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LAG Baden-Württemberg: Eingruppierung einer Alten­pflegerin in Tätigkeit als Heilerziehungs­pflegerin als „sonstige Beschäftigte“

Fähigkeiten und Erfahrungen auf einem eng begrenzten Teilgebiet des Aufgabenbereichs einer Heilerziehungspflegerin sind grundsätzlich keine gleichwertigen Fähigkeiten und Erfahrungen, wie sie für eine Eingruppierung als „sonstige Beschäftigte“ erforderlich wären.

Sachverhalt

Die Klägerin ist ausgebildete Altenpflegerin und seit dem Jahr 1988 bei der Beklagten beschäftigt. Nachdem die zunächst als Altenpflegerin beschäftigt war, wechselte sie im Jahr 2011 in den Bereich SGB IX, in dem Menschen mit Behinderung mit maximal Pflegegrad 3 betreut werden. Die Klägerin arbeitet seitdem in einer Wohngruppe, in der sieben Menschen mit Behinderung leben. Sie arbeitet mit ihren Kollegen, die überwiegend als Heilerziehungspfleger tätig sind, im Schichtdienst, wobei jeweils eine Pflegerin allein in der Wohngruppe arbeitet. Die Aufgabenbereiche sind dementsprechend weitgehend identisch. Seit dem Jahr 2011 nahm die Klägerin an zahlreichen Fortbildungen teil, die sich überwiegend mit dem Umgang mit Menschen mit Behinderung befassten. Seit dem Jahr 2020 verfügt sie zudem über eine pädagogische Nachqualifizierung für Pflegekräfte.

Im Dezember 2020 machte die Klägerin ihre Eingruppierung nach der Entgelttabelle für den Sozial- und Erziehungsdienst geltend und forderte schließlich auch klageweise die Vergütung nach der Entgeltgruppe (EG) S 8b, hilfsweise nach der EG S 8a. Sie sei zwar keine Heilerziehungspflegerin, aber sonstige Beschäftigte im Sinne der EG S 8b, die aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten ausübe. Ihre heilerzieherischen Tätigkeiten machten 78,47 Prozent ihrer Tätigkeit aus, weshalb sie nicht in die EG P7, sondern in die EG S 8b einzugruppieren sei.

Die Beklagte ist der Ansicht, für einen Anspruch auf Eingruppierung in die EG S 8a oder S 8b weise die Klägerin nicht nur erhebliche Defizite im Wissensgebiet eines Beschäftigten mit der geforderten Vor- und Ausbildung, sie sei auch nicht wie eine Heilerziehungspflegerin tätig.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.

Entscheidung

Das LAG hat der Berufung der Klägerin stattgegeben und einen Anspruch auf Eingruppierung in die EG S 8b bejaht. Die Klägerin sei „sonstige Beschäftigte“ im Sinne des Tätigkeitsmerkmals. Die Beklagte habe hier die Tätigkeit der Klägerin tarifwidrig „atomisiert“, indem sie die Tätigkeiten der Klägerin widernatürlich in administrative, pflegerische und heilerzieherische Tätigkeiten aufgespalten habe. Sämtliche Tätigkeiten in der Wohngruppe stellten bei einer natürlichen Betrachtungsweise einen Arbeitsvorgang im Tarifsinn dar.

Richtig sei, dass die Eingruppierung eine ähnlich gründliche Beherrschung eines entsprechend umfangreichen Wissensgebiets, wie es durch eine einschlägige Ausbildung vermittelt würde, voraussetzt, wobei Fähigkeiten und Erfahrungen auf einem begrenzten Teilgebiet nicht ausreichen. Anders als die Beklagte meint, seien diese Voraussetzungen vorliegend jedoch erfüllt. Die Gleichwertigkeit der erworbenen Fähigkeiten und Erfahrungen ergebe sich hier insbesondere daraus, dass die Ausbildungen zur Altenpflegerin und zur Heilerziehungspflegerin deutliche Überschneidungen aufweisen, die Klägerin zahlreiche einschlägige Fortbildungen absolviert hat und bereits seit etwa zehn Jahren im Aufgabengebiet einer Heilerziehungspflegerin tätig ist.

