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BAG: Keine Entschädigung für AGG-Hopper bei systematischem und zielgerichtetem Vorgehen

Dem Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) kann der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegenstehen. Die Auswertung anonymisierter Entscheidungen anderer Gerichte zur Abwehr einer rechtsmissbräuchlichen Entschädigungsklage kann eine zulässige Datenverarbeitung darstellen.

Sachverhalt

Die Parteien streiten um einen Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung wegen des Geschlechts. Der Kläger ist ein ausgebildeter Industriekaufmann und bewarb sich bei der Beklagten auf deren Stellenanzeige „Bürokauffrau/Sekretärin“ auf der Plattform „Indeed“. Dabei gab er im Lebenslauf, der auf der Plattform hinterlegt war, sieben Jahre Erfahrung als Sekretär an. Konkretere zeitliche Angaben und Nachweise enthielt der Lebenslauf nicht. Die ausgeschriebene Stelle war 170 km vom Wohnort des Klägers entfernt. Im Rahmen des Rechtsstreites ergab sich, dass der Kläger sich bundesweit bei verschiedenen Arbeitgebern auf Stellenausschreibungen für eine „Sekretärin“ beworben und im Nachgang auf erfolgslose Bewerbungen hin Entschädigungsprozesse geführt hatte. Dabei bewarb er sich zunächst nur auf Stellenanzeigen, die auf „ebay Kleinanzeigen“ veröffentlicht wurden, später auch auf Anzeigen im Portal „Indeed“. Der Kläger absolvierte zu diesem Zeitpunkt ein Vollzeitstudium als Fernstudium. Er erhielt auf seine Bewerbung bei der Beklagten keine Rückmeldung. Die Stellenanzeige wurde zwischenzeitlich aus dem Portal gelöscht und die Stelle wurde durch eine Frau besetzt.

Das Arbeitsgericht (ArbG) Dortmund hat die Klage abgewiesen und das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm hat die Berufung zurückgewiesen.

Entscheidung

Die Revision des Klägers zum Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte keinen Erfolg und wurde als unbegründet zurückgewiesen. Wie bereits das LAG Hamm ausgeführt habe, könne es dahinstehen, ob die Voraussetzungen des Entschädigungsanspruches nach § 15 Abs. 2 AGG vorliegen. Dem Anspruch stehe jedenfalls der durchgreifende Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB entgegen.

Das BAG bestätigt das Urteil des LAG Hamm dahingehend, dass dem Entschädigungsanspruch eines abgelehnten Bewerbers nach § 15 Abs. 2 AGG der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegenstehen kann. Da es sich beim Einwand des Rechtsmissbrauchs um einen sog. unbestimmten Rechtsbegriff handelt, könne das BAG die Entscheidung der Vorinstanz nur darauf überprüfen, dass dieser Rechtsbegriff rechtsfehlerfrei angewandt worden sei. Im Ergebnis konnte das BAG keine Rechtsfehler in der Entscheidung des LAG Hamm erkennen. Dieses habe den durchgreifenden Einwand des Rechtsmissbrauchs der Beklagten beanstandungsfrei bejaht.

Rechtsmissbrauch sei anzunehmen, wenn die Bewerbung nicht mit dem Ziel erfolgt sei, die Stelle zu erhalten, sondern um den formalen Status als (klageberechtigter) Bewerber im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG zu erlangen. Durch unredliches Verhalten begründete oder erworbene Rechte oder Rechtspositionen seien grundsätzlich nicht schutzwürdig, § 242 BGB. Allerdings führe nicht jedes rechts- oder pflichtwidrige Verhalten stets oder zumindest regelmäßig zur Unzulässigkeit der Ausübung der dadurch erlangten Rechtsposition. Habe sich der Anspruchsteller die günstige Rechtsposition aber gerade durch ein treuwidriges Verhalten verschafft, liege eine unzulässige Rechtsausübung vor.

Dem Arbeitgeber obliege die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des Einwandes des Rechtsmissbrauchs gegen einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG. Der Arbeitgeber müsse daher Indizien vortragen und im Bestreitensfall beweisen, diese den rechtshindernden Einwand begründen.

Die Rechtsmissbräuchlichkeit des Entschädigungsbegehrens des Klägers ergebe sich im vorliegenden Fall nicht allein daraus, dass das Bewerbungsschreiben sprachlich wenig ansprechend sei, keinen Bezug zur Stellenausschreibung aufweise, der Lebenslauf wenig aussagekräftig sei oder keine Zeugnisse beigefügt worden seien. Daraus lasse sich nicht abschließend ableiten, ob der Bewerber tatsächlich an der Stelle interessiert sei oder nur an der formalen Position des Bewerbers nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG, um Entschädigungsansprüche geltend zu machen. Das LAG Hamm habe den Rechtsmissbrauch ebenfalls zu Recht nicht allein auf die Entfernung von 170 km zwischen Wohnort und ausgeschriebener Stelle gestützt. Auch dies allein könne noch kein Indiz für einen Rechtsmissbrauch sein.

