Sozialwirtschaft in Deutschland gezielt stärken!
Die Dienstgeberseite der Arbeitsrechtlichen Kommission (DGS) ist einer der Sozialpartner des Dritten Wegs im Deutschen Caritasverband. Wir sind die Stimme der 25.000 Diensten und Einrichtungen der Caritas mit insgesamt mehr als 700.000 Beschäftigten. Als tarifpolitisches und arbeitsrechtliches Netzwerk sorgen wir für die Gestaltung und Umsetzung des Caritastarifs (AVR Caritas). Wir gestalten die Arbeit in der Sozial-, Gesundheits- und Pflegebranche zukunftsfest und engagieren uns für ein modernes Arbeitsrecht, innovative Arbeitsformen sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wir stehen für eine am Menschen orientierte Sozialwirtschaft auf Basis des christlichen Menschenbilds.
Der Dritten Weg als paritätisches Gestaltungsmittel von Arbeitsbedingungen verdient die volle Anerkennung in Recht und Politik. Daher treten wir konsequent für eine wirkliche Gleichstellung von Tarifverträgen und kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinien ein. Wo Gesetze Öffnungsklauseln für Tarifverträge enthalten, muss dies stets auch für kirchliche AVR gelten.
Deutschland steht vor tiefgreifenden arbeitsmarktpolitischen und arbeitsrechtlichen Herausforderungen. Der demografische Wandel führt zu einem wachsenden Fach- und Arbeitskräftemangel und bindet zunehmend potentielle Arbeitskräfte innerhalb der Familien für die Pflege älterer Angehöriger. Die Sozialwirtschaft spielt in diesem Kontext eine Schlüsselrolle: Ihr Bedarf an Fach- und Arbeitskräften wird weiter steigen, während sie zugleich durch verlässliche Betreuungsangebote die Funktionsfähigkeit des gesamten Arbeitsmarktes unterstützt. Insbesondere die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände sind zentrale Akteure im sozialen Sektor. Sie stellen Betreuungsplätze sowie Anlaufstellen für pflegebedürftige Menschen, Kinder und Jugendliche, Menschen mit Behinderungen, sozial Benachteiligte sowie zugewanderte und geflüchtete Menschen bereit. Damit leisten sie nicht nur einen essentiellen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt, sondern tragen auch maßgeblich zur Stabilität anderer Wirtschaftsbereiche bei.
Um ihre wichtigen Aufgaben auch in Zukunft erfüllen zu können, benötigen Kirche und Caritas jedoch verlässliche und geeignete Rahmenbedingungen.
1. Dritten Weg als wertvolle Art der Arbeitsrechtssetzung anerkennen
Die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände in Deutschland regeln ihre Arbeitsbedingungen traditionell über den Dritten Weg, also über Arbeitsrechtliche Kommissionen, in denen sich Dienstgeber- und Mitarbeitervertreter paritätisch begegnen und im Geist christlicher Dienstgemeinschaften einvernehmlich nach Lösungen suchen. Daher sind Streiks mit ihren erheblichen wirtschaftlichen Kosten und Risiken in Kirche und Caritas nicht nur überflüssig, sondern auch systemwidrig.
Konsens hat Potential – den Dritten Weg erhalten
Gleichwohl fordern politische Akteure und Gewerkschaften immer wieder eine Abkehr vom Dritten Weg und die Ausdehnung des weltlichen Tarif- und Arbeitskampfrechts auf die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände. Die Entwicklung der Löhne und der sonstigen Bestimmungen in den AVR der Caritas zeigen aber, dass gerade die Beschäftigten der Caritas aufgrund des konsensualen Systems von besonders hohen Löhnen und Schutzstandards in der Sozialwirtschaft profitieren. Der Dritte Weg muss als gleichwertiges Mittel zur Ausgestaltung von Arbeitsbedingungen erhalten bleiben.
2. Kirchliche AVR und Tarifverträge gleichstellen
Der Gesetzgeber muss anerkennen, dass kirchliche Arbeitsvertragsrichtlinien Tarifverträgen in nichts nachstehen und auf dem konsensualen Weg mindestens ebenso attraktive Arbeitsbedingungen geschaffen werden. Daher müssen konsequent neben Öffnungsklauseln für Tarifverträge auch Öffnungsklauseln für kirchliche AVR in die entsprechenden Gesetze aufgenommen werden.
