LAG Sachsen: Keine Krankheitsbezüge bei zweifelhafter AU-Bescheinigung
Sachverhalt
Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Der Kläger meldete sich telefonisch wegen Rückenschmerzen krank und bat gleichzeitig um ein Personalgespräch für den nächsten Tag. In diesem Personalgespräch, das in den Räumlichkeiten der Beklagten stattfand, verlangte der Kläger den Abschluss eines Aufhebungsvertrags, um ab der folgenden Woche eine andere Tätigkeit ausüben zu können. Die Beklagte verlangte vor Abschluss des Aufhebungsvertrages die Übergabe eines Projekts durch den Kläger. Daraufhin verließ der Kläger das Büro, ohne dass ein Aufhebungsvertrag geschlossen wurde. Am nächsten Tag legte der Kläger eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, die bereits auf den Vortag datierte. Er kündigte fristgerecht zum 15. des Folgemonats und verabschiedete sich. Die Beklagte forderte ihn daraufhin per E-Mail auf, seine Arbeit bis zum Ende der Kündigungsfrist wieder aufzunehmen. Zudem verlangte sie, dass er seine Arbeitsunfähigkeit nachweist, da sie Zweifel an der Krankheit des Klägers habe, denn er wirkte beim Personalgespräch nicht arbeitsunfähig krank. Der Kläger nahm seine Arbeit nicht wieder auf, sondern legte zwei Arbeitsunfähigkeitsfolgebescheinigungen vor. Danach fiel das Ende der Arbeitsunfähigkeit mit dem Ende der Kündigungsfrist zusammen. Der Kläger entband seine Ärztin darüber hinaus von der ärztlichen Schweigepflicht, um den Nachweis seiner Arbeitsunfähigkeit zu erbringen. In dem von der Ärztin ausgefüllten Fragebogen heißt es, dass bei dem Kläger erstmals am Tag der telefonischen Krankmeldung eine Panikstörung festgestellt worden sei. Die Anamnese sei ausschließlich nonverbal erfolgt. Für den Zeitraum der drei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen leistete die Beklagte keine Entgeltfortzahlung.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger Entgeltfortzahlung für den streitgegenständlichen Zeitraum seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit.
Das Arbeitsgericht (ArbG) Leipzig hat die Klage abgewiesen.
Entscheidung
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Sachsen hat die Berufung des Klägers als unbegründet zurückgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch die beklagte Arbeitgeberin nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG. Der Arbeitnehmer trägt die Darlegungs- und Beweislast bezüglich seiner Arbeitsunfähigkeit, der er in der Regel durch Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Bescheinigung) nachkommt, § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG. Diese hat dabei einen hohen Beweiswert und ist das wichtigste Beweismittel für das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit. Liegt ein ordnungsgemäßer Nachweis für die arbeitsunfähige Erkrankung des Arbeitnehmenden vor, so steht der Arbeitgeberin kein Leistungsverweigerungsrecht zu, § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG. Die Arbeitgeberin kann den hohen Beweiswert der AU-Bescheinigung allerdings dadurch erschüttern, dass sie Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben. Bloßes Bestreiten der Arbeitsunfähigkeit mit Nichtwissen genügt hier allerdings nicht. Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass der Arbeitgeber in der Regel keine Kenntnis über die Krankheitsursachen hat und daher nur Indiztatsachen zur Erschütterung des Beweiswerts der AU-Bescheinigung vortragen kann. Darunter fallen insbesondere Unstimmigkeiten aus dem Sachvortrag des Arbeitnehmers, der AU-Bescheinigung selbst oder aus den Darlegungen des Arztes.
