Tarifverhandlungen im Umfeld schwieriger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen
Das Jahr 2024 ist – wie bereits die Jahre 2022 und 2023 – gekennzeichnet durch Tarifabschlüsse, bei denen zum größten Teil überdurchschnittlich hohe Entgeltschritte vereinbart wurden. Die bisher abgeschlossenen Tarifverträge zeigen eine Spannbreite in den Tarifsteigerungen von 2,0 Prozent bis hin zu 11,2 Prozent. Die anhaltend hohen Tarifforderungen passen jedoch nicht in das wirtschaftliche Umfeld.
Niedrige Inflation
Die Inflationsrate in Deutschland, gemessen als Veränderung des Verbraucherpreisindex zum Vorjahresmonat, ist weiterhin auf dem Weg der Stabilisierung und nähert sich dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank von 2 Prozent an. Im September 2024 lag die Veränderungsrate bei 1,6 Prozent. Bereits im August 2024 war sie mit 1,9 Prozent erstmals nach über drei Jahren unter die 2 Prozent-Marke gefallen, nachdem sie im Juli 2024 noch bei 2,3 Prozent gelegen hatte. Laut Ruth Brand, Präsidentin des Statistischen Bundesamtes, dämpften insbesondere die erneuten Preisrückgänge bei Energie die Inflationsrate im September 2024; inflationstreibend wirkten dagegen die überdurchschnittlichen Preiserhöhungen im Dienstleistungsbereich.
Steigende Reallöhne
Laut Statistischem Bundesamt lagen die Nominallöhne im 2. Quartal 2024 um 5,4 Prozent höher als im Vorjahresquartal. Da die Verbraucherpreise im selben Zeitraum aber nur um 2,3 Prozent stiegen, fielen die Reallöhne damit im 2. Quartal 2024 um 3,1 Prozent höher aus als im Vorjahresquartal. Somit setzt sich der positive Trend der Reallohnentwicklung mit diesem fünften Anstieg in Folge weiter fort. Maßgeblich für diese positive Entwicklung sind die Inflationsausgleichsprämie sowie die – unter anderem in Tarifverträgen beschlossenen – hohen Lohnsteigerungen und Einmalzahlungen der vergangenen Jahre.
Schwächelnde Konjunktur
Die spürbar steigenden Reallöhne und die wachsende Kaufkraft der privaten Hausehalte sind Voraussetzungen für einen konsumgetriebenen Aufschwung. Dieser wird jedoch schwächer ausfallen und später einsetzen als erwartet. Laut Herbstgutachten der Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose ist mit einem Rückgang des Bruttoinlandsproduktes von 0,1 Prozent für das laufende Jahr zu rechnen. Für die kommenden beiden Jahre wird eine schwache Erholung mit Zuwächsen von 0,8 Prozent (2025) und 1,3 Prozent (2026) erwartet. Die ursprüngliche Prognose wurde deshalb um 0,2 (2024) und 0,6 (2025) Prozentpunkte nach unten revidiert. Nicht nur die trotz gestiegener Kaufkraft schwache konjunkturelle Entwicklung, sondern auch der strukturelle Wandel belaste die deutsche Wirtschaft. Die Dekarbonisierung, die Digitalisierung, der demografische Wandel und wohl auch der stärkere Wettbewerb mit Unternehmen aus China habe strukturelle Anpassungsprozesse ausgelöst, die die Wachstumsprognose für die deutsche Wirtschaft dämpfen und dem Gutachten zufolge auch andauern werden.
Schwache Herbstbelebung am Arbeitsmarkt
Der wirtschaftliche Stillstand ist auch auf dem Arbeitsmarkt deutlich zu spüren. Saisonbereinigt hat die Zahl der Arbeitslosen im September 2024 gegenüber dem Vormonat um 17.000 zugenommen. Im Vergleich zum Vorjahresmonat ist die Arbeitslosenzahl um 179.000 gestiegen. Die Arbeitslosenquote sank jedoch um 0,1 Prozentpunkte. Sie liegt nun bei 6 Prozent und damit im Vergleich zum September 2023 um 0,3 Prozentpunkte höher. Erst mit der Belebung der Wirtschaft im kommenden Jahr ist mit meinem Rückgang der Arbeitslosigkeit zu rechnen.
Konsequenzen für Caritas und anstehende Tarifverhandlungen
Stabile Inflationsraten, eine positive Reallohnentwicklung und schwache Konjunktur- und Arbeitsmarktdaten sprechen für gemäßigte Tarifabschlüsse. Für das letzte Quartal 2024 stehen Tarifverhandlungen in zahlreichen beschäftigungsstarken Branchen an – unter anderem bei den Ärzten (VKA / Marburger Bund).
