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BAG: Verjährung von Urlaubs­ansprüchen / Verfall von Urlaub aus gesund­heitlichen Gründen

Unsere aktuelle Analyse der BAG-Urteile zu Verjährung von Urlaubsansprüchen und Verfall von Urlaub aus gesundheitlichen Gründen

I. Verjährung von Urlaubsansprüchen

Der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) hatte den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mit Beschluss vom 29. September 2020 (Az. 9 AZR 266/20 (A)) ersucht, vorab gemäß Art. 267 AEUV über die Frage zu entscheiden, ob das Unionsrecht die Verjährung des Urlaubsanspruchs nach Ablauf der regelmäßigen Verjährungsfrist gestatte, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht durch entsprechende Aufforderung und Hinweise tatsächlich in die Lage versetzt habe, seinen Urlaubsanspruch auszuüben.

Unter Berücksichtigung der Entscheidung des EuGH vom 22. September 2022 (Az. C-120/21) hat das BAG am heutigen Tage (20. Dezember 2022) geurteilt, dass der gesetzliche Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub der gesetzlichen Verjährung unterliegt, die dreijährige Verjährungsfrist jedoch erst am Ende des Kalenderjahres beginnt, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.

1. Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Abgeltung von Urlaub. Die Klägerin war beim Beklagten vom 1. November 1996 bis zum 31. Juli 2017 als Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin beschäftigt. Sie hatte im Kalenderjahr Anspruch auf 24 Arbeitstage Erholungsurlaub. Mit Schreiben vom 1. März 2012 bescheinigte der Beklagte der Klägerin, ihr „Resturlaubsanspruch von 76 Tagen aus dem Kalenderjahr 2011 sowie den Vorjahren“ verfalle am 31. März 2012 nicht, weil sie den Urlaub wegen des hohen Arbeitsaufwands in seiner Kanzlei nicht habe antreten können. In den Jahren 2012 bis 2017 gewährte der Beklagte der Klägerin an insgesamt 95 Arbeitstagen Urlaub. Ihren gesetzlichen Mindesturlaub nahm die Klägerin nicht vollständig in Anspruch. Der Beklagte forderte die Klägerin weder auf, weiteren Urlaub zu nehmen, noch wies er sie darauf hin, dass nicht beantragter Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfallen könne.

Mit der am 6. Februar 2018 erhobenen Klage hat die Klägerin die Abgeltung von 101 Urlaubstagen aus dem Jahr 2017 und den Vorjahren verlangt. Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, der Urlaub der Klägerin sei verfallen. Er habe seine Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten nicht kennen und befolgen können, da sich die diesbezügliche Rechtsprechung des BAG erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geändert habe. Zudem seien die Urlaubsansprüche der Klägerin verjährt.

2. Bisheriger Verfahrensgang

Das Arbeitsgericht hat den Beklagten zur Abgeltung restlichen Urlaubs aus dem Jahr 2017 verurteilt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf (Urteil vom 21. Februar 2020 – Az. 10 Sa 180/19) hat den Beklagten auf die Berufung der Klägerin verurteilt, ihr weitere 76 Urlaubstage aus den Jahren 2013 bis 2016 abzugelten. Mit seiner Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Der Neunte Senat des BAG ersuchte den EuGH um Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV über die Frage, ob das Unionsrecht die Verjährung des Urlaubsanspruchs nach Ablauf der regelmäßigen Verjährungsfrist gemäß §§ 194 Abs. 1, 195 BGB gestattet, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht durch entsprechende Aufforderung und Hinweise tatsächlich in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch auszuüben.

In seinem Urteil vom 22. September 2022 (Az. C-120/21) wies der EuGH darauf hin, dass der Anspruch von Beschäftigten auf bezahlten Urlaub zwar grundsätzlich einer dreijährigen Verjährung unterliegen könne. Arbeitgeber müssten aber nach EU-Recht dafür sorgen, dass Beschäftigte den Urlaubsanspruch auch wahrnehmen können. Daher sei die Mitwirkung des Arbeitgebers unerlässlich dafür, dass Urlaubstage erlöschen. Falls der Arbeitgeber dies – wie im vorliegenden Fall – versäumt habe, darf er den Anspruch auf bezahlten Urlaub demnach auch nicht wegen Verjährung ablehnen.

Der Jahresurlaub von Beschäftigten verfällt nur noch, wenn der Arbeitgeber seine Hinweispflicht erfüllt hat. Auch eine Verjährung von Urlaubsansprüchen ist nicht ohne weiteres möglich, entschied der EuGH.

3. Entscheidung des BAG

Die Revision des Beklagten hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Zwar finden die Vorschriften über die Verjährung (§§ 214 Abs. 1, 194 Abs. 1 BGB) auf den gesetzlichen Mindesturlaub Anwendung. Die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren beginnt bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 199 Abs. 1 BGB jedoch nicht zwangsläufig mit Ende des Urlaubsjahres, sondern erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Das BAG ist damit der Argumentation des EuGH gefolgt.

