Skip to main content

BAG: Konzernprivileg des Arbeitnehmerüberlassungs­gesetzes greift nicht bei Beschäftigung zum Zweck der Überlassung – Warum ein „und“ manchmal ein „oder“ ist!

Das sog. Konzernprivileg des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG), wonach eine Arbeitnehmerüberlassung zwischen zwei Unternehmen des gleichen Konzerns erlaubnisfrei und unbürokratisch möglich sein soll, ist trotz anderslautenden Wortlauts im AÜG ausgeschlossen, wenn entweder die Einstellung oder die Beschäftigung eines Arbeitnehmers der Überlassung dient.

Sachverhalt

Der Kläger war über zehn Jahre bei der Vertragsarbeitgeberin S-GmbH angestellt. Seine Arbeit verrichtete er jedoch langjährig bei der Beklagten, die zum selben Konzern gehört wie die Vertragsarbeitgeberin. Die genauen Umstände der Arbeitsleistung sind umstritten. Der Kläger ist der Auffassung, dass zwischen ihm und der Beklagten als Rechtsfolge der §§ 10 Abs. 1, 9 Abs. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis wegen verdeckter Arbeitnehmerüberlassung bestehe. Die Beklagte ist der Ansicht, dass keine Arbeitnehmerüberlassung vorliege. Selbst wenn eine Arbeitnehmerüberlassung vorliege, könne die genannte Rechtsfolge nicht für den Kläger eintreten, weil diese Bestimmung aufgrund des sog. Konzernprivilegs, § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG, nicht anwendbar sei.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat die Klage abgewiesen, weil das AÜG aufgrund des Konzernprivilegs nicht anwendbar sei. Das Konzernprivileg gelte nur dann nicht, wenn ein Arbeitnehmer zum Zweck der Überlassung eingestellt und zu diesem Zweck beschäftigt werde. Der Kläger sei aber unstreitig nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt worden, daher könne sich die Beklagte auf das Konzernprivileg berufen.

Entscheidung

Das BAG hat die Entscheidung aufgehoben und an das LAG zurückverwiesen. Der Wortlaut der Vorschrift des § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG („eingestellt und beschäftigt“) spreche zwar auf den ersten Blick für ein kumulatives Verständnis von Einstellung und Beschäftigung. Doch könne die Konjunktion „und“ auch eine Aufzählung oder Aneinanderreihung ausdrücken. Das letztere Verständnis sei aufgrund von Sinn und Zweck der Vorschrift sowie dem erklärten Willen des Gesetzgebers vorliegend das Zutreffende. Durch das AÜG sollte explizit sichergestellt werden, dass es nicht allein auf den bei Abschluss des Arbeitsvertrags festgelegten Leistungsinhalt ankomme, sondern auch darauf, dass der Arbeitnehmer später nicht zum Zwecke der Überlassung beschäftigt werde. Dies entspreche auch der Systematik des AÜG, nach der es regelmäßig nicht auf die vertragliche, sondern auf die tatsächliche Überlassung ankomme – als Anknüpfungspunkt für die beabsichtigten Rechtsfolgen.

Da das LAG in seinem Urteil offengelassen hatte, ob der Kläger im Rahmen eines Werkvertrags oder einer Arbeitnehmerüberlassung im Betrieb der Beklagten eingesetzt wurde, konnte das BAG nicht abschließend feststellen, ob im vorliegenden Fall tatsächlich ein Arbeitnehmerüberlassungsverhältnis vorliegt, was aber Voraussetzung für ein Obsiegen des Klägers wäre. Der Rechtsstreit musste daher an das LAG zur weiteren Tatsachenfeststellung zurückverwiesen werden.

Bewertung

Die Entscheidung überrascht nicht. Die vom BAG begründete Sichtweise dürfte im Ergebnis der wohl überwiegenden Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum entsprechen. Das Urteil führt dazu, dass das sog. Konzernprivileg zukünftig deutlich restriktiver Anwendung finden wird. Da die Praxis dies bisweilen etwas weniger streng gesehen hat, ist ein Abgleich bestehender und beabsichtigter „Konzernleihen“ mit den o.g. Vorgaben dringend anzuraten.

Das Urteil ist auch für den kirchlich-caritativen Bereich relevant. Bei dem Konzernprivileg des AÜG handelt es sich nämlich um eine sog. rechtsformneutrale Verweisung. Es kommt allein darauf an, ob die materiellen Merkmale eines Konzerns vorliegen: mindestens zwei rechtlich selbständige Unternehmen, die unter einheitlicher Leitung zusammengefasst sind.

Bei zukünftigen konzerninternen Arbeitnehmerüberlassungen sollten Mitarbeitende daher nicht gleich zu Beginn der Beschäftigung oder für längere Dauer in einem anderen Konzernunternehmen eingesetzt werden, sondern erst einmal beim (eigenen) Vertragsarbeitgeber. Die Bedeutung dieses Urteils für flexible Personaleinsätze z.B. in sog. Springerpools, lässt sich im Moment noch nicht endgültig abschätzen; hierüber werden wir zeitnah genauer informieren.

Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 12.11.2024, Az. 9 AZR 13/24

Rechtsprechung

Autor/-in: Christian Schulz

Schlagworte

Aktuelles aus der Rechtsprechung

Melden Sie sich zum Newsletter an

Seien Sie immer einen Schritt voraus:
Erhalten Sie regelmäßig Informationen zu tarifrechtlichen Entwicklungen sowie wichtige Praxishinweise in unserem Dienstgeberbrief!

 

Newsletter abonnieren