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Materielle Parität im Dritten Weg

Zwischen Februar und Juni 2025 einigten sich Dienstgeber- und Mitarbeiterseite der AK Caritas trotz wirtschaftlich schwieriger Lage auf einen Tarifabschluss für die Ärztinnen und Ärzte in den Caritas-Krankenhäusern. Kritiker sprachen in diesem Kontext vom Dritten Weg als „Einbahnstraßenmodell zugunsten der Dienstgeber“. Der Artikel legt die Grundsätze der Verhandlungsparität von Dienstgebern und Mitarbeitern im Dritten Weg dar.

Zwischen Februar 2025 und Juni 2025 verhandelten Dienstgeber- und Mitarbeiterseite der Arbeitsrechtlichen Kommission des Deutschen Caritasverbandes e.V. unter anderem über die Tarife der Ärztinnen und Ärzte in Caritas-Krankenhäusern. Die Verhandlungen fanden unter schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen statt und verlangten beiden Seiten einiges an Kompromissbereitschaft ab. Schon kurz nach der Einigung wurden allerdings Stimmen laut, die das System des Dritten Wegs zum Teil scharf kritisierten. Die Rede war zum Beispiel von einem „Einbahnstraßenmodell zugunsten der Dienstgeber“. Daher soll im Folgenden gezeigt werden, dass im Dritten Weg Dienstgeber und Mitarbeiter nicht in einem Über- Unterordnungsverhältnis, sondern auf Augenhöhe verhandeln.

I. Zusammenwirken von Dienstgebern und Mitarbeitern in Dienstgemeinschaften

Die Dienste und Einrichtungen der Caritas verstehen sich nicht als weltliche Unternehmen, die sich vor allem wirtschaftlich und gewinnorientiert betätigen, sondern als Teil des Dritten Wegs, also als Dienstgemeinschaften, in denen es Dienstgebern und Mitarbeitern in erster Linie um ein bewusstes Zusammenwirken im Geiste eines christlichen Auftrags geht. Und anders als vielfach behauptet, dient der Begriff der „Dienstgemeinschaft“ nicht dazu, die Rechte der Mitarbeiter zu beschränken, also Gewerkschaften „draußen zu halten“ und Tarifverträge zu verhindern. Im Gegenteil: schon die Grundordnung des kirchlichen Dienstes vom 22. November 2022 (GrO) weist sowohl den Dienstgebern als auch den Mitarbeitenden in Dienstgemeinschaften Rechte und Pflichten zu, insbesondere im Hinblick auf ihr Zusammenwirken.

Auch christliche Dienstgemeinschaften agieren nicht im wirtschafts- und wettbewerbsfreien Raum. Spätestens seit Beginn des 21. Jahrhundert stehen sie in einem doppelten Wettbewerb – einerseits um Arbeitskräfte und andererseits um Marktanteile und Kunden. Die tariflichen Verhandlungen in der Arbeitsrechtlichen Kommission des Deutschen Caritasverbandes e.V. (AK Caritas) werden durch den zunehmenden Wettbewerbsdruck erschwert. Allerdings werden die Grundsätze des Dritten Wegs, insbesondere das partnerschaftliche Miteinander von Dienstgeberseite und Mitarbeiterseite auf Augenhöhe durch diese wirtschaftlichen Entwicklungen nicht angetastet.  

II. Materielle Parität im weltlichen Arbeitsrecht

Interessanterweise wird ein paritätisches Verhältnis im weltlichen Tarif- und Arbeitskampfrecht – also zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden – kaum ernsthaft in Frage gestellt, obwohl Gewerkschaften sich dieses Verhältnis auf Augenhöhe erst erarbeiten bzw. erkämpfen müssen. Um nämlich als Ansprech- bzw. Tarifpartner auftreten zu können, müssen Gewerkschaften erst einmal die sogenannte Tariffähigkeit erlangen, was insbesondere eine gewisse soziale Mächtigkeit voraussetzt.  Eine Gewerkschaft ist erst dann sozial mächtig und damit tariffähig, wenn sie über eine breite Mitgliederbasis, ausreichend finanzielle Mittel für Zeiten der Arbeitskämpfe und eine möglichst breitgestreute Mitgliederbasis in zahlreichen Unternehmen verfügt. Dies zeigt schon, dass eine Gewerkschaftsneugründung nahezu unmöglich ist, weil eine Gewerkschaft für potenzielle Mitglieder nur dann interessant ist, wenn sie auch tariffähig also durchsetzungsfähig ist, allerdings diese Durchsetzungsfähigkeit erst erlangt, wenn ihre Mitgliederbasis ausreichend groß ist. Ebenso wird die Möglichkeit einer Gewerkschaft, über Arbeitskämpfe ausreichenden Druck auf die Arbeitgeberseite auszuüben im modernen Wirtschaftsleben immer weiter erschwert. Wo zum Beispiel Onlinegroßhändler durch moderne Informationstechnologien die Möglichkeit haben, Kapazitäten schnellstmöglich von einem Standort an den anderen – teilweise ins Ausland – zu verlagern, kann ein Streik an einem einzelnen Standort kaum Druck auf den Arbeitgeber ausüben.

