BAG: Nur eingeschränkte Inhaltskontrolle von Arbeitsvertragsrichtlinien
Sachverhalt
Die Parteien stritten über die vorzunehmende Einstufung nach der Herabgruppierung der Klägerin.
Die Klägerin war seit dem Jahr 2000 bei der Beklagten zunächst als Pflegefachkraft, dann als Bereichskoordinatorin und später auf eigenen Wunsch wieder als Pflegefachkraft beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden die AVR der Diakonie Deutschland (AVR-DD) Anwendung. Die Regelungen zur Höher- und Herabgruppierung wurden mit Wirkung zum 1. Juli 2020 modifiziert. Gemäß § 16 Abs. 2 AVR-DD ist bei einer Herabgruppierung „das Grundentgelt aus der niedrigeren Entgeltgruppe der bisherigen Entgeltstufe unter Berücksichtigung der Verweildauer (Erfahrungszeit)“ zu zahlen.
Die Klägerin war vor ihrem ersten Tätigkeitswechsel als Pflegefachkraft in die Entgeltgruppe (EG) 7 Stufe 2 eingruppiert. Anschließend wurde sie als Bereichskoordinatorin eingesetzt und in die EG 9 eingruppiert. Dort war sie zuletzt der Stufe 1 zugeordnet. Im Jahr 2021 wurde sie auf eigenen Wunsch wieder als Fachkraft im Pflege- und Betreuungsdienst beschäftigt in die EG 7 Stufe 1 herabgruppiert. Die Klägerin wandte sich gegen ihre Stufenzuordnung nach der Herabgruppierung und verlangte eine Vergütung nach EG 7 Stufe 3. Sie war der Ansicht, dass bei der Stufenzuordnung ihre gesamte bisherige Verweildauer als Fachkraft in der EG 7 seit dem 1. April 2009 maßgeblich sei und Verweildauer und Erfahrungszeit kumulativ zu berücksichtigen seien.
Entscheidung
Das BAG hat die klageabweisenden Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt. Die Klägerin sei zu Recht der Stufe 1 zugeordnet worden. Die AVR-DD seien aufgrund der arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin anwendbar. Sie stellten Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) besonderer Art dar. Von üblichen AGB unterschieden sie sich nach ihrem Zustandekommen auf dem Dritten Weg sowie ihrem Regelungsgegenstand. Sie seien deshalb von den Gerichten nur auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem zwingenden Recht und den guten Sitten zu überprüfen.
Die Besonderheiten der AVR seien auch in der Auslegung der Regelungen zu beachten. Sie seien daher im Ergebnis nach den gleichen Grundsätzen auszulegen, die für Gesetze und Tarifverträge gelten. Unter Berücksichtigung dieser Auslegungsgrundsätze (nach Wortlaut, Sinn und Zweck, Willen der Richtliniengeber und systematischem Zusammenhang) sei die Einstufung in die Stufe 1 der EG 7 zutreffend gewesen. Nach § 16 Abs. 2 AVR-DD richte sich das Grundentgelt nach der Herabgruppierung in der niedrigeren Entgeltgruppe nach der bisherigen Entgeltstufe unter Berücksichtigung der Verweildauer (Erfahrungszeit). „Bisherig“ beziehe sich dabei auf die unmittelbar vor der Herabgruppierung innegehabte Entgeltstufe. Verweildauer und Erfahrungszeit seien nicht kumulativ zu berücksichtigen. Die Verweildauer (Erfahrungszeit) werde auf die Erfahrungsstufe der niedrigeren Entgeltgruppe übertragen. Erfahrungszeit habe dabei keine eigenständige Bedeutung im Verhältnis gegenüber der Verweildauer.
Die AVR-DD seien zwar auch der ergänzenden Vertragsauslegung zugänglich, doch gebe es mangels planwidriger Regelungslücke in den AVR-DD hierzu keinen Anlass.
Schließlich behandle § 16 Abs. 2 AVR-DD auch nicht verschiedene Mitarbeitendengruppen ungerechtfertigt ungleich. Insbesondere gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass der Stichtag für das Inkrafttreten der neuen Regelung willkürlich gewählt wurde.
Bewertung
Das Urteil bestätigt erfreulicher Weise die vom BAG aufgestellten Grundsätze zur Rechtsqualität von AVR. Obwohl es sich bei diesen grundsätzlich um AGB handelt, unterliegen sie nur einer eingeschränkten Inhaltskontrolle und werden in gleicher Art und Weise wie Tarifverträge und Gesetze ausgelegt.
Die Regelungen der AVR Caritas zur Höher- und Herabgruppierung unterscheiden sich in wesentlichen Punkten von denen der AVR-DD. Eine Herabgruppierung, wie sie hier erfolgt ist, ist zwar in ähnlicher Ausgestaltung in Einzelfällen denkbar, aber grundsätzlich nicht vorgesehen.
Am Schluss enthält die Entscheidung noch einen erinnernden Hinweis darauf, dass die stichtagsbezogene Differenzierung zwischen unterschiedlichen Mitarbeitendengruppen dann nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, wenn der Stichtag nicht willkürlich gewählt wurde, sondern etwa – wie im vorliegenden Fall – Teil eines Gesamtkonzeptes ist.
Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 05.10.2023, Az. 6 AZR 308/22
Rechtsprechung