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LAG Sachsen: Kein Schadens­ersatz bei Verletzung der Obliegenheit des Arbeitnehmers zur Prüfung seiner Entgelt­abrechnung

Ein Schadensersatz wegen fehlender Schriftform der Ausschlussfrist ist ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer der Obliegenheit zur Kenntnisnahme seiner Entgeltabrechnungen, die einen Hinweis auf die Ausschlussfrist in Textform enthielten, nicht genügt hat.

Sachverhalt:

Der Kläger war bei der Beklagten auf Grundlage eines am 26. Januar 2017 geschlossenen Arbeitsvertrages als Rettungsassistent tätig. Für das Dienstverhältnis gelten die „Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes“ (AVR). Die Beklagte zahlte dem Kläger eine monatliche Kinderzulage von 90,00 Euro brutto. Ab Juli 2019 stellte die Beklagte die Zahlung der Kinderzulage ein. Im November 2020 wandte sich der Kläger an die Beklagte und bat um Nachberechnung. Für den Zeitraum Juli 2019 bis April 2020 berief sich die Beklagte auf die Ausschlussfrist gemäß § 23 Abs. 1 AVR.Die Beklagte erteilte dem Kläger monatlich schriftliche Entgeltabrechnungen. Seit Dezember 2019 wurde auf der Entgeltabrechnung explizit in Textform auf die Ausschlussfrist gemäß § 23 AVR hingewiesen. Der Kläger ist der Auffassung, dass ihm ein Schadensersatzanspruch in Höhe der nicht gezahlten Kinderzulage zustünde, weil die Beklagte die Ausschlussfrist nicht entsprechend § 2 Abs. 1 NachwG nachgewiesen habe.

Entscheidung:

Abs. 1 AVR geregelte, rechtlich unbedenklich formulierte Ausschlussfrist.

Der Primäranspruch auf die Kinderzulage ist verfallen. Aber auch ein Schadensersatzanspruch besteht nicht. Bei einer Ausschlussfrist handelt es sich um eine wesentliche Vertragsbedingung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 NachwG (alte Fassung). Da die AVR ihrer Rechtsnatur nach weder Tarifverträge noch Betriebsvereinbarungen sind, kommt der Beklagten bei der Erfüllung ihrer Nachweispflicht die Privilegierung des § 2 Abs. 1 Nr. 10 NachwG (alte Fassung) nicht zugute. Die Ausschlussfrist war dem Kläger deshalb in Schriftform nachzuweisen. Dieser schriftliche Nachweis fehlte im vorliegenden Fall tatsächlich. Das Zitat auf der Entgeltsabrechnung genügt den Voraussetzungen nicht. Der Kläger muss sich allerdings nach dem Rechtsgedanken des § 162 Abs. 1 BGB so behandeln lassen, als hätte er die Ausschlussfrist gekannt. Er hat im Sinne des § 162 Abs. 1 BGB wider Treu und Glauben von dem unmissverständlichen und deutlichen, durch einen auffälligen schwarzen Rahmen hervorgehobenen Hinweis auf die Ausschlussfrist in den ihm seit Dezember 2019 monatlich ausgehändigten Entgeltabrechnungen keine Kenntnis genommen. Hätte Die Klage wurde als unbegründet abgewiesen. Die „Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes" werden durch § 2 des Arbeitsvertrages vom 26. Januar 2017 in das Arbeitsverhältnis der Parteien inkorporiert. Damit gilt auch die in § 23 der Kläger der Obliegenheit zur Kenntnisnahme seiner Entgeltabrechnungen genügt, wäre ihm die dort wörtlich zitierte und durch Einrahmung prominent hervorgehobene Vorschrift des § 26 Abs. 1 Satz 1 AVR aufgefallen. Er hätte die Ausschlussfrist dann gekannt und hätte sie ohne Weiteres einhalten können. Sein Verschulden an der Unkenntnis der Ausschlussfrist überwiegt das Gewicht des Verstoßes der Be­ klagten gegen die Nachweispflicht aus § 2 Abs. 1 NachwG bei weitem. Dies schließt den Schadensersatzanspruch aus.

Bewertung:

Auch wenn die Entscheidung wegen der Änderungen des Nachweisgesetzes für die Zukunft wenig Auswirkungen haben wird, ist sie zu begrüßen, da die Erwägungen zu den Obliegenheiten des Arbeitnehmers von grundsätzlicher Bedeutung sind. Mit Urteil vom 30. Oktober 2019 (6 AZR 465/18) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) einen kirchlichen Arbeitgeber zur Zahlung von Schadenersatz wegen unterlassener Unterrichtung nach dem Nachweisgesetz (NachweisG) über die geltenden Verfallfristen zur Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis verurteilt. Ein pauschaler Verweis auf kirchliche Arbeitsregelungen war nach Ansicht des BAG nicht ausreichend. Diese Entscheidung wurde nun vom LAG Sachsen konkretisiert, indem ein Zusammenhang mit den Obliegenheiten des Arbeitnehmers hergestellt worden ist. Im August 2022 ist das Nachweisgesetz neugefasst worden. Vor diesem Hintergrund würde der vorliegende Fall heute so nicht mehr vorkommen. Nach der neuen Fassung des Nachweisgesetzes muss der Arbeitgeber ab August 2022 über deutlich mehr Arbeitsrechtsgelungen informieren und dem Arbeitnehmer hierüber einen schriftlichen Nachweis ausstellen. In § 2 Abs. 1 Nr. 15 NachweisG wird aber auch die Möglichkeit eröffnet, einen in allgemeiner Form gehaltenen Hinweis auf die auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Regelungen paritätisch besetzter Kommissionen, die auf Grundlage kirchlichen Rechts Arbeitsbedingungen für den kirchlichen Arbeitgeber festlegen, als Verweismöglichkeit zu verwenden. Diese Ergänzung des Nachweisgesetzes ist sehr zu begrüßen. Damit ist klar, dass auch für kirchliche Arbeitgeber gilt, dass in die Niederschrift im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 NachwG nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 15 NachwG ein in allgemeiner Form gehaltener Hinweis auf die auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen sowie Regelungen paritätisch besetzter Kommissionen, die auf der Grundlage kirchlichen Rechts Arbeitsbedingungen für den Bereich kirchlicher Arbeitgeber festlegen, aufzunehmen ist. Hinsichtlich der in Tarifverträgen oder kirchlichen Regelungen enthaltener Ausschlussfristen geht die Rechtsprechung davon aus, dass der Arbeitgeber nur verpflichtet ist, den Arbeitnehmer nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 15 (bisher Nr.10) NachwG auf den Tarifvertrag hinzuweisen. Eines gesonderten Hinweises auf die Ausschlussfrist der AVR bedarf es – auch ausweislich des Zwecks der Neufassung des Nachweisgesetzes – nicht.

Die Entscheidung finden Sie hier.

Landesarbeitsgericht Sachsen (LAG Sachsen), Urteil vom 19.09.2022 – 1 Sa 60/22

Rechtsprechung

Autor/-in: Marc Riede

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