Leiharbeit in der Pflege dank attraktiver tariflicher Arbeitsbedingungen rückläufig – die Politik bleibt gefordert
Am 12. November 2024 veröffentlichte die Bundesregierung ihre Antwort auf die kleine Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion „Sachstand der Arbeitnehmerüberlassung in der Pflege und im Krankenhaus“ (Bundestag BT-Drs: 20/13759). Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hatte in ihrer kleinen Anfrage nach der Anzahl von Leiharbeitskräften beim Pflegepersonal sowie bei Ärzten gefragt – ferner nach den Arbeitsbedingungen der Leiharbeitskräfte, aber auch danach, wie sich ein Verbot der Leiharbeit in der Pflege nach den Erkenntnissen der Bundesregierung auswirken werde. Die Antwort der Bundesregierung zeigt auf, dass gute Arbeitsbedingungen in der Pflege- und Gesundheitsbranche offensichtlich zum Rückgang der Arbeitnehmerüberlassung beitragen. Die Bundesregierung stiehlt sich mit ihrer Antwort an einer entscheidenden Stelle jedoch aus der Verantwortung.
1. Einsatz von Drittpersonal in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen
Der Einsatz von Drittpersonal in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen ist ein verbreitetes Phänomen, die Gründe hierfür sind komplex und vielfältig. Bevor die von der Bundesregierung genannten Gründe und Herausforderungen im Zusammenhang mit der Leiharbeit näher beleuchtet werden, werden die drei meistverbreiteten Modelle des Einsatzes von Drittpersonal vorgestellt.
1.1. Einsatz von „Selbständigen“
Kennzeichnend für diese Art des Personaleinsatzes ist der Abschluss eines Dienst- oder Werkvertrags zwischen der selbständigen Person und dem Auftraggeber, nicht aber der Abschluss eines Arbeitsvertrags. Der Dienst- oder Werkvertrag verpflichtet den Auftraggeber nicht dazu, für den Selbständigen Steuern und Sozialversicherungsbeiträge abzuführen und gibt dem Auftraggeber spiegelbildlich auch nicht das Recht, gegenüber dem Selbständigen das arbeitgeberische Direktionsrecht auszuüben. Andererseits sind Selbständige in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen (insbesondere, wenn sie als Pflegekräfte etc. tätig werden) regelmäßig in die Organisation und die Abläufe in der Einrichtung eingebunden, dies gilt z.B. für fest vereinbarte Arbeitszeiten oder Arbeitseinsätze, oftmals müssen Selbständige auch unverzüglich anzeigen, wenn sie krankheitsbedingt nicht zum Einsatz kommen. Und hierdurch wird der Einsatz von Selbständigen zum Risiko für den Auftraggeber: Nach § 611a BGB ist eine Person Arbeitnehmer (bzw. Beschäftigter nach § 7 SGB IV), wenn sie „weisungsgebunden“ ist und dies ist der Fall, wenn die Person nicht die eigenen Tätigkeiten selbstbestimmt gestalten und nicht die eigenen Arbeitszeiten selbst bestimmen kann. Sollte im Fall einer Überprüfung in der Einrichtung festgestellt werden, dass dort „Selbständige“ tätig sind, die in Wirklichkeit so sehr in die Abläufe eingebunden sind, dass sie nach § 611a BGB als Arbeitnehmer zu betrachten sind, so liegen Fälle von „Scheinselbständigkeit“ vor und in diesen Fällen muss der Träger der Einrichtung damit rechnen, die nicht gezahlten Sozialversicherungsbeiträge (Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile) für die Scheinselbständigen für bis zu vier Jahre (in Ausnahmefällen auch länger) nachzuentrichten, § 25 SGB IV. Aufgrund dieses Risikos ist der Einsatz insbesondere von „selbständigen Pflegekräften“ mittlerweile eine reine Ausnahmeerscheinung.
