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LAG Mecklenburg-Vorpommern: Keine AGG-Entschädigung wegen Kündigung in Schwangerschaft

Die Diskriminierungsvermutung des AGG bei Kündigungen, die gegen § 17 MuSchG verstoßen, kann widerlegt werden, wenn die Schwangerschaft für die Kündigung nicht von Bedeutung war.

Sachverhalt

Die Klägerin war beim Beklagten seit 2018 als Rechtsanwältin beschäftigt und betreute die Außenstelle einer Kanzlei. Nachdem sie Ende 2020 schwanger und im Mai 2021 arbeitsunfähig wurde, übernahm ein Kollege die sich bereits in Auflösung befindende Außenstelle. Dabei stellte er fest, dass die Klägerin zuvor zahlreiche Dokumente aus elektronischen Akten gelöscht hatte, die jeweils ihren Ehemann und ihre Schwiegermutter betrafen. Der Beklagte schloss daraus, dass die Klägerin Privatakten über die Kanzlei bearbeitet und anschließend gelöscht habe, um diese nicht abrechnen zu müssen. Er kündigte daher das Arbeitsverhältnis fristlos, ohne eine behördliche Zustimmung zur Kündigung der schwangeren Mitarbeiterin einzuholen, die sich bereits im Mutterschutz befand.

Die Klägerin kündigte das Arbeitsverhältnis später selbst und wirksam, verlangte jedoch vom Beklagten eine Entschädigung in Höhe von drei Monatsgehältern. Er habe sie wegen ihres Geschlechts diskriminiert, indem er sie in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Mutterschutz gekündigt habe. Der Beklagte gab an, dass er bei Vorliegen derartiger Pflichtverletzungen jedem Mitarbeiter gekündigt hätte.

Die Vorinstanz hat die Klage abgewiesen.

Entscheidung

Das LAG schloss sich der Vorinstanz an und verneinte einen Entschädigungsanspruch der Klägerin. Die Kündigung der Klägerin habe ihre Ursache nicht in der Schwangerschaft und sei daher keine diskriminierende Maßnahme. Die Missachtung der besonderen Schutzvorschriften des Mutterschutzes bei Erklärung einer Kündigung indiziere zwar eine Benachteiligung der Frau wegen ihrer Schwangerschaft und damit wegen ihres Geschlechts. Der Beklagte habe diese Vermutung hier jedoch widerlegen können, da er hinreichend dargelegt habe, dass die Kündigung ausschließlich auf anderen Gründen beruhe. Gegen eine Diskriminierung spreche es, wenn jeder andere – unabhängig vom Geschlecht oder einer Schwangerschaft – ebenso behandelt worden wäre.

Bewertung

Die Entscheidung des LAG stellt einen der seltenen Fälle dar, in denen die indizierte Benachteiligung bei Kündigungen, die gegen § 17 MuSchG verstoßen, durch den Arbeitgeber widerlegt werden und so ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG ausgeschlossen werden konnte.

Aus gutem Grund sind werdende Mütter im Arbeitsrecht besonders geschützt. So sind Kündigungen während der Schwangerschaft gemäß § 17 MuSchG grundsätzlich unwirksam, wenn keine Zustimmung der jeweils zuständigen Behörde vorliegt. Das Kündigungsverbot besteht, sobald die Dienstnehmerin dem Dienstgeber die Schwangerschaft (generell oder bis spätestens zwei Wochen nach dem Zugang einer Kündigung) mitteilt. Die Behörde stimmt der Kündigung nur in den seltenen Fällen zu, in denen der Dienstgeber belegen kann, dass betriebs- oder verhaltensbedingte Kündigungsgründe vorliegen, die nichts mit der Schwangerschaft zu tun haben.

Unterlässt der Dienstgeber die Einholung der Zustimmung, wird im Rahmen des Entschädigungsanspruchs nach § 15 Abs. 2 S. 1 AGG konsequenterweise angenommen, dass die Kündigung in Zusammenhang mit der Schwangerschaft steht und damit eine Diskriminierung im Sinne des AGG darstellt. Um diese Vermutung zu entkräften, muss der Dienstgeber – wie im vorliegenden Fall – überzeugend darlegen, dass zwischen der Kündigung als benachteiligende Behandlung im Sinne des § 1 AGG und dem Merkmal „Schwangerschaft/Geschlecht“ kein Kausalzusammenhang gegeben ist. Dies ist in der Praxis äußerst selten so eindeutig wie hier zu belegen, da dieser Kausalzusammenhang bereits dann vorliegt, wenn die Schwangerschaft Bestandteil eines Motivbündels ist, das die Kündigungsentscheidung beeinflusst hat. Es muss also weder der vorherrschende Grund noch das Hauptmotiv gewesen sein, eine bloße Mitursächlichkeit genügt.

Das Urteil ändert folglich nichts daran, dass es in der Praxis kaum möglich ist, eine Mitursächlichkeit der Schwangerschaft an einer Kündigung auszuschließen. Scheitert der Dienstgeber mit der entsprechenden Darlegung schon auf der behördlichen Zustimmungsebene, steht allerdings – anders als in den Fällen einer Kündigung ohne die Zustimmung – zumindest noch kein Entschädigungsanspruch gegen ihn im Raum.

Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 16.08.2022, Az. 5 Sa 6/22

Rechtsprechung

Autor/-in: Yolanda Thau

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