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BAG entscheidet zur nachträglichen Zulassung einer Kündigungsschutzklage bei Schwangerschaft

Die Kündigung einer schwangeren Frau wurde, trotz Überschreitens der drei-Wochen-Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage, wegen Verstoßes gegen das Kündigungsverbot aus § 17 Abs. 1 Nr. 1 Mutterschutzgesetz (MuSchG) für unwirksam erklärt.

Sachverhalt

Die Klägerin ist seit Dezember 2012 bei der Beklagten beschäftigt.

Mit Schreiben vom 13. Mai 2022 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin; das Kündigungsschreiben ging der Klägerin einen Tag später am 14. Mai 2022 zu.

Am 29. Mai 2022 führte die Klägerin einen Schwangerschaftsselbsttest mit positivem Ergebnis durch und bemühte sich unverzüglich um einen Termin bei ihrer Gynäkologin zur Abklärung einer bestehenden Schwangerschaft. Eine Terminzusage erhielt sie aber erst für den 17. Juni 2022.

Am 13. Juni 2022 (also nach Ablauf der drei-Wochen-Frist in § 4 Satz 1 KSchG) erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage und verband diese mit einem Antrag auf nachträgliche Zulassung nach § 5 KSchG.

Nach dem Termin bei ihrer Gynäkologin am 17. Juni 2022 reichte die Klägerin am 21. Juni 2022 bei der Beklagten ein auf den 20. Juni 2022 datiertes ärztliches Attest ein, aus dem sich ergab, dass sie schwanger war. Aus dem Attest und ihrem Mutterpass ergab sich, dass die Klägerin seit dem 28. April 2022 (also schon vor Ausspruch der Kündigung) schwanger war.

Gleichzeitig stellte die Klägerin einen weiteren Antrag auf nachträgliche Klagezulassung, § 5 KSchG.

Das Arbeitsgericht (ArbG) Dresden hat die Kündigungsschutzklage zugelassen und ihr stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Sachsen hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Gegen das Urteil des LAG Sachsen ist die Beklagte in Revision zum BAG gegangen.

Entscheidung

Das BAG hat die zulässige Revision als unbegründet zurückgewiesen. Bei seiner Entscheidung musste das BAG verschiedene Rechtsfragen klären, die nach deutschem Recht zusammenspielen und darüber hinaus Berührung zum EU-Arbeitsrecht haben.

Grundsätzlich ist eine Kündigungsschutzklage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung zu erheben, § 4 Satz 1 KSchG. Fristende wäre im vorliegenden Fall Samstag vor Pfingsten gewesen (4. Juni 2022), gemäß § 193 BGB allerdings Dienstag nach Pfingsten (6. Juni 2022). Die Klägerin hat diese Frist unstreitig nicht eingehalten.

Auch die Sonderregelung des § 4 Satz 4 KSchG, wonach die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage im Falle der Zustimmungsbedürftigkeit einer Behörde erst mit der Bekanntgabe der behördlichen Entscheidung zu laufen beginnt, hilft der Klägerin, so betont es das BAG ausdrücklich, nicht weiter. Zwar ist die Kündigung einer Schwangeren grundsätzlich nur mit behördlicher Zustimmung möglich, aber die Sonderregelung des § 4 Satz 4 KSchG ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Das BAG bleibt nämlich bei seiner ständigen Rechtsprechung, wonach in einem Fall, bei dem der Arbeitgeber bei Aussprache der Kündigung von der Schwangerschaft der Arbeitnehmerin keine Kenntnis hat, die Sonderregelung des § 4 Satz 4 KSchG nicht eingreift. Es bleibt im vorliegenden Rechtsstreit also beim Fristbeginn nach § 4 Satz 1 KSchG, also beim Fristbeginn mit Zugang der Kündigung.

