Zum Hauptinhalt springen

BAG: Keine Änderung der Berechnungs­methode des Schwangerschafts­beginns

Das Kündigungsverbot aus § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 MuSchG beginnt 280 Tage vor dem voraussichtlichen Entbindungstermin.

Sachverhalt

Die Beklagte war die Arbeitgeberin der Klägerin und kündigte dieser ordentlich und fristgemäß innerhalb der Probezeit. Das Kündigungsschreiben vom 6. November 2020 ging der Klägerin am Folgetag zu. Nach Erhebung der Kündigungsschutzklage teilte die Klägerin am 2. Dezember 2020 unter Vorlage einer ärztlichen Schwangerschaftsbestätigung vom 26. November 2020 mit, dass sie in der sechsten Woche schwanger sei. Sie sei somit bereits zum Kündigungszeitpunkt schwanger gewesen, habe jedoch erst seit dem 26. November sichere Kenntnis über ihre Schwangerschaft gehabt und diese dann unverzüglich mitgeteilt. Eine weitere ärztliche Bescheinigung nannte als voraussichtlichen Geburtstermin den 5. August 2021.

Die Beklagte bestritt das Vorliegen einer Schwangerschaft zum Zeitpunkt der Kündigung. Jedenfalls sei die Mitteilung der Schwangerschaft nicht mehr unverzüglich erfolgt.

Wie bereits die Vorinstanz wies das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg die Kündigungsschutzklage mit der Begründung ab, die Klägerin sei zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung nicht schwanger gewesen. In Abweichung von ständiger BAG-Rechtsprechung sei bei der Rückrechnung ausgehend vom voraussichtlichen Entbindungstermin nur auf die durchschnittliche Schwangerschaftsdauer (266 Tage) und nicht auf die äußerste zeitliche Grenze für den möglichen Beginn einer Schwangerschaft (280 Tage) abzustellen.

Entscheidung

Das BAG erteilte dieser Auffassung eine deutliche Absage, die Revision der Klägerin hatte Erfolg.

Der Senat führte aus, die von den Vorinstanzen vertretene Auffassung nehme in Kauf, dass eine schon vor dem 266. Tag schwangere Arbeitnehmerin nicht vom Kündigungsschutz erfasst sei. Das sei mit dem von der Mutterschutzrichtlinie gewollten und nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gebotenen umfassenden Schutz von schwangeren Arbeitnehmerinnen nicht zu vereinbaren.

In seiner Rechtsprechung zur Mutterschutzrichtline habe der EuGH bereits festgestellt, dass vom frühestmöglichen Zeitpunkt einer Schwangerschaft auszugehen sei, um die Sicherheit und den Schutz schwangerer Arbeitnehmerinnen zu gewährleisten. Dieser umfassende Schutzgedanke wohne auch den am verfassungsrechtlich gebotenen Schutzauftrag orientierten prognostischen Elementen des Mutterschutzgesetzes (MuSchG) inne.

Diese Vorgaben berücksichtige die Berechnungsmethode des Senats, mit der auf die äußerste zeitliche Grenze, innerhalb derer bei normalem Zyklus eine Schwangerschaft vorliegen kann, abgestellt werde. Dabei würden auch Tage einbezogen, in denen das Vorliegen einer Schwangerschaft eher unwahrscheinlich, aber eben nicht ausgeschlossen sei. Hier werde bewusst auf eine Wahrscheinlichkeitsrechnung verzichtet, um zu gewährleisten, dass jede tatsächlich Schwangere den Schutz des § 17 MuSchG in Anspruch nehmen kann. Es gehe hierbei nicht um die Bestimmung des naturwissenschaftlichen Beginns der Schwangerschaft, sondern um eine Berechnungsmethode für die Bestimmung des Kündigungsschutzverbots wegen einer Schwangerschaft.

Die Mitteilung der Schwangerschaft sei im vorliegenden Fall auch nicht schuldhaft verspätet gewesen.

Bewertung

Die Entscheidung des BAG war zu erwarten und stellt klar, dass es keinen sachlichen Grund gibt, von der bisher angewendeten Rückrechnungsmethode abzuweichen.

Der Kündigungsschutz des § 17 MuSchG greift nur dann ein, wenn im Zeitpunkt der Kündigung eine Schwangerschaft vorlag. Der genaue Tag der Konzeption lässt sich dabei in aller Regel nicht eindeutig rekonstruieren. Zur Bestimmung des Beginns der Schwangerschaft für den Beginn des Kündigungsschutzes nach § 17 MuSchG ist daher eine Rückrechnung ausgehend vom voraussichtlichen Entbindungstermin vorzunehmen. Um sicherzustellen, dass alle schwangeren Arbeitnehmerinnen vom Kündigungsschutz umfasst sind, ist dabei auf den gesamten hypothetisch möglichen, wenn auch in Teilen eher unwahrscheinlichen, Zeitraum einer Schwangerschaft abzustellen. Die dem entgegenstehenden Interessen des Dienstgebers haben hinter dem umfassenden Schutz werdender Mütter weitestgehend zurückzutreten. Aus Gründen der Rechtssicherheit ist der Kündigungsschutz des § 17 MuSchG daher nach wie vor ab 280 Tagen vor dem voraussichtlichen Entbindungstermin anzunehmen – es sei denn, der Dienstgeber kann Umstände darlegen und beweisen, nach denen es wissenschaftlich gesicherter Erkenntnis widerspräche, vom Beginn der Schwangerschaft zu diesem Zeitpunkt auszugehen.

Damit der Kündigungsschutz des § 17 MuSchG Wirkung entfaltet, müssen Mitarbeiterinnen ihren Dienstgeber spätestens innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung über die Schwangerschaft informieren. Diese Frist versäumen Mitarbeiterinnen allerdings nur dann schuldhaft, wenn über die Schwangerschaft positive Kenntnis besteht oder zwingende Anhaltspunkte bestehen, die das Vorliegen einer Schwangerschaft praktisch unabweisbar erscheinen lassen. Eine vage Schwangerschaftsvermutung reicht somit grundsätzlich nicht aus für ein schuldhaftes Verhalten, das den Verlust des besonderen Kündigungsschutzes zur Folge hätte.

Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 24.11.2022, Az. 2 AZR 11/22

Rechtsprechung

Autor/-in: Yolanda Thau

Schlagworte

Aktuelles aus der Rechtsprechung

Melden Sie sich zum Newsletter an

Seien Sie immer einen Schritt voraus:
Erhalten Sie regelmäßig Informationen zu tarifrechtlichen Entwicklungen sowie wichtige Praxishinweise in unserem Dienstgeberbrief!

 

Newsletter abonnieren