LAG Baden-Württemberg: Unzulässige Stellenanzeige „Digital Native“
Sachverhalt
Die Beklagte, ein Sportartikelhändler, hatte über verschiedene Portale eine Position als „MANAGER CORPORATE COMMUNICATIONS (m/w/d)“ ausgeschrieben. In der Stellenanzeige hieß es unter der Überschrift „WIR LIEBEN“ unter anderem: „Als Digital Native fühlst Du Dich in der Welt der Social Media, der Datengetriebenen PR, des Bewegtbilds und allen gängigen Programmen … zu Hause. Du bist ein absoluter Teambuddy…“ Des Weiteren fand sich unter „WIR BIETEN“ unter anderem folgende Formulierung: „Miss dich mit interessanten und herausfordernden Aufgaben in einem dynamischen Team mit attraktiver Vergütung und Chancen zur beruflichen Entwicklung.“ (Hervorhebungen durch den Verfasser). Hierauf bewarb sich der 1972 geborene Kläger, ein Diplom-Wirtschaftsjurist, mit einer Gehaltsvorstellung von 90.000 Euro pro Jahr. Er wurde abgelehnt. Das Arbeitsgericht Heilbronn hat seiner Klage auf Entschädigung gestützt auf das AGG wegen einer Altersdiskriminierung in Höhe von 1,5 Monatsgehältern auf der Basis des tatsächlich erzielbaren Bruttoverdiensts, mithin in Höhe von 7.500 Euro stattgegeben.
Entscheidung
Das LAG hat die hiergegen eingelegte Berufung zurückgewiesen. Der Kläger sei aufgrund seines Alters unmittelbar benachteiligt worden. Mit dem Begriff „Digital Native“ aus der Stellenausschreibung werde unmittelbar an das Lebensalter angeknüpft. Der Begriff „Digital Native“ sei vom Pädagogen Marc Prensky geprägt worden, der 2001 mit diesem Begriff alle Schüler vom Kindergarten bis zum College beschrieb und diese den „Digital Immigrants“ gegenüberstellte. Dem folgend werde – unter anderem im Duden und bei Wikipedia – mit „Digital Native“ eine Person bezeichnet, die mit digitalen Technologien aufgewachsen und in ihrer Benutzung geübt ist. Dem gegenüber stehe der Begriff des „Digital Immigrant“ für jemanden, der die digitale Welt erst im Erwachsenenalter kennengelernt habe. Bei der Verwendung des Begriffs werde somit nicht nur auf die besonderen Fähigkeiten eines „Digital Natives“ im Umgang mit digitalen Technologien abgestellt, sondern vielmehr darauf, dass diejenige Person von klein auf mit digitalen Medien vertraut ist. Insofern könne dem Begriff „Digital Native“ ein Alters- bzw. Generationenbezug nicht abgesprochen werden. Zielgruppe der Stellenanzeige seien Hochschulabsolventen, denen sowohl die englische Sprache als auch die im zuvor genannten Sinne verwendeten Begrifflichkeiten bekannt seien. Die Bezugnahme auf das Lebensalter werde zudem verstärkt durch die Begriffe „Teambuddy“ und „dynamischen Team“, die sich aus der Sicht eines objektiven Lesers ebenfalls an jüngere Bewerber richteten. Es könne schließlich offengelassen werden, ob der Jahrgang 1981 als Beginn der „Digital Natives“ anzunehmen sei. Jahrgänge vor 1980 gehören jedenfalls nicht zu den sog. „Digital Natives“.
Die Diskriminierung sei des Weiteren nicht nach §§ 8, 10 AGG gerechtfertigt gewesen und die nach § 22 AGG gegen die Beklagte sprechende Vermutung einer unmittelbaren Benachteiligung habe nicht widerlegt werden können. Auch ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers liege nicht vor, weder unter dem Aspekt einer vermeintlichen Überqualifizierung noch wegen einer zu hohen Gehaltsvorstellung. Zu Letzterem habe die Ausschreibung keine Angaben zum zu erwartenden Gehalt enthalten.
Bewertung
Die Entscheidung überrascht nicht. Dienstgeber sollten vor diesem Hintergrund Ausschreibungen und im Auswahlprozess insbesondere zweierlei beachten:
Erstens ist auf eine AGG-konforme Formulierung von Stellenausschreibungen zu achten. Im Zweifel sollten unverfängliche Begriffe verwendet werden, auch wenn damit im Einzelfall die Individualität und Werbewirksamkeit einer Stellenanzeige leiden mag. Der Begriff „Digital Native“ sollte vor dem Hintergrund der vorliegenden Entscheidung grundsätzlich vermieden werden. Besondere Vorsicht gilt allgemein für das Verwenden des Begriffs „dynamisch“ (in allen Wortformen). Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) kann je nach konkreter Verwendung bereits dieses Wort zumindest das Indiz einer Altersdiskriminierung begründen, da eine entsprechende Eigenschaft im Allgemeinen eher jüngeren als älteren Menschen zugeschrieben werde. Auch wenn der Begriff – beispielsweise bezogen auf ein Unternehmen als Ganzes – in einer Stellenausschreibung unkritisch sein kann, bestehen bereits aufgrund der jeweils im Einzelfall vorzunehmenden Gesamtwürdigung einer Stellenanzeige nicht unerhebliche Risiken.
Zweitens sollten Auswahlprozess und Auswahlkriterien bei Einstellungen stets dokumentiert werden. Sofern ein Gericht im Einzelfall vom Eingreifen der Vermutung des § 22 AGG ausgehen sollte, kann durch die Dokumentation der Beweis geführt werden, dass die Nichtberücksichtigung eines Bewerbers ausschließlich aus auf nicht in § 1 AGG genannten Gründen erfolgt ist.
Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg, Urteil vom 07.11.2024, Az. 17 Sa 2/24
Rechtsprechung