LAG Baden-Württemberg: Ohne rechtzeitigen Hinweis auf die Betriebsferien kein Verfall des Urlaubsanspruchs
Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Abgeltung von Urlaubsansprüchen der Arbeitnehmerin aus dem Jahr 2019.
Zwischen den Parteien bestand seit dem 3. Februar 1988 ein Arbeitsverhältnis. Der Arbeitnehmerin standen jährlich 30 Urlaubstage zu. Ab dem 21. März 2019 war die Arbeitnehmerin dauerhaft erkrankt. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund einer Eigenkündigung der Arbeitnehmerin am 19. April 2021. Der Urlaubsanspruch aus dem Jahr 2019 wurde bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht erfüllt.
Die Arbeitnehmerin forderte das Unternehmen schriftlich auf, je 30 Tage für die Jahre 2019 und 2020 sowie 7,5 Urlaubstage für das Jahr 2021 abzugelten.
Die Arbeitnehmerin ist der Auffassung, der Urlaubsanspruch für das Jahr 2019 im Umfang von 30 Tagen sei nicht erloschen, da ein Hinweis des Unternehmens an sie, den Urlaub zu nehmen, nicht erfolgt sei. Das Unternehmen habe sie vor ihrer Erkrankung nicht aufgefordert, den Urlaub zu nehmen.
Demgegenüber ist das Unternehmen der Auffassung, der Urlaub aus dem Jahr 2019 sei mit Ablauf des 31. März 2021 verfallen. Das Unternehmen gewähre ihren Arbeitnehmern regelmäßig Urlaub von drei Wochen während der Betriebsferien im August. Daher sei ein Hinweis frühestens danach angebracht gewesen, damit die Arbeitnehmer ihre Urlaubsansprüche bis zum Jahresende hätten entsprechend terminieren können.
Das Arbeitsgericht Villingen-Schwenningen gab der Klage in erster Instanz statt.
Entscheidung
Das LAG bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Der Urlaubsanspruch für das Jahr 2019 sei nicht wegen langanhaltender Krankheit der Klägerin verfallen. Das Unternehmen sei nicht seiner Mitwirkungsobliegenheit nachgekommen.
Grundsätzlich ist der Urlaub abzugelten, der wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann (§ 7 Abs. 4 BUrlG). Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung setzt voraus, dass zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch offene Urlaubsansprüche bestehen, die nicht mehr erfüllt werden können, weil das Arbeitsverhältnis beendet ist. Dies ist dann nicht der Fall, wenn sie bereits zuvor am Ende des Bezugszeitraums oder eines zulässigen Übertragungszeitraums verfallen sind.
Ist der Arbeitnehmer infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit daran gehindert, seinen Urlaub bis zum Ende des Urlaubsjahres zu nehmen, kann der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub – bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit – unter besonderen Umständen mit Ablauf des 31. März des zweiten Folgejahres untergehen.
Anders verhält es sich jedoch, wenn der Arbeitnehmer im Urlaubsjahr tatsächlich gearbeitet hat, bevor er krankheitsbedingt arbeitsunfähig geworden ist. In dieser Fallkonstellation kann der Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub nur dann nach Ablauf eines Übertragungszeitraums von 15 Monaten erlöschen, wenn der Arbeitgeber rechtzeitig seiner Mitwirkungsobliegenheit nachgekommen ist. Dazu muss er den Arbeitnehmer auffordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub verfällt, wenn er ihn nicht nimmt. Mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts müsse der Arbeitgeber seiner Verantwortung im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme des Urlaubs unverzüglich nachkommen, um nicht das Risiko zu tragen, dass Urlaub wegen einer im Verlauf des Urlaubsjahres eintretenden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers nicht am Ende von 15 Monaten erlösche.
Da die Arbeitgeberin ihren Hinweispflichten nicht nachgekommen ist, sei mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch für das Jahr 2019 ein Urlaubsabgeltungsanspruch der Arbeitnehmerin entstanden (§ 7 Abs. 4 BUrlG). Denn stehe bereits zu Beginn des Urlaubsjahres fest, dass Betriebsferien durchgeführt würden, umfasse die Mitwirkungsobliegenheit auch den Hinweis hierauf. Die Arbeitgeberin hätte die Arbeitnehmerin daher rechtzeitig vor dem Beginn der Erkrankung auf die geplanten Betriebsferien hinweisen müssen. Da dieser ausdrückliche Hinweis nicht erfolgt sei, reduziere sich der Urlaubsanspruch – und ihm folgend der Urlaubsabgeltungsanspruch – auch nicht um die Tage der Betriebsferien.
Bewertung
Die Entscheidung des LAG BW ist kritisch zu sehen. Das LAG BW sieht selbst dann eine Mitwirkungsobliegenheiten bei der Erfüllung des Urlaubsanspruchs als gegeben an, wenn es in dem Betrieb regelmäßig vom Arbeitgeber festgesetzte Betriebsferien gibt. In einem solchen Fall hätte mit guten Argumenten auch von der Hinweispflicht abgesehen werden können, da Hinweise auf Umstände, die dem Mitarbeiter bestens bekannt sind, zumindest dann entbehrlich sind, wenn sie seit Jahren geübte betriebliche Praxis sind. Die Entscheidung ist damit ein weiterer Beleg für die stetige Verschärfung der Hinweisobliegenheiten durch die Rechtsprechung für Arbeitgeber im Zusammenhang mit Urlaubsansprüchen.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (LAG BW), Urteil vom 11.10.2023 – 10 Sa 23/23
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