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Lohnrunde 2023 – Droht eine Lohn-Preis-Spirale?

Die Tarifverhandlungen für das Jahr 2023 haben begonnen. Vor dem Hintergrund zurückgehender, aber trotzdem hoher Inflationsraten stellt sich die Frage, ob die derzeitigen hohen Forderungen wirtschaftlich vertretbar sind oder ob die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale in Gang gesetzt wird.

Laut Bundesbank (Monatsbericht Februar 2023) wird die Lohnrunde 2023 einerseits durch die hohe Inflation und die Arbeitskräfteknappheit und andererseits durch die schleppende Konjunktur und die Unsicherheiten auf Grund geopolitischer Risiken geprägt sein. Derzeit laufen alte, moderate Tarife aus, die vor der Zeit der hohen Inflation geschlossen wurden. Die Tarifverdienste stiegen im Herbst 2022 zwar weiterhin moderat; die Tarifabschlüsse fielen allerdings deutlich höher aus als in den vorangegangenen Jahren. Die Eisenbahn- und die Verkehrsgewerkschaft (EVG), die größte Gewerkschaft bei der Deutschen Bahn, verlangt einen Lohnzuwachs von 12 Prozent, mindestens jedoch 650 Euro mehr monatlich. Die Gewerkschaft ver.di fordert für den Öffentlichen Dienst in Bund und Kommunen eine Lohnsteigerung von 10,5 Prozent, mindestens 500 Euro monatlich. Für die Deutsche Post wurde am Wochenende eine Einigung mit einer Laufzeit von zwei Jahren erzielt. Eine Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 3.000 Euro soll über 15 Monate wie folgt ausgezahlt werden:  im April 2023 erfolgt eine Sonderzahlung in Höhe von 1.020 Euro; ab Mai 2023 bis März 2024 soll monatlich ein Betrag von 180 Euro folgen. Die monatlichen Grundentgelte der Tarifbeschäftigten über alle Entgeltgruppen sollen ab dem 1. April 2024 um 340 Euro steigen. Die Tariferhöhung bedeutet über alle Einkommensgruppen hinweg eine durchschnittliche Steigerung von 11,5 Prozent.

Inflationsausgleichsprämie

Die Inflationsausgleichsprämie wurde von der Regierung im Rahmen der Konzertierten Aktion als Instrument zur Verfügung gestellt,  nach dem (?) Unternehmen bis Ende 2024 ihren Mitarbeitern steuer- und abgabefrei 3.000 Euro auszahlen können. Ziel war es, mit den Einmalzahlungen zunächst Druck von den Lohnverhandlungen zu nehmen. Zusätzlich zum Anstieg der tabellenwirksamen Leistungen wurden daher seit Herbst 2022 vermehrt Inflationsausgleichsprämien vereinbart. Für einzelne Branchen wie den Versicherungen fanden außerplanmäßige Nachverhandlungen statt, mit denen (?)laufende Tarifverträge um Inflationsausgleichsprämien ergänzt wurden. Im ifo Standpunkt Nr. 239 erklärte Prof. Dr. Dr. Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts, dass auch Einmalzahlungen einen Kostendruck für die Unternehmen darstellen. Außerdem sei unklar, ob diese tatsächlich zu moderaten Abschlüssen führen.

Inflationsentwicklung

Nachdem die Inflation im Oktober einen historisch hohen Wert von 11,6 Prozent (HVPI – Harmonisierter Verbraucherpreisindex) erreicht hatte, ist sie seither gesunken.  Mit den Effekten der sogenannten „Dezember-Soforthilfe“, der Übernahme der Abschlagszahlungen auf Gas- und Fernwärme durch den Staat, lag sie bei 9,6 Prozent im Dezember. Das neue Jahr startete mit einer Inflation von 9,2 Prozent im Januar und verharrt seitdem auf hohem Niveau mit 9,3 Prozent im Februar. Die Bundesbank (Monatsbericht Februar 2023) rechnet für die kommenden Monate mit einer weiteren Erholung der Preise. Für den Monat März werde der starke Anstieg der Energiepreise im Vorjahr aus der Berechnung fallen. Über die Preisentwicklung von Energie bestehe eine hohe Unsicherheit. Es sei zwar ein Rückgang der Preise zu beobachten, dennoch würden sich diese weiterhin auf einem hohen Niveau befinden.

