Zum Hauptinhalt springen

BAG: Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör bei zu hohen Anforderungen an Substan­tiierungs­pflicht

Überspannt das Gericht die an eine hinreichende Substantiierung zu stellenden Anforderungen und erhebt deswegen einen angebotenen Beweis nicht, stellt dies einen Verstoß gegen Art. 103 I GG dar.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, die Klägerin ausschließlich im Frühdienst einzusetzen. Die Klägerin ist seit 2005 am Empfang des von der Beklagten betriebenen Krankenhauses überwiegend im Frühdienst beschäftigt. Im Januar 2018 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie wolle sie künftig regelmäßig sowohl im Früh- wie auch im Spätdienst einsetzen. Die Klägerin hat behauptet, sie sei aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, im Spätdienst bzw. im Wechsel zwischen Früh- und Spätdienst eingesetzt zu werden. Sie berief sich auf Stellungnahmen der sie behandelnden Ärztinnen. Die Beklagte hat dies mit Verweis auf die Einschätzung ihrer Betriebsärztin bestritten. Das LAG hat den von der Beklagten angebotenen Zeugenbeweise nicht erhoben. Die Beklagte habe nicht dargelegt, auf welchen Tatsachen die Schlussfolgerungen der Betriebsärztin beruhen. Mit ihrer Klage hat die Klägerin ihre Beschäftigung ausschließlich im Frühdienst verlangt. Das ArbG hat dem Antrag stattgegeben. Das LAG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten, die auf die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gestützt wird.

Entscheidung

Das BAG gab der Nichtzulassungsbeschwerde statt. Das LAG habe den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt, indem es von der Vernehmung der von der Beklagten als Zeugin benannten Betriebsärztin absah. Ein Verstoß gegen Art. 103 I GG liege vor, wenn das Gericht die an eine hinreichende Substantiierung zu stellenden Anforderungen überspannt und in der Folge einen angebotenen Beweis zu Unrecht nicht erhebt. Nach § 373 ZPO habe die Partei, die die Vernehmung eines Zeugen beantragen will, den Zeugen zu benennen und die Tatsachen zu bezeichnen, über die dieser vernommen werden soll. Das Gesetz verlangt dagegen nicht, dass der Beweisführer darlegt, welche Anhaltspunkte er für die Richtigkeit der Behauptungen des benannten Zeugen hat. Wie weit eine Partei ihren Sachvortrag substantiieren müsse, hänge von ihrem Kenntnisstand ab. Zur Ermittlung von Umständen, die ihr nicht bekannt seien oder sein können, sei eine Partei im Zivilprozess grundsätzlich nicht verpflichtet.

Die angegriffene Entscheidung des LAG beruhe auch auf diesem Gehörsverstoß. Für die Verletzung des Art. 103 I GG reiche es aus, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass das Berufungsgericht nach Vernehmung der Betriebsärztin zu der Überzeugung (§ 286 ZPO) gelangt wäre, der Einsatz der Klägerin sei auch im Spätdienst bzw. im Wechsel zwischen Früh- und Spätdienst möglich.

Bewertung

Daneben macht das BAG von der Möglichkeit der Zurückverweisung des Rechtsstreits zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG gemäß § 72a VII ArbGG Gebrauch und weist darauf hin, dass die Entbindung der Betriebsärztin von ihrer Schweigepflicht aus der prozessualen Mitwirkungspflicht der Klägerin (§ 139 ZPO) folgt. Sollte die Klägerin dieser Pflicht im fortgesetzten Berufungsverfahren nicht nachkommen, wäre dies jedenfalls im Rahmen der Beweiswürdigung nach § 286 ZPO zu berücksichtigen.

Bundesarbeitsgericht (BAG), Beschluss vom 06.04.2022 - 5 AZN 700/21

Rechtsprechung

Autor/-in: Marc Riede Florido Martins

Aktuelles aus der Rechtsprechung

Melden Sie sich zum Newsletter an

Seien Sie immer einen Schritt voraus:
Erhalten Sie regelmäßig Informationen zu tarifrechtlichen Entwicklungen sowie wichtige Praxishinweise in unserem Dienstgeberbrief!

 

Newsletter abonnieren