Auch die Mitarbeiterseite der AK Caritas (MAS) hat ihre Forderungen zur Tarifrunde Ärzte formuliert. Hier zeigt sich, dass die Erwartungen der MAS und die finanzielle Realität der Einrichtungen stärker denn je auseinanderklaffen. Die Dienstgeberseite (DGS) hält die Forderungen der MAS für nicht erfüllbar und stark überzogen. Viele Krankenhäuser und andere Einrichtungen haben bereits jetzt mit großen finanziellen Engpässen zu kämpfen. Ein weiterer Anstieg der Personalkosten kann nicht durch gleichwertige Einnahmen oder Zuschüsse kompensiert werden. Dies umso mehr auch vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und des Fachkräftemangels, der Caritas-Dienstgeber mit Personalengpässen kämpfen lässt. Es wird eine schwierige Aufgabe sein, in diesem Spannungsfeld tragfähige Lösungen zu finden, die die langfristige Funktionsfähigkeit der Einrichtungen berücksichtigen.
Anfang 2025 stehen zudem die Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst an. Dies hat in aller Regel auch Auswirkungen auf den Bereich der Caritas. Die Gewerkschaft ver.di hat ihre umfänglichen Forderungen für die Tarifrunde 2025 im Öffentlichen Dienst bereits präsentiert. Diese wurden von der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) völlig zutreffend als „überzogen und gefährlich“ (Pressemitteilung der VKA vom 09.10.2024) bewertet. Die Bewältigung der geschilderten Probleme ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der sich einzelne Akteure nicht entziehen können. Realismus, Verantwortungsbewusstsein fürs Ganze und ein Blick mit Maß sind herausgehobene Gebote der Stunde.
Einigung der Verhandlungsgemeinschaft Zeitarbeit (VGZ) des Gesamtverbandes der Personaldienstleister e. V. (GVP) mit der Tarifgemeinschaft Leiharbeit des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) (01.03.2024)
Personal: ca. 780.000
Laufzeit: 18 Monate (1.April 2024 bis 30.September 2025)
Abschluss: Lohnerhöhung um 3,7 Prozent ab 1. Oktober 2024 und um weitere 3,8 Prozent ab 1. März 2025
Einigung des Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbandes der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleister (AGV MOVE) mit der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) (25.03.2024)
Personal: 211.000 (Deutsche Bahn AG)
Laufzeit: 26 Monate (1. November 2023 bis 31. Dezember 2025)
Abschluss: Entgelterhöhungen jeweils um 210 € zum 1. August 2024 und 1. April 2025
Inflationsgeld: Auszahlung der Inflationsausgleichprämie (insgesamt 2.850 €) in zwei Tranchen: 1.500 € zum 1. März 2024 und 1.350 € zum 1. Mai 2024
Sonstiges: Vereinbarung eines neuen Optionsmodells zur Wochenarbeitszeit mit einem Arbeitszeitkorridor zwischen 35 und 4 Stunden für Beschäftigte im Schichtdienst.
Einigung des Arbeitgeberverbandes Luftverkehr (AGVL) mit der ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (27. März 2024)
Personal: ca. 20.000 Beschäftigte (Bodenpersonal)
Laufzeit: 24 Monate (1. Januar 2024 bis 31. Dezember 2025)
Abschluss: Lohnerhöhung um 7 Prozent, mindestens um 280 €, rückwirkend zum 1. Januar 2024. Weitere Erhöhung um einen Sockelbetrag von 150 € zum 1. März 2025 und danach um 2 Prozent.
Inflationsgeld: Alle Beschäftigten erhalten ein steuer- und abgabenfreies Inflationsausgleichsgeld von insgesamt 3.000 €. Schnellstmögliche Auszahlung in Höhe von 2.000 €, restlichen 1.000 € zum 1. November 2024.
Sonstiges: Ab 2025 Erhöhung des Zuschlags zum Urlaubsgeld um 150€; Einführung einer monatlichen Schichtzulage von 3,6 Prozent vom Grundgehalt; Erhöhung des Zuschusses zum Deutschlandticket auf 30€.
Einigung des Bundesverbandes der Luftsicherheitsunternehmen (BDLS) mit der ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft sowie dbb beamtenbund und tarifunion (08.04.2024)
Personal: ca. 25.000 Beschäftigte
Laufzeit: 15 Monate (1. Januar 2024 bis 31. März 2025)
Abschluss: Lohnerhöhungen zwischen 13,1 und 15,1 Prozent; für operativ tätige betriebliche Angestellte Lohnerhöhung in drei Schritten: ab 1. April 2024 um 7,8 Prozent, ab 1. September 2024 um 3,4 Prozent und ab 1. Januar 2025 um weitere 1,5 Prozent.
