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EuGH: Am Arbeitsplatz kann das Tragen eines Kopftuchs untersagt werden

Ein Unternehmen kann seinen Mitarbeitenden unter bestimmten Voraussetzungen das Tragen von religiösen Zeichen wie dem Kopftuch verbieten.

Sachverhalt

Geklagt hatte eine Bewerberin muslimischen Glaubens, die sich im Rahmen ihrer Berufsausbildung als Kauffrau für Bürokommunikation auf ein unbezahltes sechswöchiges Praktikum bei der Beklagten, einer genossenschaftlichen Wohnungsverwaltungsgesellschaft in Belgien, beworben hatte, deren Haupttätigkeit in der Vermietung und Verwaltung von Sozialwohnungen besteht. Die Klägerin wurde zu einem Vorstellungsgespräch bei der Beklagten eingeladen, das positiv verlief. Am Ende des Gesprächs wurde die Klägerin von der Beklagten befragt, ob sie bereit sei, die bei der Beklagten geltende Neutralitätsregel einzuhalten. Diese verpflichtet die Mitarbeitenden, die strikte Neutralitätspolitik des Unternehmens zu achten, insbesondere religiöse, weltanschauliche oder politische Überzeugungen in keiner Weise, weder durch Worte noch durch Kleidung oder auf andere Weise, zum Ausdruck zu bringen.

Nachdem sich die Klägerin geweigert hatte, ihr Kopftuch abzunehmen und die genannte Neutralitätsregel einzuhalten, wurde ihre Bewerbung von der Beklagten abgelehnt. Die Klägerin erneuerte daraufhin ihre Bewerbung und schlug dabei vor, eine andere Art von Kopfbedeckung zu tragen. Auch diese neue Bewerbung wurde von der Beklagten abgelehnt mit der Begründung, dass in den Geschäftsräumen der Beklagten jedwede Art von Kopfbedeckung untersagt sei, sei es eine Mütze, eine Kappe oder ein Kopftuch.

Die Klägerin fühlte sich durch die Vorgehensweise der Beklagten diskriminiert und erhob Klage beim französischsprachigen Arbeitsgericht in Brüssel (Tribunal du travail francophone de Bruxelles). Mit der Klage rügte sie, dass kein Praktikumsvertrag geschlossen worden sei, was ihrer Ansicht nach unmittelbar oder mittelbar auf ihrer religiösen Überzeugung beruhe, und begehrte die Feststellung, dass die Beklagte u. a. gegen Bestimmungen des belgischen allgemeinen Antidiskriminierungsgesetzes verstoßen habe.

Das Brüsseler Arbeitsgericht setzte per Beschluss das Verfahren aus und legte dem EuGH den Fall zur Vorabentscheidung vor.

Entscheidung

In seiner Entscheidung wies der EuGH eine unmittelbare Diskriminierung der Klägerin zurück.

Unternehmen können ihren Mitarbeitenden das Tragen sichtbarer Zeichen politischer, weltanschau-licher oder religiöser Überzeugungen verbieten, wenn diese Bestimmungen unterschiedslos für jede Bekundung solcher Überzeugungen gelte und alle Mitarbeitenden des Unternehmens gleichbehandele, indem ihnen allgemein und undifferenziert u. a. vorgeschrieben wird, sich neutral zu kleiden, was das Tragen solcher Zeichen ausschließe.

In diesem Zusammenhang gehe nicht hervor, dass die Beklagte im Ausgangsverfahren die in Rede stehende Arbeitsordnung nicht allgemein und unterschiedslos angewandt hätte oder dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens anders behandelt worden wäre als jeder andere Arbeitnehmer, der seine Religion oder seine religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen durch das sichtbare Tragen von Zeichen oder Kleidungsstücken oder auf andere Weise zum Ausdruck gebracht hätte.

Weiterhin stellte der EuGH fest, dass eine solche Ungleichbehandlung keine mittelbare Diskriminierung im Sinne ihres Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78/EG darstelle, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt sei und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich seien.

Was die Voraussetzung des Vorliegens eines rechtmäßigen Ziels angehe, so könne der Wille eines Arbeitgebers, im Verhältnis zu den öffentlichen und privaten Kunden eine Politik der politischen, weltanschaulichen oder religiösen Neutralität zum Ausdruck zu bringen, als rechtmäßig angesehen werden. Der Wunsch eines Arbeitgebers, den Kunden ein Bild der Neutralität zu vermitteln, gehöre zur unternehmerischen Freiheit, die in Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt und grundsätzlich rechtmäßig sei, insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber bei der Verfolgung dieses Ziels nur die Mitarbeitenden einbeziehe, die mit seinen Kunden in Kontakt treten sollen.

Bewertung

Der EuGH bestätigt mit diesem Urteil seine Rechtsprechung aus den vergangenen Jahren (vgl. Rechtsachen WABE und MH Müller Handel: EuGH, Urteil vom 15.07.2021 – C 804/18 und C-341/19) und zeigt auf, dass das unternehmerische Ziel eines neutralen Außenauftritts grundsätzlich rechtmäßig im Sinne der Richtlinie 2000/78/EG ist. Zudem ist der Wunsch nach Neutralität auch von der unternehmerischen Freiheit im Sinne des Art. 16 der Grundrechtecharta gedeckt.

Allerdings hat der Gerichtshof auch dargelegt, dass der bloße Wille eines Arbeitgebers, eine Neutralitätspolitik zu betreiben – auch wenn es an sich ein legitimes Ziel darstellt –, für sich genommen nicht ausreicht, um eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung sachlich zu rechtfertigen. Der Arbeitgeber muss dem EuGH zufolge ein wirkliches Bedürfnis nachweisen, etwa dass dem Unternehmen Nachteile entstehen könnten, wenn religiöse Symbole offen nach außen getragen würden.

Das Brüsseler Arbeitsgericht, das an die Entscheidung des EuGH gebunden ist, wird aktuell zu prüfen haben, ob die Beklagte im Ausgangsverfahren ein konkretes Bedürfnis nach Neutralität nachweisen kann. Andernfalls wird das Gericht aller Voraussicht nach eine mittelbare Diskriminierung bei der Klägerin annehmen müssen.

Rechtsprechung

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