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BAG: Blick aufs Handy kann auch nach Feierabend Pflicht sein

Auch in seiner Freizeit ist ein Arbeitnehmer nicht davor gefeit, Änderungen seines Dienstplans per SMS oder E-Mail beachten zu müssen. Dies hat das BAG im Fall eines Rettungssanitäters entschieden.

Sachverhalt

Der Kläger ist als Notfallsanitäter bei der Beklagten tätig. Der Kläger wollte sich 11,75 Arbeitsstunden gutschreiben lassen. Deren Anerkennung hatte die Beklagte verweigert, weil der Kläger zweimal eine kurzfristige Änderung seines Dienstplans erst nach dem regulären Schichtbeginn zur Kenntnis genommen hatte – zu spät für die angeordneten Verschiebungen von Einsatzort und Uhrzeit. Telefonisch war der als Springer eingesetzte Retter jeweils nicht erreichbar gewesen, und auf die daraufhin verschickten Kurznachrichten aufs Handy (SMS) sowie per E-Mail reagierte er erst zu spät für den Schichtbeginn. Seine Begründung: Das Mobiltelefon habe er zwischen den Dienstzeiten lautlos gestellt, um sich um die Kinder kümmern zu können.

Bei der Beklagten gilt eine Betriebsvereinbarung, in der u.a. auch die Zuteilung einzelner Springerdienste geregelt ist. Diese werden spätestens vier Tage vorher durch eine konkrete Schichtzuteilung verbindlich. Ist zu diesem Zeitpunkt keine konkrete Schichtzuteilung möglich, erfolgt die Zuteilung von unkonkreten Tag-, Spät- und Nachtdiensten. Weiter sieht § 4 Abs. 8 der Betriebsvereinbarung vor, dass eine Konkretisierung von unkonkret zugeteilten Springerdiensten für Tag- und Spätdienste bis 20 Uhr des Vortags vor Dienstbeginn im Dienstplan erfolgen kann. Zur Einsicht des Dienstplans steht den Arbeitnehmern die Möglichkeit zur Verfügung, den Dienstplan jederzeit über das Internet aufzurufen.

Entscheidung

In der Entscheidung kommt das BAG zu dem Schluss, dass der Mann seine Arbeitsleistung nicht wie erforderlich angeboten habe. Daher habe sich der Arbeitgeber nicht in Annahmeverzug befunden. Er durfte also das Arbeitszeitkonto kürzen und musste auch die ausgesprochene Abmahnung nicht aus der Personalakte streichen. So hatte der Beschäftigte in einem der beiden Fälle erst morgens um 7.30 Uhr seine Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme bekundet – diese wäre aber schon um 6.00 Uhr (und in einer anderen Rettungswache) fällig gewesen. Das hatte ihm der Arbeitgeber am Vortag auch um 13.20 Uhr mitgeteilt. Und laut der Betriebsvereinbarung, die eine auf fünf Ebenen gestaffelte, immer weitergehende Konkretisierung der Schichtpläne vorsah, hätte er dies sogar noch am Vorabend bis 20.00 Uhr tun können.

Diese Regelung sei vom Direktionsrecht gedeckt. Es verstoße weder gegen das Teilzeit- und Befristungsgesetz noch gegen den Arbeitsschutz nach dem Arbeitszeitgesetz und auch nicht gegen die EU-Richtlinie von 2003. Bei dieser nehme der EuGH ebenfalls keine Arbeitszeit an, wenn etwaige Einschränkungen es Beschäftigten erlaubten, trotzdem „ohne größere Anstrengungen“ eigene Interessen zu verwirklichen – selbst bei einer „Rufbereitschaft“.

Für den Kläger bestand eine Nebenpflicht aus dem Vertragsverhältnis, die Zuteilung des Dienstes zur Kenntnis zu nehmen, selbst wenn sie auf seinem Mobiltelefon eingegangen sei. Dieser Pflicht habe er auch außerhalb seiner eigentlichen Dienstzeit als Notfallsanitäter nachzukommen. Nach § 241 Abs. 2 BGB sei „jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet“.

Keineswegs sei der Arbeitnehmer verpflichtet gewesen, den gesamten Tag auf sein Handy zu schauen und sich dienstbereit zu halten – es hätte sogar gereicht, wenn er dies am Morgen des Diensttages getan hätte. Die Ruhezeit wird demnach durch die Kenntnisnahme nicht unterbrochen. Vielmehr konnte er dem obersten Arbeitsgericht zufolge frei wählen, zu welchem Zeitpunkt er die Weisung zur Kenntnis nimmt: Dabei stellt sich der eigentliche Moment der Kenntnisnahme der SMS als zeitlich so geringfügig dar, dass auch insoweit von einer ganz erheblichen Beeinträchtigung der Nutzung der freien Zeit nicht ausgegangen werden kann.

Bewertung

Die Entscheidung des BAG ist zu begrüßen.

Das LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 27. September 2022 – 1 Sa 39 öD/22) hatte den Fall völlig anders gesehen und u.a. ausgeführt:

In seiner Freizeit stehe dem Mitarbeiter ein „Recht auf Unerreichbarkeit“ zu. Freizeit zeichne sich gerade dadurch aus, dass Arbeitnehmer nicht zur Verfügung stehen müssten. In dieser Zeit müssen sie gerade nicht fremdnützig tätig sein, sind nicht Bestandteil einer fremdbestimmten arbeitsrechtlichen Organisationseinheit und fungieren nicht als Arbeitskraft. Dem stehe auch der „zeitlich minimale Aufwand“, der mit dem Aufrufen und Lesen einer SMS verbunden sei, nicht entgegen. Arbeit werde nicht deswegen zur Freizeit, weil sie nur in zeitlich ganz geringfügigem Umfang anfällt. Schließlich gehe es sowohl um Gesundheits- als auch Persönlichkeitsschutz.

Das BAG hat dies richtigerweise anders beurteilt und in einen treffenden Zusammenhang gestellt. Eine Kontaktaufnahme mit Arbeitnehmern in ihrer Freizeit ist für Arbeitgeber in vielen Fällen für einen möglichst flexiblen betrieblichen Ablauf unerlässlich. Das BAG hat sich erfreulicherweise für eine praxisnahe Lösung entschieden und im konkreten Fall ein Recht von Arbeitnehmern auf Unerreichbarkeit in ihrer Freizeit abgelehnt.

Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 23.08.2023, 5 AZR 349/22

Rechtsprechung

Autor/-in: Marc Riede

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