BAG: Kein doppelter Urlaubsanspruch bei neuem Arbeitsverhältnis nach rechtswidriger Kündigung
Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Abgeltung von Urlaub aus den Jahren 2020 und 2021. Die Arbeitnehmerin war seit 2014 als Fleischereifachverkäuferin beschäftigt.
Sie hatte einen Urlaubsanspruch von 30 Tagen. Ende 2019 wurde sie fristlos gekündigt und legte Kündigungsschutzklage ein. Im Februar 2020, noch während der Kündigungsschutzprozess lief, begann sie ein neues Arbeitsverhältnis. In diesem erhielt sie 25 Arbeitstage Urlaub für das Jahr 2020 und in der Zeit vom 1. Januar 2021 bis zur Beendigung des bisherigen Arbeitsverhältnisses zu Ende Mai zehn Tage Urlaub.
Im Herbst 2020 stellte das Arbeitsgericht (ArbG) Lüneburg fest, dass die Kündigung rechtswidrig war. Das alte Arbeitsverhältnis wurde folglich nicht aufgelöst, es endete erst Ende Mai 2021 aufgrund einer neuen außerordentlichen Kündigung.
Die Klägerin verlangte von dem Beklagten zuletzt die Abgeltung von insgesamt sieben Arbeitstagen vertraglichen Mehrurlaubs – davon fünf Tage aus dem Jahr 2020 und zwei Tage aus dem Jahr 2021. Die Klägerin war der Ansicht, eine Anrechnung finde beim hier geltend gemachten vertraglichen Mehrurlaub nicht statt, da die Wertungen des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) zum gesetzlichen Mindesturlaub sich nicht auf den vertraglichen Mehrurlaub übertragen ließen. Der Beklagte war hingegen der Ansicht, die Klägerin müsse sich den Urlaub, der ihr durch den neuen Arbeitgeber gewährt wurde, voll anrechnen lassen.
Entscheidung
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) wies die Revision der Klägerin in Höhe des Abgeltungsanspruchs für die Urlaubstage des Jahres 2020 zurück und hob im Übrigen das Urteil unter Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht (LAG) auf.
Geht ein Arbeitnehmer nach einer rechtswidrigen Kündigung einer anderen Beschäftigung nach, entstehen für den Zeitraum der zeitlichen Überschneidung beider Arbeitsverhältnisse auch dann ungeminderte Urlaubsansprüche sowohl gegenüber dem alten als auch gegenüber dem neuen Arbeitgeber, wenn der Arbeitnehmer die Pflichten aus beiden Arbeitsverhältnissen nicht hätte kumulativ erfüllen können. In einem solchen Fall ist jedoch zur Vermeidung doppelter Urlaubsansprüche der Urlaub, den der Arbeitnehmer vom neuen Arbeitgeber erhalten hat, in entsprechender Anwendung von § 11 Nr. 1 KSchG und § 615 Satz 2 BGB auf den Urlaubs- bzw. Urlaubsabgeltungsanspruch gegen seinen alten Arbeitgeber anzurechnen.
Die Anrechnung ist kalenderjahresbezogen vorzunehmen, da die Systematik des BUrlG (insbesondere nach §§ 1, 4, 5, 7 Abs. 3 Satz 1 sowie § 3 BurlG) zu beachten ist, nach der sich der Urlaubsanspruch jeweils auf ein Kalenderjahr bezieht. Daher ist auch die Anrechnung der Urlaubsansprüche des neuen Arbeitgebers auf den Urlaubsabgeltungsanspruch gegen den alten Arbeitgeber nur kalenderjahresbezogen vorzunehmen. Diese jahresbezogene Anrechnung gilt allerdings nicht nur für den gesetzlichen Mindesturlaub, sondern auch für den vertraglichen Mehrurlaub – sofern keine deutlichen Anhaltspunkte vorlägen, wonach der vertragliche Mehrurlaub einer Anrechnung entzogen ist. Bei Fehlen solcher Anhaltspunkte sei auch der vertragliche Mehrurlaub anzurechnen.
Die Anrechnung führt zum Wegfall des Urlaubsanspruchs der Klägerin gegen den Beklagten aus dem Jahr 2020. Der Rechtsstreit hinsichtlich des Urlaubsanspruchs aus dem Jahr 2021 sei hingegen noch nicht entscheidungsreif. Aufgrund der jahresbezogenen Anrechnung sei hierfür eine Feststellung erforderlich, ob mit den von dem neuen Arbeitgeber im Jahr 2021 gewährten zehn Urlaubstagen nur Urlaubsansprüche aus diesem Jahr oder auch Resturlaub aus dem Vorjahr erfüllt wurde.
Bewertung
Das Urteil des BAG knüpft an die Rechtsprechung des BAG vom 21. Februar 2012 (9 AZR 487/10) an. Danach erfasst § 6 BUrlG, der Doppelansprüche (nur) bei aufeinanderfolgenden Arbeitsverhältnissen ausschließt, Doppelarbeitsverhältnisse nicht. Während des Kündigungsschutzverfahrens beim neuen Arbeitgeber genommener Urlaub ist jedoch in entsprechender Anwendung von § 11 Nr. 1 KSchG und § 615 Satz 2 BGB anzurechnen. Mit dem Urteil hat das BAG klargestellt, dass eine Anrechnung von Urlaubsansprüchen eines Arbeitnehmers analog § 11 KSchG, § 615 Satz 2 BGB vorzunehmen ist, wenn dieser nach einer rechtswidrigen Kündigung durch seinen bisherigen Arbeitgeber einer anderen Beschäftigung nachgeht und dadurch in beiden Arbeitsverhältnissen Urlaubsansprüche erlangt. Dies gilt gemäß dem BAG sowohl für den gesetzlichen Mindesturlaub als auch für den vertraglichen Mehrurlaub, soweit nicht deutliche Anhaltspunkte für eine abweichende Vereinbarung vorliegen. Aus Dienstgebersicht ist diese Entscheidung des BAG zu begrüßen.
Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 05.12.2023, Az. 9 AZR 230/22
Rechtsprechung