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Neues zum Urlaubsanspruch in der Quarantäne

Keine Nachgewährung von bereits gewährtem Urlaub während Quarantäneanordnung oder jetzt vielleicht doch?

Arbeitnehmer, die sich während ihres Urlaubs wegen einer Coronainfektion, jedoch ohne ärztliches Attest in behördlich angeordnete Quarantäne begeben müssen, haben keinen Anspruch auf Nachgewährung der Urlaubstage für die Zeiten der Quarantäne – dies war die bisherige von der Rechtsprechung nahezu einhellig vertretene Rechtsauffassung. In einem vergleichbaren Fall hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm nun überraschend einem Arbeitnehmer die Nachgewährung von Urlaubstagen zugesprochen.

Bisherige Rechtsprechung

Bewilligter Urlaub während einer behördlichen Quarantäneanordnung muss nach der überwiegenden Ansicht der Gerichte vom Arbeitgeber nicht nachgewährt werden (siehe z.B. LAG Düsseldorf, Urteil vom 15.10.2021 – 7 Sa 857/21, LAG Köln, Urteil vom 13.12.2021 – 2 Sa 488/21,  LAG Schleswig-Holstein; Urteil vom 15.02.2022 - 1 SA 208/21, AG Neumünster, Urteil vom 03.08.2021 – 3 Ca 362b/21; ArbG Halle, Urteil vom 23. 06.2021 – 4 Ca 285/21; ArbG Bremen-Bremerhaven, Urteil vom 08.06.2021 – 6 Ca 6035/21).

Alle nach Festlegung des Urlaubszeitraums eintretenden urlaubsstörenden Ereignisse fallen grundsätzlich in die Sphäre des Arbeitnehmers. Eine gesetzlich in § 9 BUrlG normierte Ausnahme liege zwar vor, wenn die Verpflichtung zur Arbeitsleistung vorrangig durch Erkrankung statt durch den Urlaub suspendiert werde, eine Erkrankung i.S.d. § 2 Nr. 4 IfSG ist jedoch nicht gleichzusetzen mit einer nachgewiesenen Arbeitsunfähigkeit i.S.d. § 9 BurlG.

Voraussetzung für die Nichtanrechnung von Urlaub nach § 9 BurlG sei, dass die Tage der Arbeitsunfähigkeit während des Urlaubs durch ärztliches Attest nachgewiesen sind. Der Bescheid des Gesundheitsamtes belege lediglich, dass die Klägerin aufgrund ihres COVID-19-Befundes als Kranke i.S.d. § 2 Nr. 4 IfSG gelte. Weder das IfSG noch das EFZG gäben jedoch vor, dass eine Erkrankung (mit einer übertragbaren Krankheit) unmittelbar zu einer Arbeitsunfähigkeit führe, selbst wenn Symptome vorlägen.

Eine analoge Anwendung des § 9 BUrlG scheide aus. Es fehle bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Der Gesetzgeber habe alle Fälle, in denen eine Umverteilung des Risikos zugunsten des Arbeitnehmers stattfinden soll, abschließend in den §§ 9, 10 BUrlG geregelt. Bei den dortigen Fällen handele es sich um nicht verallgemeinerungsfähige Ausnahmevorschriften; die Anwendung auf andere urlaubsstörende Ereignisse komme nicht in Betracht, so die überwiegende Auffassung der Gerichte.

Aktuelles Urteil des LAG Hamm

Das LAG Hamm hat in einem vergleichbaren Fall nun jedoch eine gegenteilige Rechtsauffassung vertreten und in der Folge entschieden, dass die Zeiten der Quarantäne in analoger Anwendung des § 9 BUrlG nicht auf den Jahresurlaub anzurechnen und dem klagenden Arbeitnehmer zu einem späteren Zeitpunkt nachzugewähren seien (vgl. Urteil vom 27.01.2022 – 5 Sa 1030/21).

Es ging konkret um die Gutschrift von acht Urlaubstagen während einer behördlich angeordneten Quarantäne. Ein Schlosser mit einem Bruttogehalt von 3.000 €, der bei einem größeren Metall-Unternehmen angestellt ist, wurde während seines Urlaubs Ende 2020 unter Quarantäne gestellt, weil er mit einem bestätigten COVID-19-Fall in Kontakt gekommen war.

Er wollte die Urlaubstage während der Quarantäne gutgeschrieben haben. Er war der Meinung, die Quarantäneanordnungen hätten dem Erholungszweck entgegengestanden. Das LAG Hamm gab dem Beschäftigten recht.

Das Gericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass der Fall einer angeordneten Quarantäne mit der Situation eines arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers vergleichbar sei. Insbesondere komme es nicht darauf an, wie der betroffene Arbeitnehmer die Quarantäne empfinde oder ob er der Quarantäne positive Aspekte abzugewinnen könne. Vielmehr stehe die Anordnung einer Quarantäne immer einem wesentlichen Aspekt der Urlaubsgewährung entgegen, der darin bestehe, die Urlaubsgestaltung frei zu bestimmen bzw. selbstbestimmt zu gestalten. Genau dies verhinderten jedoch die geltenden Quarantäneregelungen, da sie bestimmten, wo sich eine Person aufzuhalten habe, mit wem sie Kontakt haben dürfe und ob sie sich gegebenenfalls Untersuchungen unterziehen müsse. Ebenfalls zu berücksichtigen sei dabei, dass dieser Zeitraum auch mit der Belastung verbunden sei, jederzeit einen schweren Ausbruch der Erkrankung erfahren zu können.

Bewertung

Die Rechtsauffassung des LAG Hamm überzeugt nicht. Zwar ist es richtig, dass der sich in Quarantäne befindliche Arbeitnehmer in seiner Urlaubsgestaltung eingeschränkt ist. Der Erholungszweck des Urlaubs kann aber auch während der Quarantäne – trotz örtlicher Einschränkung – weiterhin erreicht werden.

Darüber hinaus scheitert die vom LAG Hamm vorgenommene analoge Anwendung der Norm an der zwingend erforderlichen, hier jedoch fehlenden planwidrigen Regelungslücke (siehe oben).

Im Ergebnis kann daher für die Beurteilung, ob es zu einer Nachgewährung von Urlaubstagen gemäß § 9 BUrlG kommen muss, nur entscheidend sein, ob der Arbeitnehmer während seines Urlaubs nachweislich arbeitsunfähig erkrankt war.

Die sich gegen die bisherige Rechtsprechung der Instanzengerichte wendende Entscheidung des LAG Hamm führt zu einer vorübergehenden Unsicherheit für die Praxis.  Es bleibt abzuwarten, wie das Bundesarbeitsgericht (BAG) bzgl. Nichtanrechnung von Urlaub aufgrund einer behördlichen Quarantäneanordnung entscheiden wird. Derzeit sind sowohl gegen das Urteil des LAG Köln, als auch gegen das des LAG Hamm Revisionen beim BAG anhängig.

Es ist also davon auszugehen, dass das BAG die Frage der Nachgewährung von Urlaubstagen während einer behördlich angeordneten Quarantäne in absehbarer Zeit beantworten wird.

Arbeitgebern ist bis dahin weiterhin zu empfehlen, Arbeitnehmern unter Verweis auf die herrschende Rechtsprechung die Nachgewährung von Urlaubstagen für Zeiten behördlich angeordneter Quarantäneanordnung zu verweigern, sofern diese für den streitigen Zeitraum nicht zusätzlich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt haben.

Rechtsprechung

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