Bewertung

Die Entscheidung orientiert sich an den vom BAG in ständiger Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an das Merkmal „sonstige Beschäftigte“ und ist insofern nicht überraschend, aber eine gute Gelegenheit, zu rekapitulieren, wie das Tätigkeitsmerkmal „sonstigen Mitarbeiter“ im Bereich der AVR zu prüfen ist.

„Sonstige Mitarbeiter“ können nur Mitarbeitende sein,

  • die nicht über die in dem jeweiligen Tätigkeitsmerkmal geforderte Vorbildung oder Ausbildung verfügen, die aber objektiv für die auszuübende Tätigkeit gefordert wird,
  • die aber alle übrigen in den Tätigkeitsmerkmalen genannten Anforderungen erfüllen, d.h. sie müssen kumulativ über die „Fähigkeiten und Erfahrungen“ verfügen, die denen der in den Tätigkeitsmerkmalen genannten ausgebildeten Beschäftigten entsprechen.

Zusätzlich muss die auszuübende („entsprechende“) Tätigkeit diese Fähigkeiten und Erfahrungen erfordern. Sie muss daher so gestaltet sein, wie die Tätigkeit der den in den Tätigkeitsmerkmalen genannten ausgebildeten Mitarbeitenden.

Bei Mitarbeitenden, die nicht über die geforderte Qualifikation verfügen, ist daher zu prüfen, ob sie 1. eine entsprechende Tätigkeit ausüben (objektives Element) und 2. über gleichwertige Fähigkeiten und eigene Erfahrungen verfügen (subjektives Element).

Für die Bestimmung des Arbeitsvorganges und damit der Gesamttätigkeit ist das Arbeitsergebnis entscheidend. Dabei muss beurteilt werden, ob eine oder mehrere Einzeltätigkeiten zu einem Arbeitsergebnis führen. Wie das LAG-Urteil erinnert, ist hier eine natürliche Betrachtungsweise maßgebend. Wenn Arbeitsschritte von vornherein organisatorisch getrennt sind, können sie nicht ohne Weiteres zusammengefasst werden. Anders als die Beklagte im vorliegenden Fall meinte, reicht allerdings die theoretische Möglichkeit, einzelne Arbeitsschritte isoliert auf andere Beschäftigte zu übertragen, dafür nicht aus. Eine unnatürliche Abtrennung liegt in der Regel bei sogenannten Zusammenhangstätigkeiten vor, die aufgrund ihres engen Zusammenhangs mit bestimmten Ausgaben eines Mitarbeitenden anfallen.

Die gleichwertigen Fähigkeiten setzen voraus, dass die Mitarbeitende über Fähigkeiten verfügt, die denen, die in der jeweiligen Ausbildung vermittelt werden, gleichwertig sind. Es wird nicht das gleiche Wissen und Können verlangt, aber doch eine ähnlich gründliche Beherrschung eines entsprechend umfangreichen Wissensgebiets vorausgesetzt – es wird also insbesondere eine entsprechende „Verwendungsbreite“ in dem jeweiligen Fachgebiet gefordert. Punktuell gleichwertige Fähigkeiten in einem einzelnen Arbeitsgebiet sind allein grundsätzlich nicht ausreichend.

Auch Erfahrungen dürfen nicht auf nur ein Teilgebiet begrenzt sein. Erfahrungen können nur durch eine längere Zeit der Ausübung einer einschlägigen Tätigkeit – gegebenenfalls auch außerhalb der AVR – erworben werden.

Zu beachten ist, dass auch das BAG einen restriktiven Umgang mit dem Tätigkeitsmerkmal der „sonstigen Beschäftigten“ pflegt.

Wäre die Klägerin in einer AVR-Einrichtung tätig gewesen, hätte sie sich im Übrigen gar nicht auf die „sonstigen Mitarbeiter“ berufen müssen: Als Altenpflegerin, der die in der EG S 8a bzw. S 8b beschriebenen Aufgaben übertragen sind, wäre sie gemäß Anmerkung Nr. 5 Anlage 33 AVR in die EG S 8a bzw. S 8b einzugruppieren gewesen.

Rechtsprechung

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