LAG Schleswig-Holstein: Dienstplanänderung während der Freizeit
Sachverhalt
Der Kläger arbeitet bei der Beklagten als
Notfallsanitäter. Im April 2021 änderte die Beklagte den Dienstplan des Klägers zwei Mal kurzfristig (wozu sie nach einer Betriebsvereinbarung befugt war), während der Kläger frei hatte. In beiden Fällen sah der Dienstplan vor dem freien Tag des Klägers vor, dass er sich um 7:30 Uhr zu einen „unkonkreten Springerdienst“ zu melden habe. Nach den Änderungen durch die Beklagte sah der Dienstplan einen Dienstbeginn um 6:00 Uhr bzw. 6:30 Uhr vor. Die Beklagte informierte den Kläger über die jeweils für den Folgetag erfolgte Änderung seiner Einsatzzeiten per SMS und versuchte vergeblich, ihn telefonisch zu erreichen. Der Ist-Dienstplan ist zudem im Internet für die Beschäftigten abrufbar. Nach seinen freien Tagen zeigte der Kläger um 7:30 Uhr seine Bereitschaft zur Arbeitsleistung an. Beim ersten Mal wurde er von der Beklagten an dem Tag nicht weiter eingesetzt, da sie zwischenzeitlich einen anderen Mitarbeiter aus der Rufbereitschaft herangezogen hatte. Die Beklagte bewertete den Tag als unentschuldigtes Fehlen, zog dem Kläger elf Stunden von seinem Arbeitszeitkonto ab und erteilte ihm eine Ermahnung. Beim zweiten gleichgearteten Vorfall forderte die Beklagte den Kläger nach dessen Mitteilung der Arbeitsbereitschaft auf, seinen Dienst aufzunehmen. Dies tat der Kläger um 8:26 Uhr. Die Beklagte wertete die Zeit von 6:30 Uhr bis 8:26 Uhr als unentschuldigtes Fehlen, zog dem Kläger 1,93 Stunden vom Arbeitszeitkonto ab und erteilte ihm eine Abmahnung. Die Klage, mit welcher der Kläger die Gutschrift der abgezogenen Stunden auf das Arbeitszeitkonto und die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte begehrt, wurde in der ersten Instanz abgelehnt.
Entscheidung
Das LAG Schleswig-Holstein hält die Berufung des Klägers dagegen für begründet.
Mit der Änderung des Dienstplans übe ein Arbeitgeber das ihm zustehende Weisung- bzw. Direktionsrecht aus. Bei diesem handle es sich um eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die dem Arbeitnehmer entsprechend zugehen müsse. Dies sei hier allerdings nicht geschehen. Der Kläger hat unstreitig nicht auf die Anrufe der Beklagten reagiert. Zur telefonischen Erreichbarkeit sei er aufgrund seines Rechts auf Nichterreichbarkeit auch nicht verpflichtet gewesen. Es gehöre zu den vornehmsten Persönlichkeitsrechten, dass ein Mensch in seiner Freizeit selbst entscheiden könne, für wen er in dieser Zeit erreichbar sein möchte.
Der Kläger war zudem nicht verpflichtet, die auf seinem Handy eingegangen SMS der Beklagten vor seinem Dienstbeginn am Folgetag um 7:30 Uhr zu lesen. Denn beim Lesen einer derartigen SMS (bzw. beim Abrufen des Dienstplans im Internet) handle es sich um Arbeitszeit. Das Lesen sei eine Arbeitsleistung, da der Kläger damit ausschließlich fremde Bedürfnisse befriedige, nämlich die der Beklagten, die Organisation ihrer Arbeitsabläufe durch eine sachgemäße Personalplanung zu gewährleisten. Dem stehe der zeitlich minimale Aufwand, der mit dem Aufrufen einer SMS verbunden ist, nicht entgegen. Arbeit werde nicht deshalb zu Freizeit, weil sie nur in zeitlich geringem Umfang anfalle.
Bewertung
Das Urteil des LAG Schleswig-Holstein mag auf den ersten Blick überraschen, wird doch eine derartige Informationspflicht der Arbeitnehmer häufig als eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht empfunden. Letztlich wendet das LAG aber schlicht die Grundsätze der Gewährleistung des Gesundheitsschutzes durch Gewährleistung ausreichender Ruhezeiten (§ 5 Abs. 1 ArbZG) konsequent auf den zugrundeliegenden Sachverhalt an. Da die Freizeit nicht durch Arbeitsleistung zu unterbrechen ist, kann der Dienstgeber von seinen Mitarbeitenden nicht erwarten, dass diese eine Dienstplanänderung an ihren freien Tagen zur Kenntnis nehmen – unabhängig davon, wie gering der Aufwand für diese Kenntnisnahme wäre.
Das Urteil ist nachvollziehbar. In Zeiten der stetig zunehmenden Digitalisierung verschwimmen die Grenzen zwischen Freizeit und Arbeitszeit immer mehr. Um die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestruhepausen weiter gewährleisten zu können, sind strenge Grenzen notwendig. Dienstgeber müssen diese Entscheidung bei ihrer Dienstplanung entsprechend berücksichtigen. Kurzfristige Dienstplanänderungen erfolgen bestenfalls während der Arbeitszeit der betroffenen Mitarbeitenden. Anderenfalls trägt der Dienstgeber das Risiko, einen Mitarbeitenden nicht erreichen zu können.
Das Urteil des LAG Schleswig-Holstein finden Sie hier.
Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein, Urteil vom 27.09.2022, Az. 1 Sa 39 öD/22
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