Paritätsverhältnisse im weltlichen Tarif- und Arbeitskampfrecht unterliegen also einem beständigen Wandel. Das bedeutet, dass Gewerkschaften zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht nur die Aufgabe haben, zu wachsen, um eine gewisse soziale Mächtigkeit zu erlangen, vielmehr verlangt der ständige wirtschaftliche Wandel den Gewerkschaften auch ab, sich ständig auf neue wirtschaftliche Begebenheiten einzustellen und ihre Kampfstrategien ständig zu überdenken.

III. Materielle Parität im kirchlichen Arbeitsrecht

1. Gleichberechtigtes Miteinander in der Arbeitsrechtlichen Kommission

Ganz anders sieht es im kollektiven Arbeitsrecht des Dritten Wegs aus. Die formelle und materielle Parität, wie sie für die katholische Kirche in der GrO vorgegeben und in verschiedenen Ordnungen genauer ausgestaltet ist, befreit die Mitarbeiterseite vor allem davon, ihre Energien in den Aufbau und Unterhalt „schlagkräftiger“ Strukturen investieren zu müssen, denn es werden entsprechende Infrastrukturen und Geldmittel zur Verfügung gestellt, namentlich eine Geschäftsstelle, die die Sitzungen von Bundeskommission und Regionalkommissionen vorbereitet und durchführt, genauso wie die Mittel zum Aufbau und unterhalt eigener Geschäftsstellen der Dienstgeber- und Mitarbeiterseite, sodass beide Seiten sich entsprechendes Personal suchen und entsprechende Sachmittel anschaffen können.

Daneben gewährleistet die Ordnung der AK Caritas (AK-O) die formelle Parität bei Verhandlungen zwischen Dienstgeber- und Mitarbeitervertretern. § 2 AK-O legt fest, dass Dienstgeberseite und Mitarbeiterseite in den Gremien der AK Caritas zahlenmäßig gleich stark vertreten sind – in der Bundeskommission sitzen 28 Vertreter der Mitarbeiterseite und 28 Vertreter der Dienstgeberseite. An anderer Stelle wurde bereits beschrieben, dass in allen Kommissionen von Kirche und Caritas Beschlüsse zur Regelung von Arbeitsbedingungen zu ihrer Wirksamkeit typischerweise mindestens einer Mehrheit von zwei Dritteln oder drei Vierteln der Kommissionsmitglieder bedürfen. Damit wird vor allem ausgeschlossen, dass eine der beiden Seiten (die jeweils die Hälfte der Kommissionsmitglieder stellen) die andere Seite einfach überstimmen kann. Die Notwendigkeit des Erreichens dieser qualifizierten Mehrheiten trägt vielmehr entscheidend zur tatsächlichen Kompromissfindung beider Seiten bei, denn die genannten qualifizierten Mehrheiten zwingen zur Findung eines Kompromisses, der von einem größtmöglichen Teil der Kommissionsmitglieder getragen wird. Im gerade verlinkten Artikel wurde ebenso gezeigt, dass die Vermittlungsverfahren, die in der AK Caritas vorgesehen sind, ebenfalls so ausgestaltet sind, dass dort auf Augenhöhe verhandelt wird.

2. Unabhängigkeit der Mitarbeitervertreter

Entscheidend ist zudem, dass die Vertreter der Mitarbeiterseite weder in sozialer noch in tatsächlicher Hinsicht von den Dienstgebervertretern abhängig sind. Selbstverständlich stellt sich in allen Gremien, in denen Dienstgeber- und Mitarbeitervertreter gemeinsam tätig sind, die Frage, ob die Mitarbeitervertreter, die regelmäßig wirtschaftlich an ihr Dienstverhältnis und damit an ihren Dienstgeber gebunden sind, wirklich frei agieren können. Aber für diese Fälle existieren sowohl im weltlichen als auch im kirchlichen Arbeitsrecht Schutzvorschriften. Mitarbeitervertreter der AK Caritas genießen den gleichen Kündigungsschutz wie zum Beispiel Mitglieder eines Betriebsrats in einem weltlichen Unternehmen und sind wie diese vor Diskriminierungen und Behinderungen ihrer Arbeit geschützt. Darüber hinaus sind die Mitarbeitervertreter in der AK Caritas ganz oder teilweise von ihren Dienstpflichten freigestellt, um sich auf diese wichtige Aufgabe konzentrieren zu können und werden mit den nötigen finanziellen Mitteln ausgestattet, um sich gemeinsam vor Ort umfänglich auf die jeweilige Sitzung beziehungsweise Verhandlungsrunde vorbereiten zu können.

