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BAG: Kündigung einer Hebamme wegen Kirchenaustritts vor Begründung des Arbeitsverhältnisses

Das BAG ersucht den EuGH um Auslegung des Unionsrechts zur Frage, ob ein katholisches Krankenhaus eine Arbeitnehmerin als ungeeignet für eine Tätigkeit ansehen darf, weil sie vor Beginn des Arbeitsverhältnisses aus der Katholischen Kirche ausgetreten ist.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat den Europäischen Gerichtshof (EuGH) heute (21.07.2022) zur Auslegung des Unionsrechts zu der Frage angerufen, ob ein der Katholischen Kirche zugeordnetes Krankenhaus eine Arbeitnehmerin allein deshalb als ungeeignet für eine Tätigkeit ansehen darf, weil sie vor Beginn des Arbeitsverhältnisses aus der Katholischen Kirche ausgetreten ist, auch wenn es nicht grundsätzlich verlangt, dass alle bei ihm tätigen Arbeitnehmer der Katholischen Kirche angehören (BAG, Beschluss vom 21.07.2022, Az. 2 AZR 130/21).

Im Wortlaut hält das BAG seine Frage allgemeiner und ersucht den EuGH um die Beantwortung der Frage, ob eine nationale Regelung mit dem Unionsrecht vereinbar ist, die vorsieht, dass eine private, auf religiösen Grundsätzen beruhende Organisation

  • Personen allein aufgrund ihres Kirchenaustritts vor Begründung des Arbeitsverhältnisses als ungeeignet erachten darf,
  • verlangen darf, dass für sie arbeitende Personen nicht vor Begründung des Arbeitsverhältnisses aus der Kirche ausgetreten sind, oder
  • den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses davon abhängig machen darf, dass die ausgetretene Person wieder in die Kirche eintritt,

wenn sie von ihren Mitarbeitenden im Übrigen nicht verlangt, der entsprechenden Religionsgemeinschaft anzugehören.

Sachverhalt

Der Vorlagefrage liegt die Kündigungsschutzklage einer Hebamme zugrunde, die in einem Krankenhaus im Anwendungsbereich der AVR Caritas bis 2014 als angestellte Hebamme arbeitete und im September 2014 aus der Katholischen Kirche austrat. Bei einem Gespräch über die Neueinstellung der Klägerin Anfang 2019 wurde deren Zugehörigkeit zur Katholischen Kirche nicht thematisiert. Die Klägerin überreichte der Beklagten Anfang April 2019 den unterzeichneten Dienstvertrag sowie den ausgefüllten Personalbogen, in dem ihr Kirchenaustritt angegeben war. Anschließend trat sie ihren Dienst an. Nach Feststellung des Austritts und Ausbleiben des Wiedereintritts kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis.

Die Klägerin argumentierte, dass die Kündigung sie wegen ihrer fehlenden Zugehörigkeit zur Katholischen Kirche unrechtmäßig benachteilige. Auch stelle nur der Austritt von Mitarbeitenden einen Verstoß gegen Loyalitätsobliegenheiten dar, sie sei jedoch bereits vor Abschluss des Arbeitsvertrags ausgetreten. Schließlich beschäftige die Beklagte auch konfessionslose Hebammen.

Die Beklagte war der Meinung, dass die Klägerin aufgrund ihrer bewussten Abkehr von der katholischen Kirche für die Tätigkeit einer Hebamme in ihrem Krankenhaus nicht geeignet sei. Hätte sie von dem Kirchenaustritt gewusst, wäre die Klägerin nicht eingestellt worden.

Urteil der Vorinstanz

Das Landesarbeitergericht (LAG) Hamm hatte in der Vorinstanz noch entschieden, dass die Kündigung der Beklagten wirksam sei. Zwar benachteilige die Kündigung die Klägerin unmittelbar wegen ihrer Religion, sie sei jedoch gerechtfertigt (§ 9 Abs. 1 Var. 2 AGG). Unter Beachtung des Selbstverständnisses der Kirche stelle es eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung dar, die Ausübung der Tätigkeit einer Hebamme davon abhängig zu machen, dass ein Austritt aus der Katholischen Kirche nicht erfolgt ist; die Verkündigung des Evangeliums könne von solchen Mitarbeitenden nicht erwartet werden.

Bezüglich der behaupteten Ungleichbehandlung gegenüber konfessionslosen Hebammen stellte das LAG fest, dass hier schon die Gleichsetzung beider Fälle fehlgehe. Während konfessionslose Hebammen, die nie Mitglied der katholischen Kirche waren, dieser lediglich gleichgültig gegenüber stünden, komme in dem Austritt der Klägerin eine ablehnende Haltung gegen die verfasste Kirche zum Ausdruck (LAG Hamm, Urteil vom 24.09.2022, Az. 18 Sa 210/20).

Erste Einordnung

Das BAG ruft den EuGH mit seiner Vorlage um die Beantwortung hoch aktueller Fragen an, die insbesondere auch im Zusammenhang mit der Diskussion um den Entwurf der neuen Grundordnung zurzeit vielfach gestellt werden.

Nach der aktuellen Grundordnung des kirchlichen Dienstes (GrO) ist eine Person, die aus der katholischen Kirche ausgetreten ist, für keinen Dienst in der Kirche geeignet (Art. 3 Abs. 4 GrO). In der Folge wird der Austritt des Mitarbeitenden aus der Katholischen Kirche als schwerwiegender Verstoß gegen die Loyalitätsobliegenheiten gewertet (Art. 5 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a) GrO). Auch nach dem Entwurf der neuen Grundordnung steht der Austritt aus der Katholischen Kirche einer Weiterbeschäftigung und ausdrücklich auch einer Einstellung in der Regel entgegen.

Aufgrund der recht umfassenden Fragestellung hat dieses Verfahren das Potential, Klarheit und Rechtssicherheit bezüglich eines stets und teils heftig umstrittenen Themas zu bringen. Die Beantwortung der Vorlagefragen durch den EuGH ist daher mit Spannung zu erwarten. Es geht jedoch auch noch weiter: Ein zweiter Fall des Kirchenaustritts ist aktuell beim BAG anhängig (Az. 2 AZR 196/22, Vorinstanz: LAG Hessen, Urteil vom 01.03.2022, Az. 8 Sa 1092/20).

Bundesarbeitsgericht (BAG), Beschluss vom 21.07.2022, Az. 2 AZR 130/21

Rechtsprechung

Autor/-in: Yolanda Thau

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