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KAGH: „Einschlägige Berufs­erfahrung“ für die Stufen­zuordnung

Bei der für die Stufenzuordnung maßgebenden „einschlägigen Berufserfahrung“ ist entscheidend, dass Mitarbeitende ihre Tätigkeit unmittelbar nach der Einstellung vollumfänglich und ohne nennenswerte Einarbeitungszeit aufnehmen können.

Der Kläger ist Träger zahlreicher Kitas, in denen die AVR Caritas Anwendung finden. Im August 2021 wollte er Frau X als Erzieherin einstellen. Frau X schloss ihre Ausbildung als Erzieherin im Jahr 2011 ab und war seitdem durchgängig als Erzieherin in einer geschützten Clearingwohngruppe tätig.

Der Kläger beantragte bei der Beklagten, der Mitarbeitervertretung, die Zustimmung zur Einstellung der Frau X als Erzieherin und ihrer Eingruppierung in die Entgeltgruppe S 8a Stufe 2 Anhang B Anlage 33 AVR Caritas. Die Beklagte stimmte der Einstellung zu, verweigerte aber die Zustimmung zur Stufenzuordnung, weil Frau X über ausreichend Berufserfahrung verfüge und daher in Stufe 3 einzugruppieren sei. Frau X nahm die Tätigkeit beim Kläger am 1. September 2021 vollumfänglich und ohne Einarbeitungszeit auf.

Der Kläger begehrte vor dem Kirchlichen Arbeitsgericht die Zustimmungsersetzung und bekam Recht. Einschlägige Berufserfahrung liege hier nicht vor, da die Erziehung und Betreuung von Kindern in Kitas nicht ohne Weiteres mit der Intensivbetreuung von Jugendlichen in geschützten Clearingwohngruppen vergleichbar sei. Gegen dieses Urteil legte die Beklagte Revision ein.

Der KAGH hält die Revision für begründet und ersetzte die Zustimmung nicht. Die Mitarbeiterin erfülle entgegen der Auffassung der Vorinstanz die Voraussetzungen für eine Zuordnung zur Stufe 3. Einschlägige Berufserfahrung könne auch dann erworben werden, wenn die frühere Tätigkeit nicht exakt gleich, aber gleichartig war und zwischen früherer und aktueller Tätigkeit eine eingruppierungsrechtliche Gleichwertigkeit besteht. Um dies zu beurteilen, sei ein tätigkeitsbezogener Vergleich zwischen den in der Vergangenheit erlangten Kenntnissen und Fähigkeiten mit den künftig zu bewältigenden Aufgaben erforderlich. Aufgrund der breit angelegten Ausbildung würden zu den vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Erzieherinnen nicht nur die Arbeit in Kindergärten, sondern unter anderem auch die Betreuung therapeutischer Jugendwohngruppen gehören. Angesichts des vom Berufsbild und der Ausbildung abgedeckten Einsatzspektrums einer Erzieherin könne an der Gleichartigkeit und Gleichwertigkeit der früheren Tätigkeiten der Mitarbeiterin kein Zweifel bestehen. Der Mitarbeiterin die einschlägige Berufserfahrung abzusprechen, weil sie bisher nicht in der jetzigen Tätigkeit, sondern nur in einer noch anspruchsvolleren Tätigkeit einschlägige Berufserfahrung sammeln konnte, schränke den Begriff in sinnwidriger Weise ein. Entscheidend müsse daher sein, dass der Mitarbeiter seine neue Tätigkeit unmittelbar nach der Einstellung vollumfänglich ohne nennenswerte Einarbeitungszeit aufnehmen könne.

Der KAGH folgt mit seiner Entscheidung der Rechtsprechung des BAG in ähnlich gelagerten Fällen. Hinter dem tariflichen Stufensystem steht der Leistungsgedanke. Um diesem gerecht zu werden, muss für eine einschlägige Berufserfahrung in der früheren Tätigkeit ein Kenntnis- und Wissenszuwachs erfolgt sein, der für die nach der Einstellung konkret auszuübende Tätigkeit erforderlich und prägend ist und der Mitarbeiterin bei der Ausübung der neuen Tätigkeit weiterhin zugutekommt. Dass eine gewisse Zeit lang eine identische Tätigkeit ausgeübt wurde, wird nicht verlangt. Um zu beurteilen, ob ein entsprechender Wissens- und Kenntniszuwachs erlangt wurde, hat ein Vergleich zwischen der bisherigen und der zukünftig vorgesehenen Tätigkeit zu erfolgen. Dem Dienstgeber steht bei diesem Vergleich ein Beurteilungs- bzw. Auslegungsspielraum zu. Wie aus dem zugrundeliegenden Sachverhalt hervorgeht, kann diese Beurteilung im Einzelfall recht herausfordernd sein. Das Urteil lenkt den Fokus in diesen Fällen auf das Wesentliche: Die bereits erlangte Berufserfahrung muss eine Einarbeitung weitestgehend überflüssig machen.

Das Urteil des KAGH finden Sie hier.

Kirchlicher Arbeitsgerichtshof (KAGH), Urteil vom 09.12.2022, Az. M 04/2022

Rechtsprechung

Autor/-in: Yolanda Thau

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