Kirchliche AVR bieten den gleichen Schutz wie Tarifverträge
3. Orientierung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns an der Tarifentwicklung statt politisch motivierter Mindestlohnfestlegung
Um die Tarifautonomie nicht zu gefährden, muss sich die Festlegung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns konsequent an der Tarifentwicklung orientieren. Eine gesetzgeberische, politisch motiviert Festsetzung dieses Mindestlohns muss unterbleiben. Statt willkürlicher Eingriffe ist eine konsequente Orientierung des Mindestlohns an der Entwicklung der Tariflöhne erforderlich, wie es vom Mindestlohngesetz (MiLoG) vorgesehen ist.
Mindestlöhne müssen sich an den bestehenden kirchlichen AVR und Tarifverträgen orientieren – nicht umgekehrt
Deutschland verfügt über ein sehr gut funktionierendes Tarifsystem, und insbesondere das konsensuale Modell des Dritten Wegs hat in den vergangenen Jahren zu überdurchschnittlichen Vergütungssteigerungen in den AVR Caritas geführt – und damit zu einer zukunftsweisenden und beispielgebenden Entlohnungsstruktur in der Sozialwirtschaft.
4. Flexibilisierung des Arbeitszeitrechts zur Erleichterung von Personalplanung und Personaleinsatz
Der Wechsel von einer täglichen auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit bei gleichzeitiger Lockerung der Ruhezeiten ist nötig, um mehr Flexibilität im betrieblichen Alltag zu erreichen. Das Arbeitszeitgesetz sollte dahingehend überarbeitet werden, dass zum Beispiel unter klaren Schutzregelungen 24-Stunden-Dienste möglich werden. Die hergebrachte Orientierung an täglichen Höchstarbeitszeiten ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts gerade in der Sozialwirtschaft überholt.
Gerade in der Sozialwirtschaft sind flexible Arbeitszeitregelungen nötig. Starre Tageshöchstarbeitszeiten sind überholt
In zahlreichen Einsatzbereichen (Pflege-WGs, Kinderheime, WGs für Jugendliche etc.) sind 24-Stunden-Dienste sowohl für die zu betreuenden Menschen sinnvoll als auch von Mitarbeitenden zunehmend gewollt.
Daher sollten an verschiedenen Stellen Öffnungsklauseln für Tarifverträge und kirchliche AVR in das Arbeitszeitgesetz aufgenommen werden, die z.B. eine wöchentliche statt einer täglichen Höchstarbeitszeit und eine Flexibilisierung der täglichen Ruhezeiten ermöglichen.
5. Starre und einseitige Pflicht zur Arbeitszeiterfassung verhindern
Eine allzu starre und einseitige Pflicht zur Arbeitszeiterfassung muss verhindert werden. Flexible Arbeitszeiterfassungsmodelle sind gerade in der Sozialwirtschaft notwendig, wo eine starre Arbeitszeiterfassung aufgrund der Besonderheiten der Arbeits- und Dienstverhältnisse oftmals nicht möglich ist. Vertrauensarbeitszeit und selbstbestimmte Arbeitszeitdokumentationen müssen möglich bleiben.
Gerade in der Sozialwirtschaft müssen Vertrauensarbeitszeitmodelle möglich sein
In Fällen von Vertrauensarbeitszeit – die insbesondere für Beschäftigte auf unteren oder mittleren Leitungsebenen grundsätzlich möglich sein muss – oder in besonderen Arbeitsverhältnissen wie in Kinderheimen und Jugend-WGs sollte die Dokumentationspflicht entfallen können. Alternativ sollte die Erfassung in der Verantwortung der Beschäftigten liegen, ohne dass eine anlasslose Kontroll- oder Präventionspflicht durch den Dienstgeber besteht.