1.2 Einsatz von Werk- oder Dienstleistungsunternehmen
Bei diesem Modell drohen die Risiken der Scheinselbständigkeit nicht, da das eingesetzte Personal unstreitig nicht als selbständige Personen, sondern als Arbeitnehmer des Werk- oder Dienstunternehmers eingesetzt wird. Im Bereich Pflege- und Betreuung in Altenpflegeeinrichtungen hat sich dieses Modell jedoch nie durchgesetzt, weil solche Kooperationen zwischen Einrichtungsträger und Werk- bzw. Dienstleistungsunternehmen durch die meisten Rahmenverträge auf Landesebene entweder untersagt oder nur unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt sind. In anderen Bereichen, wie im Küchendienst, Reinigungsdienst oder im technischen Dienst einer stationären Pflegeeinrichtung sind solche Modelle dagegen regelmäßig zu finden.
Charakteristisch für den Einsatz von Dienstleistungs- oder Werkunternehmen ist die Aufgabenverteilung, wonach zwischen Auftraggeber und Dienstleistungs- oder Werkunternehmer genau vereinbart wird, wann und wie welche Leistungen zu erbringen sind. Bei der Organisation der vereinbarten Leistungen ist der beauftragte Unternehmer jedoch frei und übt auch das arbeitgeberische Direktions- oder Weisungsrecht gegenüber seinen Beschäftigten aus.
1.3 Leiharbeit bzw. Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG)
Leiharbeit bzw. Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des AÜG unterscheidet sich von den zuvor genannten Dienst- und Werkverträgen vor allem dadurch, dass der Verleiher durch den Arbeitnehmerüberlassungsvertrag auch das arbeitgeberische Direktions- oder Weisungsrecht auf den Auftraggeber (Entleiher) überträgt. Leiharbeitnehmer werden also im Betrieb oder in der Einrichtung des Entleihers also größtenteils genauso behandelt, wie das Stammpersonal. Dadurch, dass der Träger der Einrichtung durch die Leiharbeit wie der Arbeitgeber der Leiharbeitnehmer auftritt, stellt Leiharbeit keinen Fall verbotener Kooperationen dar, wie es bei Dienst- oder Werkverträgen oftmals der Fall ist. Ebenso drohen im Falle von Leiharbeit nicht die sozialrechtlichen Konsequenzen wie im Fall der oben genannten Scheinselbständigkeit. Daher hat sich Leiharbeit bzw. Arbeitnehmerüberlassung in der Pflege- und Gesundheitswirtschaft mittlerweile als gängiges Beschäftigungsmodell etabliert.
Aus der Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion geht hervor, dass im März 2024 etwa 39.000 Pflegekräfte, also 2,3 Prozent aller Pflegekräfte als Leiharbeitnehmer beschäftigt waren. Dies stellt einen Rückgang von 10 Prozent gegenüber dem Vorjahr dar.
2. Leiharbeit: eine Herausforderung für Einrichtungen und Pflegebedürftige?
Aus der Antwort der Bundesregierung geht ausdrücklich hervor, dass Leiharbeitnehmer im Median etwas mehr verdienen (4.015 Euro) als Pflegekräfte, die zum Stammpersonal in Pflegeeinrichtungen gehören (3.865 Euro). Ebenso erwähnt die Bundesregierung in ihrer Antwort, dass Leiharbeitnehmer oftmals nicht zu Nacht- und Wochenenddiensten eingesetzt werden. Schließlich heißt es in der Antwort der Bundesregierung, dass auch Mehrarbeits- bzw. Überstunden von Leiharbeitskräften in der Regel sofort ausbezahlt werden. Damit enthält die Antwort der Bundesregierung zwei zentrale Aussagen:
- Einerseits sind die Arbeitsbedingungen für Leiharbeitskräfte in der Pflegebranche im Hinblick auf Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeitszeiten sowie im Hinblick auf die Entlohnung statistisch gesehen besser als die Arbeitsbedingungen für das Stammpersonal in Pflegeeinrichtungen.
- Andererseits ist die Zahl der Leiharbeitskräfte in der Gruppe der Pflegekräfte seit 2023 – dem Jahr, in dem Pflegeeinrichtungen erstmals verpflichtet waren, ihren Beschäftigten in Pflege und Betreuung tarifgemäße Entlohnungen zu zahlen, §§ 72, 82c SGB XI – spürbar rückläufig.
