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BAG: Bedeutung der betrieblichen Praxis für die Beurteilung eines Gemeinschaftsbetriebs

Beim Gemeinschaftsbetrieb muss die betriebliche Praxis den vertraglichen Vorgaben entsprechen. Dabei spielt die betriebsverfassungsrechtliche Praxis bei der Organisation des Betriebs, insbesondere im Hinblick auf die Einheitlichkeit der personellen Leitung, eine wichtige Rolle.

Sachverhalt

Der Kläger und die Beklagte zu 1. streiten darüber, ob zwischen ihnen seit dem 1. Dezember 2013 oder sogar bereits früher ein Arbeitsverhältnis besteht. Der Kläger ist seit dem 3. November 2011 bei der Beklagten zu 2. auf der Grundlage eines „Arbeitsvertrag für Leiharbeitnehmer“ vom 31. Oktober 2011 beschäftigt. Die Beklagte zu 2. verfügt über eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung.

In der Folgezeit überließ die Beklagte zu 2. den Kläger der Beklagten zu 1., die ihn am Flughafen F als Flugzeugabfertiger einsetzte. Unter dem 20. Juni 2017 schlossen die Beklagte zu 1., die V GmbH und die Beklagte zu 2. (beteiligte Unternehmen) mit Wirkung zum 1. Juli 2017 eine „Vereinbarung über die Führung eines gemeinsamen Betriebs“.

Entscheidung

Die Revision des Klägers hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.

Ein Arbeitnehmer kann mit der allgemeinen Feststellungsklage das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zu einem Entleiher auf Grundlage der Vorschriften des AÜG geltend machen (BAG 20. März 2018 - 9 AZR 508/17 -Rn. 17).

Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, die Überlassung des Klägers durch die Beklagte zu 2. an die Beklagte zu 1. zur Arbeitsleistung habe nicht zu einem Arbeitsverhältnis zwischen der Beklagten zu 1. und dem Kläger geführt. Die Überlassung habe die zeitlichen Grenzen des § 1 Abs. 1b AÜG idF vom 21. Februar 2017 nicht überschritten. Der Zeitraum vom 3. November 2011 bis zum 31. März 2017 sei gemäß § 19 Abs. 2 AÜG 2017 bei der Berechnung der Überlassungsdauer nicht zu berücksichtigen. Ab dem 1. Juli 2017 sei der Kläger nicht als Leiharbeitnehmer in einem Betrieb der Beklagten zu 1., sondern als Mitarbeiter der Beklagten zu 2. in einem zwischen den Beklagten zu 1. und zu 2. sowie der V GmbH gebildeten Gemeinschaftsbetrieb eingesetzt worden. Im Gemeinschaftsbetrieb ist die Arbeitsorganisation, in der der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung erbringt, nicht die des Entleihers, sondern eine gemeinsame, an der auch der Verleiher beteiligt ist. Dieser verfolgt in dem Gemeinschaftsbetrieb eigene Betriebszwecke. Zudem wird das Direktionsrecht von der einheitlichen Leitung des Gemeinschaftsbetriebs immer für den jeweiligen Vertragsarbeitgeber ausgeübt, so dass der Arbeitnehmer im Gemeinschaftsbetrieb keinen fremden Weisungen, sondern allein den Weisungen seines Vertragsarbeitgebers unterliegt.

Das Bundesarbeitsgericht vertritt jedoch die Auffassung, dass das Landesarbeitsgericht die Voraussetzungen eines Gemeinschaftsbetriebs nur unvollständig geprüft hat, indem es die Auswirkungen der betriebsverfassungsrechtlichen Organisation auf die einheitliche Leitung in sozialen und personellen Angelegenheiten nicht berücksichtigt hat. Aufgrund der getroffenen Feststellungen kann der Senat nicht beurteilen, ob die für einen Gemeinschaftsbetrieb sprechenden Vereinbarungen zwischen den beteiligten Unternehmen den Leitungsstrukturen entsprechen, die aufgrund Tarifvertrags verschiedenen Betriebsräten zugewiesen sind.

Die getroffenen vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Beklagten erlauben nicht zwingend den Schluss, dass die beteiligten Unternehmen die maßgeblichen Arbeitgeberfunktionen auch in der betrieblichen Praxis einheitlich wahrnehmen. Der etablierte Leitungsapparat organisiert den Einsatz der Mitarbeiter nach dem Willen der beteiligten Unternehmen zwar arbeitgeberübergreifend, aber auf der Grundlage getrennter betriebsverfassungsrechtlicher Strukturen. Für einen Gemeinschaftsbetrieb ist nach der Vorstellung des Gesetzes in § 1 Abs. 1 Satz 2 BetrVG die Errichtung eines gemeinsamen Betriebsrats kennzeichnend. Im Widerspruch dazu werden die Beschäftigten der beiden Beklagten durch eigenständige Betriebsräte vertreten. Diese betriebsverfassungsrechtliche Organisation kann einen wesentlichen Hinweis darauf geben, dass die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer lediglich in formaler Hinsicht einer einheitlichen Leitung unterliegen, der Sache nach aber weiterhin unter Berücksichtigung der jeweiligen Unternehmenszugehörigkeit eingesetzt werden. Die betriebsverfassungsrechtliche Struktur in dem von den beteiligten Unternehmen geführten Betrieb weicht von dem gesetzlichen Leitbild „Ein Betrieb, ein Betriebsrat“ ab. Das BAG hat daher die angefochtene Entscheidung aufgehoben und in der Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Bewertung

Die Entscheidung macht deutlich, dass es wichtig ist, dass nicht nur die vertraglichen Vereinbarungen bei einem Gemeinschaftsbetrieb passen, sondern dass auch die betriebliche Praxis diese Vereinbarungen abbildet. Dabei darf die Bedeutung eines gemeinsamen Betriebsrats als Indiz für einen Gemeinschaftsbetreib nicht unterschätzt werden. Die Grundsätze dieser Entscheidung gelten auch im kirchlichen Bereich. Wenn ein gemeinschaftlicher Betrieb gebildet wird, sind die Gestaltungsspielräume, die die MAVO mit § 1a und 1b i. V.m. § 22 a MAVO bietet, entsprechend zu nutzen.

Das Urteil finden sie hier.

Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 24.05.2022, Az. 9 AZR 338/21

Rechtsprechung

Autor/-in: Marc Riede Florido Martins

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