6. Verbesserung der Rahmenbedingungen für Ausfallmanagement
Flexible Personaleinsatze müssen ermöglicht werden für ein funktionierendes Ausfallmanagement. Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) muss angepasst werden, sodass auch einrichtungs- und unternehmensübergreifende Springerpools möglich werden, um Einsatzmöglichkeiten von Personal zu optimieren.
Springerpools ermöglichen, um flexible Personaleinsätze in der Sozialwirtschaft zu erleichtern und Fachkräfte im System zu halten
Bisher erlaubt das AÜG eine konzernweite Arbeitnehmerüberlassung lediglich, wenn die entsprechenden Beschäftigten „nicht zum Zweck der Überlassung“ eingestellt worden sind. Arbeitskräfte in der Sozialwirtschaft sind jedoch in der heutigen Zeit oftmals an flexiblen Arbeitseinsätzen, Sabbaticals und wechselnden Tätigkeiten interessiert, sodass Einsätze in Springerpools immer mehr auf positive Resonanz stoßen.
Solche Menschen, mit der Bereitschaft, flexibel zu arbeiten, darf die Sozialwirtschaft nicht an Zeitarbeitsfirmen verlieren, sondern muss ihre eigenen zahlreich vorhandenen Potentiale für flexible Beschäftigungsmöglichkeiten ausschöpfen können.
7. Tariftreueregelungen in der Pflege entbürokratisieren und für die Zukunft aufstellen
Die tarifliche Entlohnung in der Altenpflege muss entbürokratisiert werden. Die Pflicht zur tariflichen Entlohnung hat sich insgesamt als Erfolgsmodell erwiesen, allerdings fußt das System auf jährlichen Entlohnungsmeldungen von AVR- und tarifgebundenen Pflegeeinrichtungen. Diese jährlichen Meldungen sind zu detailliert und binden damit wertvolle personelle und sachliche Ressourcen. Darüber hinaus ist es nicht vermittelbar, dass Pflegeeinrichtungen, die vorbildlich vorangehen und sich an AVR oder Tarifverträge binden, zusätzliche Pflichten aufgetragen bekommen.
AVR- und tarifgebundene Pflegeeinrichtungen müssen von zusätzlichen bürokratischen Meldungen entlastet werden
Die Caritas-Dienstgeber fordern daher nicht nur Erleichterungen im Meldeverfahren, sondern eine Umstellung des Systems auf Ecklöhne, bei denen die jährliche Meldepflicht größtenteils auf die Verbände der betroffenen Einrichtungen übergeht.
8. Vereinfachung der Berufsanerkennungsregelungen und sprachlichen Anforderungen für Zuwanderungswillige
Die Berufsanerkennungsregelungen und die sprachlichen Anforderungen für zuwanderungswillige Fach- und Arbeitskräfte müssen erleichtert werden. Insbesondere die deutsche Pflege- und Gesundheitswirtschaft wird mittel- bis langfristig auf die Gewinnung von Personal aus dem Ausland angewiesen sein. Angesichts des eklatanten Fachkräftemangels können wir es uns nicht leisten, an starren Sprachvorgaben als Voraussetzung für die Berufsanerkennung festzuhalten.
Zuwanderungswillige Fachkräfte willkommen heißen – sie sind nicht nur eine Antwort auf den Fachkräftemangel, sondern eine Bereicherung
Zudem arbeiten bereits heute bei den Diensten und Einrichtungen der Caritas Mitarbeitende mit verschiedenen sprachlichen Hintergründen, die angesichts der genauso breiten sprachlichen Ansprüche der betreuten Menschen sehr geschätzt sind – denn: die Dienste und Einrichtungen der Caritas stehen allen offen. Vor diesem Hintergrund fordern die Caritas-Dienstgeber, dass es Zuwanderungswilligen im Einvernehmen mit der Einrichtung ermöglicht wird, ihre Sprachkenntnisse auf B2-Niveau auch nach Abschluss der Berufsanerkennung nachzuweisen. Ferner sind die Länder aufgerufen, zur Beschleunigung der Berufsanerkennungsverfahren Musterverfahren zu entwickeln, indem typische Ausbildungsinhalte verschiedener (Dritt-)Staaten zusammengefast und umfassend schematische Berufsanerkennungsinhalte gegenübergestellt werden.
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