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LAG Niedersachsen: Vergütungsstreitigkeiten wegen Überstunden

Keine Beweislastumkehr zu Lasten des Arbeitgebers nach EuGH-Zeiterfassungsurteil

Sachverhalt

Das LAG Niedersachsen hatte über die Berufung gegen ein Teilurteil des Arbeitsgerichts (ArbG) Emden (ArbG Emden, Urteil vom 09.11.2020, Az. 2 Ca 399/18) zu entscheiden.

Geklagt hatte ein Arbeitnehmer, der bis 30.09.2019 als Auslieferungsfahrer bei der Beklagten gearbeitet hatte. Der Kläger machte Überstundenvergütung für einen Zeitraum von 1,5 Jahren auf Basis von der Beklagten erstellter technischer Zeitaufzeichnungen geltend. Ob diese Aufzeichnungen zur Erfassung der vergütungspflichtigen Arbeitszeit erstellt worden waren, war zwischen den Parteien streitig.

Das ArbG Emden hatte der Klage insoweit stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, die Beklagte sei in europarechtskonformer Auslegung des § 618 BGB zur Erfassung und Kontrolle der Arbeitszeiten des Klägers verpflichtet gewesen. Da sie dieser Verpflichtung nach ihrem eigenen Vortrag nicht nachgekommen sei, reichten die vorgelegten technischen Aufzeichnungen als Indiz für die geleistete Arbeitszeit aus. Diese Indizien habe die Beklagte nicht – z. B. durch Darlegung von Pausenzeiten – entkräften können.

Entscheidung

Diese Auffassung teilte das LAG Niedersachen nicht. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 14.05.2019 (Az. C-55/18) hat keine Aussagekraft für die Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess im Hinblick auf die Frage der Anordnung, Duldung oder Betriebsnotwendigkeit von Überstunden. Dem EuGH kommt keine Kompetenz zur Entscheidung über Fragen der Vergütung zu. Dies ergibt sich aus Art. 153 AEUV. Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Überstundenvergütung habe der Kläger daher nicht dargelegt.

Einordnung

Mit der Entscheidung vom 14.05.2019 erklärte der EuGH, dass die Arbeitszeitrichtlinie einer Regelung entgegenstehe, die nach ihrer Auslegung durch die nationalen Gerichte die Arbeitgeber nicht verpflichtet, ein System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Arbeitszeiten von Arbeitnehmern müssen in allen Mitgliedstaaten der EU systematisch erfasst werden, um grundlegende Arbeitnehmerrechte zu schützen. Es geht dabei aber um Arbeitsschutz, Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer, wie das LAG Niedersachen unter Verweis auf Art. 153 AEUV zutreffend anmerkt.

Aus Dienstgebersicht ist diese Klarstellung und die damit verbundene Aussage, dass es bei Vergütungsstreitigkeiten wegen Überstunden gerade nicht zu einer Umkehr der Beweislast kommt, wie viele nach dem EuGH Urteil befürchtet hatten, sehr zu begrüßen.

Allerdings darf nun mit Spannung die Entscheidung des Bundearbeitsgerichts (BAG) erwartet werden – wenn es denn dazu kommt. Das LAG Niedersachen hat jedenfalls die Revision zugelassen. Die Umsetzung der Entscheidung des EuGH in nationales Recht steht auch noch aus. Wie der Gesetzgeber mit dieser Herausforderung umgeht, darf ebenfalls mit Spannung erwartet werden.

Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen, Urteil vom 06.05.2021, Az. 5 Sa 1292/20

Rechtsprechung

Autor/-in: Marc Riede

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