindert sein könnte, im Urlaub frei und ohne Unterbrechung seinen eigenen Interessen nachzugehen, um sich von den Auswirkungen der Arbeit zu erholen. Wenn der Arbeitgeber seiner Pflicht nachkomme, den Arbeitnehmer während des Urlaubs nicht zu stören, dann könne er nicht verpflichtet werden, die sich aus einem unvorhersehbaren Ereignis wie einer behördlich angeordneten Quarantäne ergebenden Nachteile auszugleichen und den Jahresurlaub zu übertragen. Die Richtlinie 2003/38 sei nicht derart auszulegen, dass jedes Ereignis, das den Arbeitnehmer daran hindern könnte, den Jahresurlaub uneingeschränkt wie gewünscht zu verbringen, für ihn einen Anspruch auf zusätzlichen Urlaub begründen könne, um den Zweck des Jahresurlaubs zu gewährleisten.

Bewertung

Mit der Entscheidung gibt der EuGH den vielen Arbeitsgerichten in Deutschland recht, die ebenfalls so entschieden. Sie betrifft jedoch die alte Rechtslage vor dem 17. September 2022. Für Fälle ab dem 17. September 2022 ist im Falle des Zusammentreffens von behördlicher Quarantäne und Urlaub die Quarantänezeit nicht auf den Jahresurlaub anzurechnen (§ 59 Abs. 1 IfSG). Für Konfliktfälle aus davorliegenden Zeiträumen ist die Entscheidung aber anwendbar. Es ist erfreulich, dass der EuGH eine überzeugende Aussage zur Risikoverteilung zu Gunsten des Arbeitgebers trifft. Der Arbeitgeber hat, wenn er sich an seine Pflichten hält, nicht alle Risiken bezüglich des Urlaubs seines Arbeitnehmers zu tragen. Es bleibt aber dabei, dass im Falle der Krankheit während des genehmigten Urlaubes, diese Zeit nach § 9 Bundesurlaubsgesetz (BUrlbG) nicht auf den Jahresurlaub anzurechnen ist. Vor dem Hintergrund der überzeugenden Entscheidung des EuGH ist fraglich, ob die Lastenverteilung bei einer behördlich angeordneten Quarantäne zu Ungunsten des Arbeitgebers erfolgen sollte. Eine derartige Quarantäne stellt ein Risiko weit außerhalb der Einflusssphäre des Arbeitgebers dar. Dies findet nicht ausreichend Berücksichtigung in der Neuregelung im IfSG. Denn der Arbeitnehmer ist nicht zwangsläufig durch Quarantäne an der Erholung gehindert. Dem sollte der deutsche Gesetzgeber Rechnung tragen.

Es ist zu erwarten, dass der EuGH in einer ähnlichen Vorlagefrage des BAG (EuGH Az. C-749/22) in ähnlicher Weise entscheiden wird.

Europäischer Gerichtshof (EuGH), Urteil vom 14.12.2023, C-206/22

Rechtsprechung

Autor/-in: Laura Weber-Rehtmeyer

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