Daher stand das BAG vor der Frage, ob die Klägerin einen Antrag auf nachträgliche Klagezulassung nach § 5 KSchG stellen konnte. Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG kann eine Frau, die von ihrer Schwangerschaft aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund erst nach Ablauf der Frist des § 4 Satz 1 Kenntnis erlangt hat, beim Arbeitsgericht Antrag auf nachträgliche Klagezulassung stellen. Das wiederum führt zu der Frage, wann die Klägerin Kenntnis von ihrer Schwangerschaft erlangt hat. Würde man hierbei auf den Selbsttest vom 29. Mai 2022 abstellen, so hätte die Klägerin schon vor Ablauf der drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG Kenntnis von ihrer Schwangerschaft gehabt und hätte die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage wahren können. Stellte man dagegen auf die ärztliche Feststellung der Schwangerschaft ab, so hätte die Klägerin diese erst am 17. Juni 2022 gehabt, mithin also nach Ablauf der Frist, wie es in § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG ausdrücklich heißt. Das BAG stellt ausdrücklich auf eine ärztliche Untersuchung als Moment der Kenntniserlangung ab und begründet dies damit, dass ein Schwangerschaftsselbsttest einerseits keine vollkommene Sicherheit über das Vorliegen einer Schwangerschaft selbst bringt und erst recht keine vollkommene Sicherheit über eine Schwangerschaft zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung. Von daher kommt das BAG zu dem Ergebnis, dass die Klägerin am 17. Juni 2022 Kenntnis von ihrer Schwangerschaft zum Zeitpunkt der Kündigung erlangte und dies auch, ohne dass die Klägerin die verspätete Kenntnis zu vertreten hatte. Das BAG betont sogar, dass die Klägerin alles getan hatte, um positive Kenntnis von ihrer Schwangerschaft zu erlangen, indem sie sich unverzüglich um einen Termin bei ihrer Gynäkologin gekümmert hatte. Dass die ärztliche Untersuchung erst am 17. Juni stattfand, hat die Klägerin nicht zu vertreten.

Nachdem das BAG damit zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG gegeben sind und ein Antrag auf nachträgliche Klageerhebung damit möglich ist, bleibt noch die Frage offen, ob die Antragsfrist des § 5 Abs. 3 KSchG eingehalten wurde. Danach muss der Antrag auf nachträgliche Klagezulassung innerhalb von zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses, also nach Kenntniserlangung über die Schwangerschaft gestellt werden. Richtigerweise stellt das BAG hierbei fest, dass die zwei-Wochen-Frist vorliegend vom 18. Juni 2022 (Tag nach der gynäkologischen Untersuchung) bis zum 1. Juli 2022 gedauert hat, während die Klägerin ihren Antrag schon zuvor am 13. Juni 2022 gestellt hat. Hierbei stellt das BAG fest, dass die Frist in § 5 Abs. 3 KSchG nur eine Zeitbegrenzung nach hinten sein soll, nicht aber die Möglichkeit einer Antragstellung nach vorne begrenzen soll.

Damit kommt das BAG – wie die Vorinstanzen – zu dem Ergebnis, dass die Kündigungsschutzklage der Klägerin zulässig war. Ferner war die Klage begründet, weil die Kündigung gegen das Kündigungsverbot aus § 17 Abs. 1 Nr. 1 MuSchG verstößt.

Am Rande stellt der zweite Senat des BAG noch fest, dass das ausdifferenzierte System des KSchG mit Fristen und Ausnahmen den europarechtlichen Vorgaben durch die Mutterschutzrichtlinie und dem europarechtlichen Gebot des effektiven Rechtsschutzes entspricht.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte am 27. Juni 2024 (Az. C-284/23) Zweifel am Ausreichen der zweiwöchigen Frist in § 5 Abs. 3 KSchG im Vergleich zur dreiwöchigen Frist in § 4 Satz 1 KSchG angemeldet. Die vergleichsweise kurze Frist scheine es der schwangeren Arbeitnehmerin ungebührlich zu erschweren, sich nach verspäteter Feststellung der Schwangerschaft beraten zu lassen und gegebenenfalls einen Antrag auf verspätete Klagezulassung zu stellen. Der Gerichtshof hatte die abschließende Prüfung aber deutschen Gerichten übertragen.

Bewertung

Das BAG bestätigt in diesem Urteil seine bisherige Rechtsprechung und kommt konsequenterweise zu dem Ergebnis, dass es für die positive Kenntnis von einer Schwangerschaft im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG nicht auf einen Selbsttest, sondern auf eine ärztliche Untersuchung ankommt.

Die extensive Auslegung der Regelung des § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG durch das BAG bedeutet aber für Arbeitgeber ein Mehr an Unsicherheit, weil diese Rechtsprechung dazu führt, dass ein kündigender Arbeitgeber vergleichsweise lang mit der Unsicherheit einer verspätetet eingereichten Kündigungsschutzklage leben muss.

Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 3. April 2025, Az. 2 AZR 156/24

Rechtsprechung

Autor/-in: Dr. Florian Bauckhage-Hoffer

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