Die Digitalisierung im Arbeitsgerichtsverfahren – Schriftsatzkündigungen als Option im Kündigungsschutzprozess
Mit Wirkung zum 17. Juli 2024 wurde das Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) um eine Neuerung erweitert: eine Formfiktion für empfangsbedürftige Willenserklärungen gemäß § 46h ArbGG. Durch diese Norm wird die wirksame Abgabe sowie der wirksame Zugang von formbedürftigen Willenserklärungen erleichtert, die in bei Gericht elektronisch eingereichten Schriftsätzen enthalten sind.
Die Neuregelung
§ 46h Formfiktion Ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die der schriftlichen oder elektronischen Form bedarf, klar erkennbar in einem vorbereitenden Schriftsatz enthalten, der als elektronisches Dokument nach § 46c bei Gericht eingereicht und dem Empfänger zugestellt oder mitgeteilt wurde, so gilt die Willenserklärung als in schriftlicher oder elektronischer Form zugegangen. Dies gilt auch dann, wenn die Ersetzung der schriftlichen Form durch die elektronische Form ausgeschlossen ist. |
Die Idee hinter der Neuregelung
Diese Regelung hat nach dem Willen des Gesetzgebers den Zweck, den elektronischen Rechtsverkehr zu fördern. Durch diese Norm wird die wirksame Abgabe sowie der wirksame Zugang von formbedürftigen Willenserklärungen erleichtert, die in Schriftsätzen enthalten sind, die wiederum bei Arbeitsgerichten eingehen.
Mit dieser Regelung könnte die sogenannte Schriftsatzkündigung wiederbelebt werden, eine prozesstaktische Möglichkeit, die seit der Digitalisierung arbeitsgerichtlicher Verfahren kaum noch genutzt wird.
Unter einer sog. Schriftsatzkündigung versteht man die Kündigung eines Rechtsverhältnisses, die aus prozesstaktischen Gründen zusätzlich im Rahmen eines laufenden Rechtstreits als Inhalt eines Anwaltsschriftsatzes ausgesprochen wird. Diese Art der Kündigung spielt insbesondere bei Arbeitsrechtsprozessen rund um die Beendigung von Arbeitsverhältnissen eine Rolle. |
Oft war es in der Vergangenheit so, dass ein Rechtsstreit um die Wirksamkeit einer Kündigung geführt wurde und dann im Rahmen eines der gewechselten Anwaltsschriftsätze bei Gericht, offen oder versteckt eine weitere Kündigung ausgesprochen wurde, um deren Wirksamkeit dann zusätzlich gestritten wurde.
Nachdem allerdings seit dem 1. Januar 2022 Rechtsanwälte mit Gerichten ausschließlich elektronisch unter Verwendung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) kommunizieren müssen, also kein Schriftsatz mehr mit einer eigenhändigen Unterschrift des Rechtsanwalts bei Gericht eingeht, stellte sich die Frage, ob eine solche Schriftsatzkündigung, wenn das Gesetz Schriftform vorschreibt, überhaupt noch wirksam ausgesprochen werden konnte.
Die Situation vor der Neuregelung des § 46h ArbGG
Durch die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs bei den Arbeitsgerichten war der Ausspruch von Schriftsatzkündigungen durch den Arbeitgeber bzw. seinen Prozessbevollmächtigten kaum mehr möglich. Derartige Kündigungen scheiterten an der Nichteinhaltung des Schriftformerfordernisses gemäß § 623 BGB.
Denn zur Einhaltung der Schriftform muss die Kündigung vom Arbeitgeber als Erklärender eigenhändig unterschrieben (§ 126 Abs. 1 BGB) werden und – da es sich um eine empfangsbedürftige Willenserklärung handelt – in dieser Form auch dem Arbeitnehmer als Erklärungsempfänger zugehen (§ 130 Abs. 1 S. 1 BGB). Wird die formbedürftige Kündigung von einem Vertreter des Arbeitgebers mit eigenem Namen unterzeichnet, so muss die Stellvertretung in der Urkunde zum Ausdruck kommen.
Die Neuregelung im Detail
Erfolgt eine Kündigungserklärung in einem Schriftsatz, der über das besondere Anwaltspostfach (beA) an das Gericht übersandt wird, wirkt die Erklärung so, als sei die Schriftform eingehalten, soweit folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
- Es handelt sich um eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die der schriftlichen oder elektronischen Form bedarf. Dies ist bei Kündigungen des Arbeitsverhältnisses der Fall.
- Die Willenserklärung ist klar erkennbar in einem vorbereitenden Schriftsatz enthalten. Im Einzelfall müssten Gerichte auslegen, ob die Erklärung „klar erkennbar“ und nicht versteckt war.
