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BAG: Arbeitgeber müssen auch beim Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen mitwirken

Arbeitgeber treffen besondere Aufforderungs- und Hinweispflichten auch beim Zusatzurlaub schwerbehinderter Arbeitnehmer.

Sachverhalt

Der Kläger ist seit Juni 1994 bei der Beklagten beschäftigt. Der Antrag des Klägers auf Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft wurde mit Bescheid vom 24.11.2017 von der zuständigen Behörde abgelehnt. Darüber setzte der Kläger ihre Arbeitgeberin unmittelbar nach Bekanntgabe der Entscheidung in Kenntnis. Gegen den Ablehnungsbescheid erhob der Kläger Klage vor dem zuständigen Sozialgericht. Aufgrund eines vor dem Sozialgericht abgegebenen Anerkenntnisses erkannte die Behörde die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers zum 11.08.2017 rückwirkend an. Davon erfuhr die Beklagte erst im März 2019. In der Folge verlangte der Kläger Anfang April 2019 von der Beklagten Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen für die Jahre 2017 und 2018. Dies lehnte die Beklagte mit dem Hinweis ab, der Urlaubsanspruch sei bereits verfallen.

Der Kläger vertrat die Auffassung, der Zusatzurlaub sei nicht verfallen, da die Beklagte ihren diesbezüglichen Aufforderungs- und Hinweispflichten nicht nachgekommen sei. Die Beklagte hingegen hatte den Standpunkt eingenommen, sie sei nicht verpflichtet gewesen, den Kläger dazu aufzufordern, den Zusatzurlaub zu nehmen und ihn auf den Verfall des Anspruchs hinzuweisen, da sie erst im März 2019 Kenntnis von der rückwirkenden Anerkennung seiner Schwerbehinderung erhalten habe. Bis zu diesem Zeitpunkt sei sie davon ausgegangen, eine Schwerbehinderung habe aufgrund des Ablehnungsbescheids nicht vorgelegen.

Mit seiner Klage hatte der Kläger die Feststellung begehrt, dass ihm für die Jahre 2017 und 2018 Zusatzurlaub im Umfang von insgesamt sieben Tagen (anteilig zwei Tage aus dem Jahr 2017 und fünf Tage aus dem Jahr 2018) zustehe. Das Arbeitsgericht gab der Klage statt. Auf die Berufung der Beklagten hatte das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22.04.2022 – 2 Sa 59/20) die Klage abgewiesen.

Entscheidung

Das BAG hat der Revision des Klägers teilweise stattgegeben. Ihm wurden zwei Urlaubstage aus dem Jahr 2017 zugesprochen. Der im Umfang von fünf Tagen entstandene Zusatzurlaub aus dem Jahr 2018 sei hingegen mit Ablauf des 31.12.2018 verfallen.

Wie beim gesetzlichen Mindesturlaub setze die Befristung des Zusatzurlaubs für schwerbehinderte Menschen nach § 208 Abs. 1 Satz 1 SGB IX grundsätzlich voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch Erfüllung seiner Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in die Lage versetzt hat, seinen Zusatzurlaub tatsächlich zu nehmen.

Hierfür sei es erforderlich, dass der Arbeitgeber nach einer mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG (grundlegend zu den Mitwirkungsobliegenheiten beim Verfall von Urlaubsansprüchen: BAG, Urteil vom 19.02.2019 - 9AZR 541/15) konformen Auslegung von § 7 BUrlG konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge trage, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage versetzt wird, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Dazu müsse er den Arbeitnehmer – erforderlichenfalls förmlich – dazu auffordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahrs oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht rechtzeitig beantragt.

Gemessen an diesen Grundsätzen sei der Anspruch des Klägers auf Zusatzurlaub aus dem Jahr 2018 gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG mit Ablauf des Urlaubsjahrs verfallen, jedoch nicht der Zusatzurlaub aus dem Jahr 2017.