Diese beiden Aussagen lassen in ihrem Zusammenspiel darauf schließen, dass Leiharbeit in der Pflege weniger von den Pflegeeinrichtungen forciert wird, um Auftragsspitzen abzudecken oder den eigenen Personaleinsatz zu flexibilisieren; vielmehr streben Pflegekräfte selbst in Leiharbeitsverhältnisse, wenn dort bessere Arbeitsbedingungen vorherrschen. In dem Moment, in dem sich die Arbeitsbedingungen in der Pflegebranche insgesamt verbessern, wie durch die Verpflichtungen zur tarifgemäßen Entlohnung, lässt die Attraktivität von Leiharbeitsverhältnissen im Vergleich zu regulären Arbeitsverhältnissen nach und der Anteil an Leiharbeitskräften geht zurück.
Diese Schlussfolgerung wird durch die Situation bei den Caritas-Dienstgebern bestätigt, wonach der Anteil von Leiharbeitsverhältnissen in Caritas-Pflegeeinrichtungen bereits in den letzten zwei Jahren bei lediglich 0,5 Prozent lag, also deutlich unter den Werten, die die Bundesregierung für die Jahre vor 2024 angegeben hat. Die in den AVR Caritas vereinbarten Arbeitsbedingungen, insbesondere die dort vereinbarten Entlohnungen, Urlaubsregelungen, Familienzuschläge etc. haben einen Attraktivitätsgrad, der dafür sorgt, dass es in Caritas-Einrichtungen nie großflächig zu einer „Flucht in die Leiharbeit“ gekommen ist.
Leiharbeit stellt also keine allgemeine Herausforderung für Pflegeeinrichtungen dar, wenn dort gute Arbeitsbedingungen gelten. Pflegeeinrichtungen selbst können durch Entlohnung, Urlaubstage, Angebote zum betrieblichen Gesundheitsschutz, geistliche Angebote, Maßnahmen zur Personalentwicklung etc. für solch gute Arbeitsbedingungen sorgen und damit Stammpersonal gewinnen. Die AVR Caritas sind beispielhaft hierfür.
3. Offene Fragen
Trotz des genannten Rückgangs der Leiharbeit in der Pflege gehen sowohl die CDU/CSU-Bundestagsfraktion als auch die Bundesregierung offensichtlich von weiterem Handlungsbedarf aus. In ihrer Antwort sieht die Bundesregierung vor allem die Träger von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen in der Pflicht, für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen und damit sowohl dem Fachkräftemangel als auch dem Phänomen der Leiharbeit entgegenzuwirken.
Dieser Ansatz greift zu kurz: Pflegeeinrichtungen können (wie gesagt) durch AVR oder Tarifverträge gute Arbeitsbedingungen schaffen. Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser können ihren Beschäftigten indessen Sonn-, Feiertags- und Nachteinsätze nicht vollumfänglich ersparen. Sollte die Bundesregierung der Ansicht sein, dass die Arbeitsbedingungen im Bereich der Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit verbesserungsbedürftig sind, so wird sich dies nicht allein durch entsprechende tarifliche Zuschläge oder Freizeitausgleiche lösen lassen. Hier ist vielmehr der Gesetzgeber gefordert, der z.B. durch flexiblere Arbeitszeitregelungen dafür sorgen könnte, dass z.B. junge ungebundene Menschen, für die Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeiten aufgrund der gezahlten Zuschläge attraktiv sind, solche Dienste auch im gewünschten Umfang leisten können. Ebenso wären politische und finanzielle Unterstützungsmaßnahmen beim Ausfall- oder Vertretungsmanagement in Pflegeeinrichtungen denkbar – wie z.B. die Schaffung von Refinanzierungsmöglichkeiten für Personalreserven.
Der Gesetzgeber bleibt gefordert, wenn es darum geht, die Attraktivität der Pflegeberufe zu steigern – gerade, wenn die Tarifpartner ihren Teil hierzu verstetigt beitragen.
Arbeitsrechtliche Analyse