- Der Schriftsatz wurde als elektronisches Dokument gemäß § 46c ArbGG bei Gericht eingereicht. Dies ist bei anwaltlichen Schriftsätzen ohnehin verpflichtend.
Der Schriftsatz wurde dem Empfänger zugestellt oder mitgeteilt. Grundsätzlich ist die Zustellung an den Arbeitnehmer und nicht an seinen Bevollmächtigten entscheidend. Hat der verteidigende Anwalt allerdings einen sog. Schleppnetzantrag gestellt, ist der Anwalt auch zur Entgegennahme aller Kündigungen ermächtigt, die mit dem Antrag verbunden sind. In diesem Fall reicht die Zustellung an den Anwalt des Klägers.
Ein Schleppnetzantrag ist ein Antrag, mit dem der Arbeitnehmer sich pauschal auch gegen zukünftige Kündigungen wehrt. |
Werden diese Anforderungen des § 46h ArbGG nicht gewahrt, ist die Kündigung formunwirksam, sodass auch nach Ablauf der dreiwöchigen Präklusionsfrist die Wirksamkeit der Kündigung nicht eintreten kann. Werden die Voraussetzungen hingegen gewahrt, so gilt die Kündigung, die der gesetzlichen Schriftform bedarf, als in dieser Form zugegangen. Die Fiktion tritt ein, sobald der Schriftsatz dem Empfänger durch das Gericht oder durch Zustellung im Parteibetrieb (insb. von Anwalt zu Anwalt) zugestellt wird, solange der Schriftsatz parallel bei Gericht eingereicht wird. Die alleinige Zustellung an das Gericht ist für den Zugang nicht ausreichend.
Das Problem der Neuregelung
Ungelöst bleibt bei der Neuregelung des § 46h ArbGG die Problematik der möglichen Zurückweisung wegen des fehlenden Nachweises der Vollmacht bei Schriftsatzkündigungen.
Nach § 174 BGB kann der Empfänger die Erklärung zurückweisen, wenn der Erklärende keine Vollmacht im Original vorgelegt hat. Wenn daher der Rechtsanwalt des Arbeitgebers eine Kündigung im Schriftsatz erklärt, könnte diese vom Empfänger mangels Originalvollmacht zurückgewiesen werden. |
Schriftsatzkündigungen sind daher nur dann sinnvoll, wenn der Arbeitnehmer vorher in Kenntnis gesetzt wurde, dass der Arbeitgeber seinen Anwalt zum Ausspruch von Kündigungen bevollmächtigt hat. Wenn man dem Arbeitnehmer aber zunächst eine Originalvollmacht nebst Erklärung zustellen muss, kann auch gleich auf diesem Wege die Kündigung erklärt werden. Die Schriftsatzkündigung hätte keinen Nutzen.
Es hilft in der Regel auch nicht, wenn der Klägerseite eine Prozessvollmacht vorliegt. Denn diese erstreckt sich grundsätzlich nur auf den Streitgegenstand (§ 81 ZPO) und dieser betrifft die erste Kündigung, aufgrund derer der Prozess geführt wird. Der Ausspruch einer (zweiten oder dritten) Kündigung wäre von der Prozessvollmacht nicht erfasst, weshalb weiterhin eine eigenständige Bevollmächtigung zum Ausspruch der Kündigung erforderlich wäre.
Die Grundsätze zur anwaltlichen Bevollmächtigung gelten auch für den Arbeitnehmervertreter. Die Beauftragung eines Rechtsanwalts beinhaltet regelmäßig nicht die Vollmacht zur Entgegennahme von Kündigungen oder anderen Willenserklärungen. Der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung wird dann in der Regel der Zeitpunkt sein, in dem der Schriftsatz den Mandanten erreicht – was jedenfalls zu einer Verzögerung führen kann.
Fazit: Gut gedacht – nicht optimal gemacht
Es ist zu begrüßen, dass § 46h ArbGG die Möglichkeit schafft, im elektronischen Rechtsverkehr (Schriftsatz-)Kündigungen von Arbeitsverhältnissen formgerecht auszusprechen.
Die Umsetzung ist jedoch nicht optimal. Die Möglichkeit, eine elektronische Erklärung abgeben zu können, nützt nicht viel, wenn für diese Erklärung eine originale Vollmachtsurkunde versandt werden muss. Deshalb ist der Gebrauch von Schriftsatzkündigungen mit Risiken behaftet. Konkret besteht die Gefahr der Verzögerung durch den Empfänger (und damit eine Verlängerung der Kündigungsfrist) und vor allem der Zurückweisung der Erklärung wegen fehlender Vollmacht. Es wäre wünschenswert, wenn der Gesetzgeber noch einen Schritt weitergeht und hier Ergänzungen beschließt.
Gesetzgebung