Der Kläger sei der ihm obliegenden Unterrichtung der Beklagten über den Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderung nachgekommen. Für die Befristung des Anspruchs auf Zusatzurlaub aus dem Jahr 2017 hätte die Beklagte daher dem Kläger gegenüber ihre Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten bis zum Erlass des Ablehnungsbescheids am 24.11.2017 erfüllt haben müssen. Da sie dies unterlassen habe, konnte der Zusatzurlaub aus dem Jahr 2017 nicht mit Ablauf des 31.12.2017 verfallen. 

Der Anspruch auf Zusatzurlaub aus dem Jahr 2018 sei hingegen erloschen. Die Ungewissheit über das Ergebnis des behördlichen Feststellungsverfahrens sei kein in der Person des Arbeitnehmers liegender Grund für eine Urlaubsübertragung. Dementsprechend oblag es nicht der Beklagten, den Kläger rechtzeitig auf den Verfall des Zusatzurlaubs hinzuweisen und ihn dazu aufzufordern, die verbleibenden Zusatzurlaubstage zu nehmen.

Bewertung

Das BAG hat in dieser Entscheidung sein früheres Urteil aus dem Jahr 2021 im Zusammenhang mit dem Verfall von Ansprüchen schwerbehinderter Arbeitnehmer auf Zusatzurlaub bestätigt (vgl. BAG, Urteil vom 30.11.2021 – 9 AZR 143/21).

In seiner Entscheidung vom 30.11.2021 hatte sich das Gericht bereits mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Mitwirkungsobliegenheiten beim Verfall gesetzlicher Urlaubsansprüche auf den gesetzlichen Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen nach § 208 Abs. 1 SGB IX erweitert werden können und diese Frage abschließend bejaht.

Auch in der vorliegenden Entscheidung setzt das BAG den Anspruch auf den Zusatzurlaub erneut in Abhängigkeit mit dem Bestehen des Anspruchs auf den gesetzlichen Mindesturlaubs. Mit anderen Worten: der Zusatzurlaub soll das rechtliche Schicksal des gesetzlichen Mindesturlaubs teilen (Grundsatz der urlaubsrechtlichen Akzessorietät).

Das Gericht hat in seinen Entscheidungsgründen in Anlehnung an das Urteil vom 30.11.2021 auch darauf hingewiesen, dass Arbeitgeber nicht dazu verpflichtet sind, vorsorglich auf bestehende Zusatzurlaubsansprüche hinzuweisen und den Arbeitnehmer dazu aufzufordern, diese rechtzeitig in Anspruch zu nehmen, wenn der Arbeitgeber keine Kenntnis von der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers hat und diese nicht offenkundig ist.

Vom BAG in seiner Entscheidung offen gelassen wurde die Frage, warum die Beklagte bis zum Erlass des Ablehnungsbescheids am 24.11.2017 ihrer Hinweis- und Aufforderungspflicht bezüglich des Zusatzurlaubs gegenüber dem Kläger hätte nachkommen müssen. Ob dabei die veränderten Verhältnisse ab Erlass des Bescheids maßgebend waren, so dass die Beklagte ab diesem Zeitpunkt davon ausgehen durfte, dass eine Schwerbehinderung bei dem Kläger vorliegt, hat das Gericht nicht explizit beantwortet.

Arbeitgebern ist daher anzuraten, rechtzeitig jeden Mitarbeitenden nachweisbar auf den noch verbleibenden gesetzlichen Urlaub und bei Kenntnis einer Schwerbehinderung bzw. Offenkundigkeit zusätzlich auf den verbleibenden Zusatzurlaub sowie den drohenden Verfall hinzuweisen. Die Möglichkeit des Arbeitnehmers, den gesetzlichen Resturlaub und ggf. Zusatzurlaub noch im laufenden Kalenderjahr zu nehmen, muss dabei gewährleistet sein.

Rechtsprechung

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