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LAG Niedersachsen: Sind Beweisregeln der Zivilprozessordnung mit den Anforderungen der Datenschutzgrundverordnung vereinbar?

Das LAG Niedersachsen hat dem Europäischen Gerichtshof Fragen zur Vereinbarkeit von deutschem Prozessrecht mit der Datenschutzgrundverordnung vorgelegt.

Sachverhalt

Die Klägerin betreibt einen Heizungs- und Klimatechnikbetrieb. Die Beklagte ist mit dem Geschäftsführer der Klägerin verheiratet, wobei die Eheleute in Trennung leben. Das langjährige Arbeitsverhältnis der Beklagten als Büromitarbeiterin endete 2019. Die Beklagte hatte bis zur Trennung weiterhin Zugang zu den Räumlichkeiten des Unternehmens und nutzte die vorhandenen Computer. Nach der Trennung der Eheleute ermittelte die Klägerin durch einen Mitarbeiter (den gemeinsamen Sohn der Beklagten und ihres Ehemanns), dass die Beklagte über die Plattform eBay in insgesamt 195 Fällen Betriebsmittel der Klägerin in eigenem Namen und auf eigene Rechnung verkauft hatte. Wie die Klägerin durch ihren Mitarbeiter Zugang zum eBay-Nutzerkonto der Beklagten erlangte, ist streitig. Die Klägerin behauptet, dies sei durch auf den Betriebscomputern hinterlegte Nutzerdaten geschehen. Die Beklagte ist der Auffassung, dies sei über ihr Handy erfolgt. Das Handy der Beklagten sei auf die Klägerin registriert. Daher sei es dem Mitarbeiter möglich gewesen, über den Mobilfunkanbieter an eine neue PIN für das Handy zu gelangen.

Überlegungen des Gerichts

Für das LAG Niedersachsen steht fest, dass auch Gerichte die DSGVO beachten müssen, wenn sie bei ihrer justiziellen Tätigkeit personenbezogene Daten verarbeiten. Das Gericht ersucht des EuGH nun um Auskunft, welche der Normen der DSGVO auf die gerichtliche Datenverarbeitung anwendbar sind und welche Rechtsgrundsätze von den Gerichten zu beachten sind.
Das LAG Niedersachsen hält es insbesondere für noch nicht hinreichend geklärt, ob die Normen des deutschen Verfahrensrechts hinreichend bestimmt sind, um den Anforderungen der DSGVO zu genügen. Insbesondere sei zu klären, welche Verwertungsverbote bestehen und ob sich Gerichte auf Artikel 17 Abs. 3 Buchst. e DSGVO berufen können.

Das LAG bittet den EuGH daher um Klärung, ob es zutrifft, dass Artikel 6 Abs. 1 Buchst. e DSGVO (Wahrnehmung von Aufgaben in Ausübung öffentlicher Gewalt) und Artikel 9 Abs. 2 Buchst. f DSGVO (Verarbeitung für Handlungen der Gerichte im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit) die maßgeblichen datenschutzrechtlichen Grundlagen für die Tätigkeit der Gerichte darstellen. Ferner möchte das LAG wissen, ob sich die Gerichte darüber hinaus auch auf Artikel 17 Abs. 3 Buchst. e DSGVO (Ausnahme von der Löschpflicht für unrechtmäßig erhobene Daten zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen) als Rechtsgrundlage für ihre eigene gerichtliche Verarbeitungstätigkeit berufen können. Oder ob im Gegenteil nationales Recht als Grundlage für die justizielle Datenverarbeitung erforderlich ist.

Für den Fall, dass nationale Gesetze erforderlich seien, fragt das LAG den EuGH, ob die zivilprozessualen Beweisregeln der §§ 138, 256 und 355 ff. ZPO dem Bestimmtheitsgebot der Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c DSGVO und Artikel 8 Abs. 2 sowie 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) genügen.
Darüber hinaus stellt das Gericht Fragen zu den Anforderungen an die gerichtliche Verarbeitung von Daten, die unzulässigerweise erhoben oder gespeichert oder länger als zulässig gespeichert wurden.

Für das LAG Niedersachen ist die Beantwortung dieser Frage entscheidend für das weitere Vorgehen, namentlich für die Frage, ob und wenn ja unter welchen Voraussetzungen möglicherweise rechtswidrig erlangte Kenntnisse und Beweismittel, die eine Partei in den Rechtsstreit einführt, vom jeweiligen Gericht verwertet werden können.

Bewertung

Diese Vorlagefragen sind auch für Dienstgeber von Interesse. Die Auslegung des EuGH zum Verhältnis von DSGVO und deutschem Prozessrecht hat auch auf Rechtsstreitigkeiten zwischen Dienstgebern und Mitarbeitenden Auswirkung. Auf die Dienstverhältnisse nach den AVR Caritas findet das Kirchliche Datenschutzgesetz (KDG) Anwendung. §§ 6 Abs. 1 Buchst. f, 11 Abs. 2 Buchst. f und 19 Abs. 3 Buchst. e KDG sind regelungsgleich zu Artikel 6 Abs. 1 Buchst. e, Artikel 9 Abs. 2 Buchst. f und Artikel 17 Abs. 3 Buchst. e DSGVO.
Die Vorschriften des KDG müssen nach Artikel 91 DSGVO dasselbe Schutzniveau gewährleisten. Genügt das deutsche Prozessrecht nicht den Anforderungen der DSGVO und der GrCh, genügt das deutsche Prozessrecht auch nicht den Anforderungen nach KDG. Sollte der EuGH zu dem Schluss kommen, dass Informationen, die nach datenschutzrechtlichen Vorgaben unrechtmäßig erhoben wurden, einem gerichtlichen Verwertungsverbot unterliegen, hätten Dienstgeber gegebenenfalls Beweisprobleme für das streitige Verhalten.

Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen, Beschluss vom 08.05.2024, Az. 8 Sa 688/23

Rechtsprechung

Autor/-in: Laura Weber-Rehtmeyer

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