Sonstiges: Aufnahme von Verhandlungen über Mehrarbeitszuschläge für Voll- und Teilzeitbeschäftigte zum Jahresende 2024.
Einigung der Deutschen Lufthansa AG mit der Unabhängigen Flugbegleiter Organisation (UFO) (10.04.2024)
Personal: ca. 19.000 Beschäftigte
Laufzeit: 36 Monate (1. Januar 2024 bis 31. Dezember 2026)
Abschluss: Lohnerhöhung in drei Schritten: ab dem 1. Mai 2024 Erhöhung um 8 Prozent, zum 1. März 2025 um 5 Prozent und zum 1. März 2026 um 3,5 Prozent.
Inflationsgeld: Schnellstmögliche Auszahlung eines Inflationsausgleichsgelds in Höhe von 3.000 €
Sonstiges: Purser-Zulagen, Erhöhung des Zuschlags zum Urlaubsgeld und der Fremdsprachenzulage
Einigung der Deutschen Telekom AG mit der ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (17. 05.2024)
Personal: ca. 58.000 Beschäftigte
Laufzeit: 24 Monate (1. April 2024 bis 31. März 2026)
Abschluss: Zum 1. Oktober 2024 Entgelterhöhung um 6 Prozent; ab 1. August 2025 weitere Erhöhung um 190 € pro Monat. Ausbildungsvergütungen und Vergütungen für Dual Studierende steigen zum 1. Oktober 2024 um 95 € und ab 1. August 2025 um 6 Prozent.
Inflationsgeld: Im Juli 2024 erhalten Beschäftigten ein steuer- und abgabenfreies Inflationsausgleichsgeld von insgesamt 1.550 €; Teilzeitbeschäftigte zeitanteilig, Auszubildende und Dual Studierende 775 €.
Einigung zwischen dem Hauptverband der Deutschen Bauindustrie, dem Zentralverband des Deutschen Baugewerbes sowie der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt für die Beschäftigten des Bauhauptgewerbes (14.06.2024)
Personal: 900.000 Beschäftigte
Laufzeit: 36 Monate (1. April 2024 bis 31. März 2027)
Abschluss: Lohnerhöhung in drei Schritten. Ab dem 1. Mai 2024 um 1,2 Prozent sowie um 230 € (West) bzw. um 2,2 Prozent zuzüglich 230 € (Ost); ab dem 1. April 2025 um 4,2 Prozent (West) und 5,0 Prozent (Ost); ab dem 1. April 2026 um 3,9 Prozent (West) und im Tarifgebiet Ost Anpassung auf das Niveau des Tarifgebiets West. Die bundesweite Lohngruppe 1 erhält eine Erhöhung um 2,2 Prozent zum 1. Mai 2024, 5,0 Prozent zum 1. April 2025 und 3,9 Prozent zum 1. April 2026.
Einigung des Bundesarbeitgeberverbandes Chemie (BAVC) mit der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie IGBCE (27.06.2024)
Personal: 585.000 Beschäftigte
Laufzeit: 20 Monaten (1. Juli 2024 bis 28. Februar 2026)
Abschluss: Lohnerhöhung in einer ersten Stufe um 2 Prozent ab 1. September 2024 und in einer zweiten Stufe um weitere 4,85 Prozent zum 1. April 2025.
Einigung des Arbeitgeberverbandes des privaten Bankgewerbes (AGV Banken) mit der ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft und dem Deutschen Bankangestellten-Verband (DBV) (03.07.2024)
Personal: 135.000 Beschäftigte
Laufzeit: 28 Monate (1. Juni 2024 bis 30. September 2026)
Abschluss: Entgelterhöhung in drei Stufen um insgesamt 10,5 Prozent: ab 1. August 2024 um 5,5 Prozent, ab 1. August 2025 um 3,0 Prozent und ab dem 1. Juli 2026 um weitere 2,0 Prozent; die Ausbildungsvergütungen steigen um 150 € zum 1. August 2024, um 50 € zum 1. August 2025 und um 50 € zum 1. Juli 2026.
Sonstiges: Verständigung über Verlängerung der Öffnungsklausel zur Beschäftigungssicherung (31-Stunden-Klausel), der Rahmenregelung zu Langzeitkonten, des Altersteilzeit-Tarifvertrages sowie des Kurzarbeits-Tarifvertrages bis Ende 2026.
Ökonomische Analyse