Im Vorliegenden sah das LAG Sachsen den Beweiswert durch mehrere Indizien erschüttert. Die zeitliche Koinzidenz zwischen dem Personalgespräch, in dem der Kläger vergeblich um einen Aufhebungsvertrag gebeten hat, und der anschließenden ärztlichen AU-Bescheinigung ist danach ein erstes Indiz für die Erschütterung des Beweiswerts. Ferner hat er im Personalgespräch bei der Beklagten nicht den Eindruck erweckt, arbeitsunfähig krank zu sein oder gar an einer Panikstörung zu leiden. Diese wurde jedoch von der Ärztin auf den Tag vor dem Gespräch datiert und hätte entsprechend auch während des Gesprächs schon vorgelegen haben müssen. Hinzu kommt, dass das Ende der Kündigungsfrist mit dem Ende der letzten Folge-AU-Bescheinigung übereinstimmt. Zweifel am Beweiswert der Arbeitsunfähigkeit ergeben sich außerdem aus dem Wortlaut der Kündigung. In dieser verabschiedet sich der Kläger abschließend. Zu diesem frühen Zeitpunkt waren die zwei Folge-AU-Bescheinigungen jedoch noch nicht ausgestellt und ein Verlauf der Krankheit nicht abzusehen. Der Kläger signalisiert damit, dass er bereits zu diesem Zeitpunkt nicht die Absicht gehabt hat, seine Arbeit vor Ablauf der Kündigungsfrist wieder aufzunehmen. Vor diesem Hintergrund kommt den AU-Bescheinigungen des Klägers kein Beweiswert mehr zu.
Wegen des erschütterten Beweiswerts der AU-Bescheinigungen oblag dem Kläger die Beweislast, seine Arbeitsunfähigkeit für diesen Zeitraum nachzuweisen. Dieser kann nachgekommen werden, indem ein substantiierter Vortrag, wenn auch laienhaft, über die Symptome, Auswirkungen, Medikation oder andere Beeinträchtigungen gehalten wird, die in dem Zeitraum der Entgeltfortzahlung vorlagen und zu einer Arbeitsunfähigkeit geführt hätten. Der ihm obliegenden Beweislast ist der Kläger nicht nachgekommen. Der Kläger rechtfertigte lediglich den Widerspruch zwischen seinen zunächst genannten Rückenbeschwerden und der später attestierten Panikstörung. Er sei kein Arzt und habe deswegen eine psychische Erkrankung nicht erkannt. Nähere Angaben zur Schwere, Intensität oder Auswirkungen der Rückenschmerzen gab er nicht an. Der Kläger hat, entgegen der Angaben aus dem ärztlichen Fragebogen, vorgetragen, es hätten Gespräche mit seiner Ärztin stattgefunden. Das erste habe 20 bis 30 Minuten gedauert, nachdem er nach dem Personalgespräch eine Panikattacke erlitten hatte. Die attestierte Angststörung ist jedoch auf den Tag vor dem Personalgespräch rückdatiert. Sie bestätigt seine Arbeitsunfähigkeit nicht, weil er an dem Tag nach eigenen Angaben noch nicht bei der Ärztin vorstellig war und die Panikattacke erst nach dem Personalgespräch stattgefunden haben soll. Ein tatsächliches Beschwerdebild konnte er auch für den Zeitraum der bescheinigten Panikstörung nicht beschreiben. Auf die Rückenschmerzen kam er nicht erneut zu sprechen. Letztlich blieben Zweifel an der Krankschreibung.
Bewertung
Der Entscheidung des LAG Sachsen ist zuzustimmen. Das LAG Sachsen schließt sich der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) bezüglich der Beweiswerterschütterung von AU-Bescheinigungen an. Es stellt konsequent auf die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitnehmers ab. Da der Kläger dieser nicht nachkommen konnte, wurde dem Arbeitgeber Recht gegeben.
Besonders zu begrüßen ist, dass die Vorlage einer AU-Bescheinigung auch nach dem vorliegenden Urteil nicht zu einer Umkehr der Beweislast führt, da dem Arbeitgeber solch ein Beweis aufgrund seiner Unkenntnis über die genaueren Umstände der Arbeitsunfähigkeit in der Regel nicht möglich ist.
Genauere Vorgaben zur Vorlage einer AU-Bescheinigung finden sich in Abschnitt XIIa der Anlage 1 zu den AVR Caritas.
Das LAG Sachsen hat die Revision nicht zugelassen.
Landesarbeitsgericht (LAG) Sachsen, Urteil vom 24.10.2024, Az. 4 Sa 43/23
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