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ArbG Berlin: Keine Entgeltfortzahlung bei Online-Attest ohne vorherige Untersuchung

Ein bisschen Arztkontakt muss sein

Sachverhalt

Die Parteien streiten über Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Der Kläger, der bei der Beklagten als Sicherheitsmitarbeiter beschäftigt war, übermittelte der Beklagten von einer Gynäkologin ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU-Bescheinigung). Die Gynäkologin stellte die AU-Bescheinigungen anhand der vom Kläger online auf der Website www.au-schein.de getätigten Angaben aus. Dabei fand weder ein persönlicher noch ein telefonischer Kontakt zwischen der Gynäkologin und dem Kläger statt.

Die Website ermöglicht gegen Zahlung einer Gebühr den Erhalt von AU-Bescheinigungen ausschließlich im Wege der Fernbehandlung. Nutzer der Website können zunächst eine von zwölf Grunderkrankungen auswählen und anschließend verschiedene vorformulierte Fragen, insbesondere zu Symptomen beantworten. Der Nutzer kann dazu zwischen vorgegebenen Antwortmöglichkeiten und Symptome auswählen. Die ärztliche Anamnese beruht im Regelfall ausschließlich auf diesen Angaben des Nutzers. Führen die Antworten nicht zu einer plausiblen Diagnose, wird der Nutzer darauf hingewiesen, dass er den Dienst nicht nutzen kann. Anschließend kann der Vorgang beliebig oft wiederholt werden, ohne dass zuvor gegebene Antworten Berücksichtigung finden.

Der Kläger machte für die in den AU-Bescheinigungen benannten Zeiträume Ansprüche auf Entgeltfortzahlung geltend. Diese lehnte die Beklagte ab: Die AU-Bescheinigungen seien nur durch einen Online-Arzt erfolgt und sie zweifle daher an der Arbeitsunfähigkeit (AU). Der Beweiswert der AU-Bescheinigungen sei erschüttert, da sie online ausgestellt wurden und keine ärztliche Untersuchung vorausging.

Entscheidung

Das ArbG Berlin hat entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung wegen AU hat (§ 3 Entgeltfortzahlungsgesetz). Das Gericht begründet dies damit, dass die vom Kläger vorgelegten AU-Bescheinigungen nicht für den Beweis seiner AU geeignet seien. Es handelt sich bei den vorgelegten Bescheinigungen nicht um ordnungsgemäß ausgestellte AU-Bescheinigungen im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG), da die Gynäkologin den Kläger weder persönlich noch telefonisch untersucht habe. Nach dem BAG ist es für die Ordnungsmäßigkeit der AU-Bescheinigung jedoch gerade Voraussetzung, dass der Ausstellung eine Untersuchung vorausgegangen ist oder auf Grund einer Patientenbeziehung eine Ferndiagnose stattgefunden hat. (BAG, Urteil vom 11.08.1976, Az. 5 AZR 422/75).

Eine andere Wertung folgt auch nicht aus den derzeit geltenden Sonderregelungen zur telefonischen Krankschreibung anlässlich der Corona-Pandemie. Die Sonderregelung verdeutlicht vielmehr, dass nicht einmal in der derzeitigen pandemischen Ausnahmesituation ein geringerer persönlicher Kontakt als ein Telefonat zulässig sein soll.

Der Kläger hat den Beweis seiner AU auch nicht auf andere Weise führen können. Bei der Benennung von Zeugen durch den Kläger zum Beleg dafür, dass er in den entsprechenden Zeiträumen „erkrankt“ war, handelt es sich um einen unzulässigen Beweisantritt, da unklar bleibt, welche Symptome die Zeugen wann wahrgenommen haben und entsprechend bekunden können. Zudem ergibt sich aus einer Erkrankung keineswegs zugleich eine AU (unzulässiger Ausforschungsbeweisantritt).

Einordnung

Die Entscheidung ist beachtenswert, da es sich um die erste arbeitsgerichtliche Befassung mit der Thematik „Umgang mit AU-Bescheinigungen von Onlinediensten“ handelt. Das ArbG Berlin hat unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BAG zutreffend entschieden, dass mit einer AU-Bescheinigung, der keine persönliche – wenn auch nur telefonische – Untersuchung des Mitarbeitenden vorausgegangen ist, nicht der Beweis der AU geführt werden kann. Das ArbG Berlin formuliert in seiner Entscheidung klar die Mindestvoraussetzungen für eine beweiskräftige AU-Bescheinigung, die gerade auch in der derzeitigen Corona-Pandemie gelten – aber auch in der Zeit danach.

Für Dienstgeber bleibt die Frage, wie festgestellt werden kann, dass es sich bei einer AU-Bescheinigung um eine von einem Onlinedienst ausgestellte Bescheinigung handelt. Indizien hierfür können das Fehlen einer Vertragsarztnummer auf der Bescheinigung oder eine große Entfernung zwischen dem Wohnort oder Arbeitsort des Mitarbeitenden und dem Ort der Praxis des ausstellenden Arztes sein.

Rechtsprechung

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