BAG: Tarifverträge dürfen für annähernd gleiche Tätigkeiten beim medizinischen Fachpersonal unterschiedlich hohe Vergütungen vorsehen.
Sachverhalt
Eine Medizinische Fachangestellte (MFA) war zunächst in der Patientenaufnahme eines Krankenhauses tätig und wurde nach Entgeltgruppe 5, Stufe 1 TVöD-K/VKA bezahlt. Später wurde sie in den ambulanten Operationssaal versetzt. Dort führt sie typische OP-Tätigkeiten wie z.B. Assistenz bei ärztlichen Maßnahmen oder Instrumente anreichen aus. Die Arbeitgeberin wollte sie in die Entgeltgruppe 6, Stufe 2 TVöD-K/VKA umgruppieren, da ihre Tätigkeit über die reinen Ausbildungsinhalte einer MFA hinausgehe und spezialisiertes Wissen erfordere, das in einer Arztpraxis nicht nötig ist. Der Betriebsrat stimmte der Umgruppierung nicht zu. Er war der Meinung, die MFA sollte in die Entgeltgruppe P8 TVöD-K/VKA eingruppiert werden, die eigentlich für Pflegekräfte und Operationstechnische Assistenten (OTA) vorgesehen ist. Der Betriebsrat argumentierte, dass die ausgeübte Tätigkeit und nicht die Ausbildung entscheidend sei und dass eine geringere Bezahlung für die gleiche Arbeit eine Ungleichbehandlung darstellen würde.
Nachdem der Betriebsrat seine Zustimmung verweigert hatte, beantragte die Arbeitgeberin beim Arbeitsgericht die Ersetzung der Zustimmung und obsiegte mit diesem Antrag. Gegen den arbeitsgerichtlichen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Betriebsrats.
Entscheidung
Das BAG wies die Beschwerde des Betriebsrats zurück und gab dem Krankenhaus recht.
Das BAG führte aus, dass die Tarifparteien zwar den Gleichheitsgrundsatz beachten müssen. Gleichzeitig verschaffe ihnen die Tarifautonomie aber Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielräume.
Gerichte dürfen Tarifverträge nur auf Willkür prüfen. Das bedeutet, eine ungleiche Behandlung ist nur dann verboten, wenn sie keinen nachvollziehbaren Grund hat und offensichtlich unsachlich ist. Im vorliegenden Fall haben die Tarifparteien aber einen einleuchtenden Grund für die unterschiedliche Eingruppierung.
Die Ausbildungen von MFA und OTA unterscheiden sich erheblich. Die OTA-Ausbildung ist spezifischer auf die OP-Tätigkeit ausgerichtet. Es ist daher nicht willkürlich, wenn die Tarifvertragsparteien diese unterschiedlichen Ausbildungen bei der Eingruppierung berücksichtigen, auch wenn sich die ausgeübten Tätigkeiten in der Praxis überschneiden können. Nur eine willkürlich festgelegte Vergütung sei verboten, urteilte das BAG. Das sei hier aber nicht der Fall.
Bewertung
Es ist zu begrüßen, dass das BAG mit seiner Entscheidung bestätigt, dass die Tarifautonomie Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielräume für die Tarifvertragsparteien schafft. Im Beschluss wird zu Recht ausgeführt, dass im Rahmen dieser Tarifautonomie die Tarifvertragsparteien im öffentlichen Dienst der Ausbildung ein Gewicht für die Eingruppierung einräumen können, auch wenn die tatsächliche Tätigkeit sich mit einem höher bewerteten Berufsbild überschneidet.
Die Regelungen in den AVR Caritas entsprechen hinsichtlich der Eingruppierung dem Grunde nach den Eingruppierungsregelungen des TVöD. Daher stellt sich die Frage, ob die Erwägungen des BAG auch auf die Regelungen übertragen werden können, die im Dritten Weg zustande kommen.
Den Kommissionen im Dritten Weg steht ebenfalls ein solcher Gestaltungsspielraum bei den von Ihnen geschaffenen Regelungen zu. Nach einer Rechtsauffassung enthalten die AVR Caritas lediglich tarifähnliche Regelungen, sind aber keine Tarifverträge (siehe BAG, Urteil vom 17.11.2005, 6 AZR 160/05).
Trotzdem behandelt das BAG beim Thema Vertragsauslegung AVR Caritas-Klauseln wie Tarifverträge, d.h. AVR Caritas sind nur bei einem Verstoß gegen die „guten Sitten“ oder gegen höherrangiges zwingendes Recht unwirksam (BAG, Urteil vom 22.07.2010, 6 AZR 847/07). Der AGB-Charakter von AVR Caritas macht sich daher nach dieser Rechtsauffassung bei der Vertragsauslegung im Ergebnis nicht bemerkbar. Zutreffend ist an dieser Ansicht, dass in den §§ 305 ff. BGB weder für die Bereichsausnahme noch für den Kontrollmaßstab die Arbeitsvertragsordnungen der Kirchen erwähnt sind. Aus dem Fehlen einer Kirchenklausel wird abgeleitet, dass sie der AGB Kontrolle unterlägen, weil sie Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen nicht gleichgestellt sind.
Die Geltung einer Verfassungsgarantie wird aber nicht dadurch außer Kraft gesetzt, dass der Gesetzgeber sie nicht beachtet. Den Kirchen ist verfassungsrechtlich durch Artikel 140 GG iVm. Art 137 Abs. 3 der WRV garantiert, ihre Angelegenheit selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes zu regeln. Im Rahmen dieser Regelung hat die Kirche das Verhandlungsgleichgewicht der Arbeitnehmer nach dem Beteiligungsmodell des Dritten Weges in kircheneigenen Arbeitsrechtsregelungsverfahren gesichert.
Damit sind die Regelungen der AVR Caritas wie Tarifverträge zu behandeln und die gleichen Maßstäbe anzulegen, so dass die Entscheidung auch auf den Caritasbereich übertragbar wäre. Es kann also dahingestellt bleiben, welche Rechtsauffassung zum Charakter der AVR Caritas zutreffend ist, da man im vorliegenden Fall mit beiden Auffassungen zum gleichen Ergebnis kommt.
Bundesarbeitsgericht (BAG) Beschluss vom 26.02.2025, AZ: 4 ABR 21/24
Rechtsprechung