Im Falle des Klägers habe das LAG Hamm aber richtigerweise eine mangelnde Umzugsbereitschaft des Klägers festgestellt, die sich bereits aus den widersprüchlichen Angaben im Bewerbungsschreiben („Ich suche derzeit eine neue Wohnung in ihrem Umkreis bzw. könnte mir einen Umzug sehr gut vorstellen“) und der gleichzeitigen anderen bundesweiten Bewerbungen mit inhaltsgleichen Formulierungen ergebe. Zudem habe der Kläger nicht ausreichend dargelegt, wie das tägliche Pendeln bewältigt werden solle. Hinsichtlich des Pendelns treffe den Kläger eine sekundäre Darlegungslast, nachdem die Beklagte darauf hinwies, dass ein täglicher Arbeitsweg von mehr als 170 km fernliegend sei.

Ein weiteres Indiz könne u.a. das Vollzeit-Fernstudium des Klägers sein. Die Fortsetzung des Studiums allein sei kein objektiver Anhaltspunkt für einen Rechtsmissbrauch. Die Kombination von Vollzeitstudium und Vollzeitbeschäftigung könne viele Ursachen haben. Kämen aber weitere Umstände hinzu, die aus anderen Gründen Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Bewerbung begründeten, könne dem Bewerber zumindest zugemutet werden, darzulegen, wie er sich die Vereinbarkeit von Studium und Erwerbstätigkeit vorstelle.

Das LAG Hamm habe „entscheidend“ – und nach Auffassung des BAG rechtsfehlerfrei – den objektiven Anhaltspunkt für einen Rechtsmissbrauch darin gesehen, dass die Bewerbung des Klägers und seine Entschädigungsklage Teil eines systematischen und zielgerichteten Vorgehens, besser gesagt Teil eines Geschäftsmodells „in zweiter Generation“ gewesen seien, das darauf ausgerichtet sei, durch die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen nach § 15 Abs. 2 AGG bestimmte Einnahmen zu erzielen. Das BAG weist zwar darauf hin, dass ein Rechtsmissbrauch nicht bereits dann angenommen werden könne, wenn jemand eine Vielzahl erfolgloser Bewerbungen verschickt und mehrere Entschädigungsprozesse geführt habe oder führe. Dieses Verhalten könne auch damit erklärt werden, dass ein ernsthaftes Interesse am Erhalt der jeweiligen Stellen bestanden habe, der Bewerber sich entgegen den Vorgaben des AGG diskriminiert fühle und deshalb mit der Klage nach § 15 Abs. 2 AGG in zulässiger Weise seine Rechte nach diesem Gesetz wahrnehme. Daher könne aus früheren rechtsmissbräuchlichen Entschädigungsklagen des Bewerbers nicht ohne weiteres auf die streitgegenständliche Bewerbung geschlossen werden. Es müssten im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, die ausnahmsweise den Schluss auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten rechtfertigten. Hierzu müsse ein systematisches und zielgerichtetes Vorgehen des Bewerbers festgestellt werden, das in der Erwartung betrieben werde, einen ausreichenden „Gewinn“ zu erzielen.

Das LAG Hamm habe seine Annahme, dass es sich bei dem Verhalten des Klägers um ein systematisches Geschäftsmodell „in zweiter Generation“ handele, darauf gestützt, dass sich der Kläger fortlaufend und bundesweit auf nicht geschlechtsneutrale Stellenanzeigen als „Sekretärin“ beworben und nach provozierter Ablehnung Entschädigungsprozesse geführt habe. Der Kläger habe sich zunächst mit weitgehend gleichlautenden Schreiben auf die jeweilige Stelle beworben. Dann aber habe er sein Verhalten den Erkenntnissen aus den Entschädigungsklagen angepasst und die jeweiligen formalen „Fehler“, die von den Arbeitsgerichten als Indiz für Rechtsmissbrauch gewertet worden seien, in den neuen Bewerbungsverfahren abgestellt. So habe er sich zwischenzeitlich nicht nur per E-Mail, sondern zusätzlich per Post beworben und nicht nur „ebay Kleinanzeigen“, sondern auch andere Jobportale wie „Indeed“ genutzt. Bei alledem gehe es dem Kläger erkennbar nur darum, mögliche formale Indizien für einen Rechtsmissbrauch auszuräumen. Er verbessere seine Bewerbungen gerade nicht, um seine Bewerbungschancen zu erhöhen, da er nicht an der inhaltlichen Überzeugungskraft der Bewerbung und der beigefügten Unterlagen arbeite.

