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BAG: Übergehen des Integrationsamts bei Kündigung kann Indiz für eine Diskriminierung sein

Der Arbeitgeber muss die Zustimmung des Integrationsamts einholen, bevor er einen schwerbehinderten Menschen kündigen kann. Missachtet der Arbeitgeber diese Vorschrift, kann eine rechtswidrige Benachteiligung vorliegen. Für einen Anspruch auf Entschädigung bedarf es aber konkreter Anhaltspunkte.

Sachverhalt

Der Kläger, der bei der Beklagten beschäftigt war, wurde im Rahmen einer Personalgestellung als Hausmeister für eine Grundschule bei der Stadt L. eingesetzt. Seit dem 11. Februar 2018 ist er arbeitsunfähig erkrankt. Dies wurde dem Arbeitgeber am 12. Februar 2018 telefonisch mitgeteilt.

Mit Schreiben vom 14. Februar 2018 kündigte die Stadt L. den Vertrag über eine Personalgestellung. Ende März/Anfang April 2018 kündigte der Arbeitgeber das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis mit dem Hinweis darauf, dass der Vertrag zwischen ihm und der Stadt L. ende. Eine Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers endete mit einem Vergleich vor dem Arbeitsgericht.

Weiterhin verlangt der Kläger von seinem früheren Arbeitgeber eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz). Der Arbeitgeber habe ihn wegen seiner (Schwer-) Behinderung benachteiligt, indem er bei der Kündigung nicht die Zustimmung des Integrationsamts eingeholt hat.

Das ist für die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen in § 168 SGB IX vorgeschrieben. Der Kläger macht geltend, seine Schwerbehinderung sei für den Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung offenkundig gewesen, auch wenn der Kläger zu dem Zeitpunkt noch keine Anerkennung als schwerbehinderter Mensch beantragt hatte. Dem Arbeitgeber sei seit dem 12. Februar 2018 bekannt gewesen, dass er am 11. Februar 2018 einen Schlaganfall erlitten und mit halbseitiger Lähmung auf der Intensivstation gelegen habe.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen (LAG Sachsen-Anhalt, 26.01.2021 – 6 Sa 29/19).

Entscheidung

Auch vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte der Kläger keinen Erfolg. Das Gericht sieht die Voraussetzungen für eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG nicht als erfüllt an. Das AGG hat eine eigene Beweisregel: Kann der Betroffene Indizien dafür angeben, dass er wegen seiner Behinderung oder eines anderen persönlichen Merkmals benachteiligt worden ist, kann dies eine Vermutung begründen, dass tatsächlich ein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligungen vorgelegen hat (§ 22 AGG). In diesem Fall ist das BAG der Ansicht, dass solche Indizien nicht vorliegen.

Grundsätzlich könne ein Verstoß des Arbeitgebers gegen Verfahrensvorschriften, die zugunsten schwerbehinderter Menschen gelten, die Vermutung begründen, dass die Benachteiligung, die der schwerbehinderte Mensch erfahren hat, wegen der Schwerbehinderung erfolgte. Zu diesen Vorschriften gehöre auch das Zustimmungsverfahren bei Kündigungen nach § 168 SGB IX.

Der Kläger habe aber nicht schlüssig dargetan, wie und womit der Arbeitgeber gegen diese Bestimmung verstoßen haben soll. Selbst wenn es zutreffen sollte, dass der Kläger am 11. Februar 2018 einen Schlaganfall erlitten und noch am 12. Februar 2018 mit halbseitiger Lähmung auf der Intensivstation behandelt wurde, lägen keine Umstände vor, nach denen im Zeitpunkt der Kündigung durch den Beklagten von einer „offenkundigen Schwerbehinderung“ auszugehen war. Auch andere Indizien für eine Benachteiligung für eine Benachteiligung wegen einer (Schwer-)Behinderung gebe es nicht.

Bewertung

Das Urteil des BAG sorgt für mehr Sicherheit bei den Arbeitgebern: Ohne nachweisliche Kenntnis des Arbeitgebers von einer Schwerbehinderung beinhaltet die Kündigung ohne Einholung der Zustimmung des Integrationsamtes keine schadensersatzpflichtige Diskriminierung.

Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 02.06.2022, Az. 8 AZR 191/21

Rechtsprechung

Autor/-in: Marc Riede Florido Martins

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