Reallohnverlust

Aus der vorläufigen Jahresbilanz des Tarifarchivs des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung (WSI) geht für das Jahr 2022 ein gesamtwirtschaftlicher Tariflohnanstieg von 2,7 Prozent hervor (Vgl. PM vom 13.12.2022); laut den Berechnungen ergebe sich damit ein Reallohnverlust von 4,7 Prozent. Ökonomisch betrachtet seien Reallohnsenkungen als Reaktion auf den exogenen Energiepreisschock sogar geboten, so die Forscher Dr. Hagen Lesch und Lennart Eckle des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) im tarifpolitischen Bericht für das 2. Halbjahr 2022. Durch den exogenen Energiepreisschock entstünde ein Wohlfahrtsverlust für die Volkswirtschaft, der von Arbeitgebern und Arbeitnehmern (?) gleichermaßen getragen werden müssten. Unternehmen müssten auf neue Investitionen, Arbeitnehmer auf Konsum verzichten. Laut Schätzungen des Instituts für Weltwirtschaft musste Deutschland 2022 insgesamt 123 Milliarden Euro mehr für Energieimporte zahlen; für 2023 erwarte man weitere 136 Milliarden Euro.

Tariflohndynamik

Aus dem IW-Report 11/23 geht hervor, dass die Tariflohndynamik auch unter Berücksichtigung der Inflationsausgleichsprämie deutlich hinter der Preisdynamik steht. Aus stabilitätspolitischer Sicht sei es jedoch nicht ausreichend, wenn die Löhne langsamer steigen als die Inflation. Jede Lohnerhöhung, die das Produktivitätswachstum übersteige, verursache einen gewissen Kosten- und damit auch einen Preisdruck. Solange sich die Inflation im Zielbereich von zwei Prozent bewege, sei dies stabilitätspolitisch unbedenklich. Lohnsteigerungen, die die Summe aus Produktivitätswachstum und Zielinflationsrate von zwei Prozent, übersteigen, könnten einen Preisdruck ausüben, der eine Erhöhung des Leitzinses zur Folge hätte. Bei einem Produktivitätswachstum von 1 bis 1,5 Prozent würden Lohnsteigerungen in Höhe von 3 bis 3,5 Prozent kritisch werden. In den Tariflöhnen sei dieses Niveau bisher nicht erreicht worden; die Effektivlöhne, die tatsächlich gezahlten Bruttolöhne, seien jedoch mit 4,1 Prozent deutlich stärker gestiegen.

Fazit

In den jüngsten Tarifabschlüssen sind die Auswirkungen der hohen Inflation klar erkennbar. Sie sind hoch und nutzen alle in irgendeiner Form die Inflationsausgleichprämie. Dies gilt auch für den Bereich der Caritas, wo bereits im Dezember 2022 ein entsprechender Beschluss in der Arbeitsrechtlichen Kommission (AK) gefasst wurde. Die Caritas hat damals als erster Wohlfahrtsverband in Deutschland entschieden, ihren über 650.000 Mitarbeitenden insgesamt 3.000 Euro Prämie zur Abmilderung des schnellen Anstiegs der Verbraucherpreise zu zahlen. Der Beschluss ist ein erster Teil der aktuellen Tarifrunde 2023, in der die Mitarbeiterseite der Caritas die hohen Forderungen (10,5 Prozent, mindestens aber 500 Euro) aus dem öffentlichen Dienst übernommen hat.

Gleichzeitig ist aber auch zu beobachten, dass die Preise weiter steigen und die Inflationsrate nur moderat sinkt. Eine weitere Rückkopplung der hohen Lohnsteigerungen auf die Preise steht daher weiterhin im Raum. Die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale ist also nicht gebannt und wird zunehmend zum Risiko für die Gesamtwirtschaft. Um dieser Dynamik entgegenzuwirken, müsste die Europäische Zentralbank den Leitzins weiter anheben. Dies könnte sich jedoch dämpfend auf die Wirtschaft auswirken und muss daher behutsam erfolgen. Es bleibt spannend, wie sich die Entwicklung fortsetzt.

Ökonomische Analyse

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