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BAG: Fortbestand der Schwer­behinderten­vertretung bei Absinken der Anzahl der schwer­behinderten Beschäftigten in einem Betrieb unter fünf

Das Amt der Schwerbehindertenvertretung ist bei Absinken der Anzahl schwerbehinderter Be-schäftigter unter den Schwellenwert nach § 177 Abs. 1 Satz 1 SGB IX nicht vorzeitig beendet. Eine ausdrückliche Regelung, die das Erlöschen der Schwerbehindertenvertretung vorsieht, be-steht im Gesetz nicht.

Sachverhalt

In einem Kölner Betrieb einer Arbeitgeberin mit ungefähr 120 Mitarbeitern wurde im November 2019 eine Schwerbehindertenvertretung gewählt. Zum 1. August 2020 sank die Zahl der schwerbehinderten Menschen in diesem Betrieb auf vier Beschäftigte. Die Arbeitgeberin informierte die Schwerbehindertenvertretung darüber, dass sie nicht mehr existiere und die schwerbehinderten Beschäftigten von der Schwerbehindertenvertretung in einem anderen Betrieb vertreten würden.

In dem von der Schwerbehindertenvertretung eingeleiteten Verfahren hat sie die Feststellung begehrt, dass ihr Amt nicht aufgrund des Absinkens der Anzahl schwerbehinderter Menschen im Betrieb vorzeitig beendet ist. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben den Antrag mit der Begründung abgewiesen, dass die Folgen des Unterschreitens des Schwellenwertes für die Behindertenvertretung im SGB IX ebenso wenig geregelt sei, wie der Fall des Schwunds der Wahlberechtigten für die Belegschaftsvertretung im BetrVG. Doch nach allgemeiner Auffassung ende dann für den Betriebsrat die Amtszeit. Dieser Grundsatz sei auf das Schwerbehindertenrecht zu übertragen.

Entscheidung

Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Schwerbehindertenvertretung hatte vor dem Siebenten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Die Schwerbehindertenvertretung ist die Interessenvertretung der schwerbehinderten und gleichgestellten Beschäftigten. Sie wird nach § 177 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in Betrieben mit wenigstens fünf – nicht nur vorübergehend beschäftigten – schwerbehinderten Menschen für eine Amtszeit von regelmäßig vier Jahren gewählt. Sinkt die Anzahl schwerbehinderter Beschäftigter im Betrieb unter den Schwellenwert von fünf, ist das Amt der Schwerbehindertenvertretung nicht vorzeitig beendet. Eine ausdrückliche Regelung, die das Erlöschen der Schwerbehindertenvertretung bei Absinken der Anzahl schwerbehinderter Beschäftigter unter den Schwellenwert nach § 177 Abs. 1 Satz 1 SGB IX vorsieht, besteht im Gesetz gerade nicht, so das BAG.

Eine vorzeitige Beendigung der Amtszeit ist auch nicht aus gesetzessystematischen Gründen oder im Hinblick auf Sinn und Zweck des Schwellenwerts geboten. Daher darf die gewählte Schwerbehindertenvertretung bis zum Ende ihrer Amtszeit weiter ihr Amt ausüben, auch wenn weniger als fünf schwerbehinderte Menschen im Betrieb beschäftigt sind.

Bewertung

Das BAG stärkt durch den Beschluss die Schwerbehindertenvertretungen und damit die Rechte der schwerbehinderten Beschäftigten, die auch bei Absinken ihrer Anzahl im Betrieb unter den Schwellenwert von fünf weiter durch eine bereits gewählte Schwerbehindertenvertretung repräsentiert werden. Es ist aber nicht nur so, dass eine ausdrückliche Regelung, die das Erlöschen der Schwerbehindertenvertretung bei Absinken der Anzahl schwerbehinderter Beschäftigter unter den Schwellenwert nach § 177 Abs. 1 Satz 1 SGB IX vorsieht, im Gesetz nicht besteht, wie das BAG betont, sondern auch die Fälle der vorzeitigen Beendigung der Amtszeit abschließend in § 177 Abs. 7 Satz 3 geregelt sind. Der Fall des Absinkens des Schwellenwertes ist dort nicht erwähnt.

Die Entscheidung greift auch im kirchlichen Bereich. In der Mitarbeitervertretungsordnung finden sich Regelungen zur Schwerbehindertenvertretung in den §§ 28a und 52. Hinsichtlich der Wahl und der Amtszeit wird aber auf die Regelungen des SGB IX verwiesen. Der Entscheidung des BAG entgegenstehende Regelungen, die wohl auch nicht zulässig wären, kennt die Mitarbeitervertretungsordnung nicht.

Bundesarbeitsgericht (BAG), Beschluss vom 19.10.2022, Az. 7 ABR 27/21

Rechtsprechung

Autor/-in: Marc Riede Florido Martins

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