Hinsichtlich des von der Beklagten in den Prozess eingeführten früheren sonstigen Bewerbungs- und Prozessverhaltens des Klägers bestehen nach Auffassung des BAG weder ein prozessuales Verwertungsverbot noch datenschutzrechtliche Bedenken. Die Auswertung vollständig anonymisierter Urteile, die dem Kläger vor seiner Einlassung nicht zweifelsfrei zugeordnet werden konnten, und deren Einführung in den Prozess stelle eine rechtmäßige Verarbeitung personenbezogener Daten dar.

Dem Einwand des Rechtsmissbrauchs stehe auch nicht entgegen, dass § 15 AGG einen doppelten Sanktionszweck habe. Danach sollen die betroffenen Arbeitgeber spezialpräventiv zur ordnungsgemäßen Erfüllung ihrer Pflichten nach dem AGG angehalten, aber auch generalpräventiv Dritte von ähnlichen Verstößen abgehalten werden. Der deutsche Gesetzgeber habe sich gegen Bußgelder bei Verstößen gegen das AGG und damit für eine Rechtsdurchsetzung durch Private entschieden. Nach den Bestimmungen des AGG genieße nur derjenige Schutz vor unzulässigen Benachteiligungen, der tatsächlich, d.h. für sich selbst, Schutz vor Benachteiligungen beim Zugang zur Erwerbstätigkeit und beim beruflichen Aufstieg suche.

Das AGG enthält in § 15 AGG zwei unterschiedliche Anspruchsgrundlagen, die bei Vorliegen der Voraussetzungen kumulativ gegenüber Arbeitgebern und Dienstgeberinnen geltend gemacht werden können.

§ 15 Abs. 1 AGG regelt den verschuldensabhängigen Schadensersatzanspruch, § 15 Abs. 2 AGG den verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch für immaterielle Schäden. Ersterer ersetzt erlittene Vermögensschäden, insbesondere entgangene Verdienste wegen Nichteinstellung oder Nichtberücksichtigung bei Beförderungsentscheidungen. Die Schadenersatzhöhe richtet sich nach §§ 249 ff. BGB. Aus dem Schadensersatzanspruch ergibt sich aber kein Anspruch auf Einstellung oder Erhöhung des Entgelts für die Zukunft etc. Der Entschädigungsanspruch ersetzt dagegen immaterielle Schäden, die sich aus der Persönlichkeitsverletzung durch die Benachteiligung ergeben. I.d.R. können ein bis zwei Monatsgehälter geltend gemacht werden.

Als Anspruchssteller können jeweils Beschäftigte sein, also Arbeitnehmer und arbeitnehmerähnliche Personen sowie zu ihrer Berufsbildung Beschäftigte und Bewerber im Sinne des § 6 Abs. 1 AGG. Voraussetzung für beide Ansprüche ist eine Benachteiligung nach § 7 Abs. 1 AGG, d.h. eine Benachteiligung wegen eines in § 1 Abs. 1 AGG aufgeführten Grundes. Gründe danach sind die ethnische Herkunft, das Geschlecht, die Religion oder Weltanschauung, eine Behinderung, das Alters oder die sexuelle Identität. Aus einem dieser Gründe muss die Beschäftigte oder der Beschäftige unmittelbar oder mittelbar eine Benachteiligung erfahren haben. Diese kann sich auch aus einem Unterlassen ergeben. Eine mittelbare Benachteiligung kann gegebenenfalls gerechtfertigt sein, §§ 8 bis 10 AGG. Typische mittelbare Benachteiligungen sind u.a. Anforderungen an die Sprachkenntnisse (ethnische Herkunft.)

Der deutsche Gesetzgeber hat sich dazu entschieden, Verstöße gegen die Diskriminierungsverbote im AGG nicht durch Bußgelder zu sanktionieren. Mit dem Entschädigungsanspruch aus § 15 Abs. 2 AGG setzt der Gesetzgeber vielmehr auf eine andere Art der Abschreckungswirkung. Für Arbeit- oder Dienstgeber ist diese Rechtsgestaltung besonders risikoreich, da sie in Fällen echter oder behaupteter Diskriminierung damit rechnen müssen, sowohl auf Schadensersatzleistungen als auch auf eine Entschädigung hin verklagt zu werden und damit eine doppelte Sanktion erfahren können.

Bewertung

Der Entscheidung ist zuzustimmen. Die hohen Anforderungen des durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwandes zeigen, dass die AGG-konforme Stellenanzeige den besten Schutz gegenüber AGG-Hoppern bietet. Die Auffassung des BAGs zur Auswertung anonymisierter Urteile zur Verteidigung gegen rechtsmissbräuchliche Entschädigungsforderungen nach § 15 Abs. 2 AGG, die vermutlich einem solchen missbräuchlichen Bewerber zuzuordnen sind, ist zu begrüßen. 

Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 19.09.2024, Az. 8 AZR 21/24

Rechtsprechung

Autor/-in: Laura Weber-Rehtmeyer

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