Das BAG weist darauf hin, dass der Anspruch von Arbeitnehmern auf bezahlten Urlaub zwar grundsätzlich einer dreijährigen Verjährung unterliegen könne. Arbeitgeber müssten aber dafür sorgen, dass Arbeitnehmer den Urlaubsanspruch wahrnehmen können. Daher ist die Mitwirkung des Arbeitgebers unerlässlich dafür, dass Urlaubstage erlöschen.

4. Rechtliche Bewertung

Arbeitgeber haben ihre Arbeitnehmer grundsätzlich auf den drohenden Verfall ihrer Urlaubsansprüche hinzuweisen. Eine von der Mitwirkung des Arbeitgebers unabhängige Verjährung der Ansprüche nach drei Jahren würde die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte auf bezahlten Jahresurlaub (Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union) insgesamt erschweren.

Die Aufgabe, für die tatsächliche Wahrnehmung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub zu sorgen, kann nicht vollständig auf den Arbeitnehmer verlagert werden, während der Arbeitgeber durch die Verjährung eine Möglichkeit erhielte, sich seiner eigenen Pflichten unter Berufung auf einen fehlenden Antrag des Arbeitnehmers auf bezahlten Urlaub zu entziehen, so der EuGH.

Laut EuGH seien die Regelungen zum Fristbeginn daher unionsrechtskonform so auszulegen, dass die Frist erst dann zu laufen beginnt, wenn der Arbeitgeber einen entsprechenden Hinweis getätigt habe.

Es sei zwar richtig, dass der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse daran habe, nicht mit Anträgen auf Urlaub oder finanzielle Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub konfrontiert werden zu müssen, wenn diese auf Ansprüche gestützt werden, die im Zeitpunkt der Antragstellung schon vor mehr als drei Jahren entstanden sind. Dieses Interesse sei jedoch dann nicht mehr berechtigt, wenn der Arbeitgeber sich selbst in diese Situation gebracht habe, indem er den Arbeitnehmer im Voraus gar nicht erst in die Lage versetzt habe, den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub wahrnehmen zu können. Diese Argumentation des EuGH hat das BAG nunmehr in seiner Entscheidung aufgegriffen.

Es muss nun die Urteilsbegründung abgewartet werden, um zu schauen, ob das BAG auch weitergehende Aussagen darüber macht, wie die Vorgaben des EuGH im konkreten Fall umsetzt werden müssen, wie ausführlich die Information der Arbeitnehmer erfolgen soll und wer die Darlegungs- und Beweislast der bestehenden Urlaubsansprüche oder einer entsprechenden Unterrichtung trägt.

5. Hinweise für die Praxis

Wenn der Arbeitgeber sich gegen späte Anträge seiner Mitarbeiter wegen nicht genommenen Jahresurlaubs wappnen will, ist es nach Ansicht des BAG seine Sache, die entsprechenden Vorkehrungen zu treffen – beispielsweise indem er seinen Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten ihnen gegenüber nachkommt.

Weiterführende Informationen:

Den Beschluss des BAG vom 29. September 2020 finden Sie hier.

Die Entscheidung des EuGH vom 22. September 2022 finden Sie hier.

Die Pressemitteilung des BAG vom 20. Dezember 2022 finden Sie hier.

 

II. Verfall von Urlaub aus gesundheitlichen Gründen

In einem weiteren Urteil vom heutigen Tage (Urteil vom 20. Dezember 2022, Az. 9 AZR 245/19) hat das BAG sich erneut mit dem Verfall von Urlaub aus gesundheitlichen Gründen befasst.

Grundsätzlich erlöschen Urlaubsansprüche nur dann am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG) oder eines zulässigen Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG), wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor durch Erfüllung sogenannter Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeit-nehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Besonderheiten bestehen, wenn der Arbeitnehmer seinen Urlaub aus gesundheitlichen Gründen nicht nehmen konnte.

Nach bisheriger Rechtsprechung des BAG gingen die gesetzlichen Urlaubsansprüche in einem solchen Fall – bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit – ohne Weiteres mit Ablauf des 31. März des zweiten Folgejahres unter („15-Monatsfrist“). Diese Rechtsprechung hat das BAG in Umsetzung der Vorgaben des EuGH aufgrund der Vorabentscheidung vom 22. September 2022 weiterentwickelt.

Der Anspruch auf gesetzlichen Mindesturlaub aus einem Urlaubsjahr, in dem der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat, bevor er aus gesundheitlichen Gründen an der Inanspruchnahme seines Urlaubs gehindert war, erlischt regelmäßig nur dann nach Ablauf eines Übertragungszeitraums von 15 Monaten, wenn der Arbeitgeber ihn rechtzeitig in die Lage versetzt hat, seinen Urlaub in Anspruch zu nehmen. Dies folgt aus einer richtlinienkonformen Auslegung des § 7 Abs. 1 und Abs. 3 BurlG. Der Urlaubsanspruch verfällt aber weiterhin mit Ablauf der 15-Monatsfrist, wenn der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres aus gesundheitlichen Gründen daran gehindert war, seinen Urlaub anzutreten. Für diesen Fall kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist, weil diese nicht zur Inanspruchnahme des Urlaubs hätten beitragen können.

Die Pressemitteilung des BAG vom 20. Dezember 2022 finden Sie hier.

Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 29.09.2020, 9 AZR 266/20 (A)

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