3. Im Dritten Weg sind alle beteiligt…

Dies alles ergibt sich aus den Artikeln 9 und 10 der GrO, in der die Grundsätze einer formell und materiell paritätischen Zusammenarbeit von Dienstgeber- und Mitarbeiterseite festgelegt sind. Dort wird vor allem betont, dass sich die katholische Kirche den Grundsätzen einer christlichen Dienstgemeinschaft verpflichtet sieht, was insbesondere den Grundsatz der partnerschaftlichen Lösung von Interessengegensätzen beinhaltet. So sind Mitarbeiter im kirchlichen Dienst aufgrund des Wesens christlicher Dienstgemeinschaften davon befreit, Gewerkschaften zu gründen und Tarifverträge notfalls mit Streik zu erkämpfen. Entscheidender ist aber, dass durch das System des Dritten Wegs alle Mitarbeiter im Dienst von Kirche und Caritas in das System der Aushandlung kollektiver Vereinbarungen eingebunden sind, da alle Mitarbeiter berechtigt sind, ihre Vertreter zu wählen. Im weltlichen Arbeitsrecht nimmt dagegen die Gewerkschaftsbindung immer weiter ab, sodass sich in einigen Branchen die Frage stellt, ob die tarifschließenden Gewerkschaften überhaupt noch eine repräsentative Funktion für sich in Anspruch nehmen können.

4. … auch Gewerkschaften, wenn sie wollen.

Trotz dieses Mitgliederschwunds und ganz unabhängig von der Anzahl gewerkschaftlich orientierter Mitarbeiter in Caritas-Einrichtungen haben Gewerkschaften das Recht, zusätzlich zu den gewählten Vertretern der Mitarbeiterseite eine bestimmte Anzahl ihrer Vertreter in die AK Caritas zu entsenden – aktuell bis zu drei Vertreter in die Bundeskommission. Hierbei handelt es sich nicht um eine „Katzentisch“-Beteiligung, sondern um eine Beteiligung, die die Gewerkschaften dazu anhält, in der jeweiligen Fraktion der Mitarbeiterseite für die eigenen Positionen Mehrheiten zu finden.

Dabei haben Gewerkschaften bei der Entsendung de facto ein Entscheidungsmonopol, denn sofern sie ihr Entsendungsrecht im Rahmen der Vorgaben der AK-O in Anspruch nehmen, ist dies nicht von einer Zustimmung oder Genehmigung durch die AK Caritas abhängig.

IV. Schlussbemerkung

Materielle Parität im weltlichen Tarifvertrags- und Arbeitskampfrecht muss von Gewerkschaften erworben bzw. erkämpft werden, denn ausgewogene Tarifverträge sind nur dann zu erwarten, wenn beide Seiten auf Augenhöhe miteinander verhandeln. Ansonsten droht ein Tarifvertrag oder ein Arbeitskampf einseitig zugunsten der anderen Partei auszufallen. Die Notwendigkeit zur Erkämpfung bzw. Erlangung einer Gleichwertigkeit mit der Arbeit- bzw. Dienstgeberseite ist dem kirchlichen kollektiven Arbeitsrecht – im Gegensatz zum nicht-kirchlichen Bereich – fremd. Ein Wesensmerkmal des Dritten Wegs ist die Gewährleistung formell und materiell paritätischer Regelungen, wie es dem Grundgedanken einer Dienstgemeinschaft entspricht. 

Die formelle und materielle Parität, wie sie für die katholische Kirche vorgegeben ist, befreit die Mitarbeiterseite einerseits davor, ihre Energien in den Aufbau „schlagkräftiger“ Strukturen investieren zu müssen, vor allem aber gewährleisten die hier vorgestellten Regelungen ein tatsächliches Miteinander von Dienstgeber- und Mitarbeiterseite auf Augenhöhe durch eine umfassende arbeitsrechtliche Absicherung der Mitarbeitervertreter, ausreichende Sachmittel für deren Arbeit, durch qualifizierte Mehrheiten sowie Vermittlungsverfahren, die verhindern, dass die eine Seite die andere überstimmen kann.

Arbeitsrechtliche Analyse

Autor/-in: Dr. Florian Bauckhage-Hoffer

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