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BAG: Außerordentliche Kündigung wegen Äußerungen in einer Chatgruppe

Aktualisierter Artikel Ein Arbeitnehmer, der sich in einer privaten Chatgruppe in beleidigender und menschenverachtender Weise über Vorgesetzte und Kollegen äußert, kann sich gegen eine darauf folgende fristlose Kündigung nur im Ausnahmefall auf eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung berufen.

Sachverhalt

Der Kläger war bei der Beklagten beschäftigt und seit 2014 Mitglied einer Chatgruppe mit anderen Arbeitnehmern der Beklagten. Bei den Mitgliedern dieser Gruppe handelte es sich um langjährige Freunde, zwei Mitglieder waren miteinander verwandt. In dieser Gruppe äußerte sich unter anderem auch der Kläger auf stark beleidigende, rassistische, sexistische und zu Gewalt aufrufender Weise über Vorgesetzte und Arbeitskollegen. Die Beklagte erhielt davon zufällig Kenntnis und kündigte dem Kläger außerordentlich fristlos.

Die Vorinstanzen haben dem Kündigungsschutzbegehren des Klägers stattgegeben. Aufgrund der berechtigten Vertraulichkeitserwartung des Klägers seien seine Äußerungen nicht geeignet, eine personenbedingte Kündigung zu rechtfertigen.

Entscheidung

Zunächst stellt das BAG fest, dass die Äußerungen des Klägers in der Chatgruppe keinem Sachvortragsverwertungsverbot unterstehen. Auf eigene Initiative von Dritten (rechtswidrig) zugeleitete Chatverläufe dürfen durchaus durch einen beklagten Arbeitgeber zur Verteidigung vorgebracht werden.

Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers, seiner Vertreter oder von Arbeitskollegen, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung darstellten, können nach ständiger Rechtsprechung des BAG eine erhebliche (Neben-)Pflichtverletzung begründen. Allein der Umstand, dass die Äußerungen in einer privaten Chatgruppe getätigt wurden, führe nicht dazu, dass die Pflichtwidrigkeit entfalle. Das Berufungsgericht habe hier verkannt, dass der Kläger die Voraussetzungen für die Vertraulichkeitserwartungen nicht hinreichend dargelegt habe. Die Vertraulichkeitserwartung besteht nach Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), wenn ehrverletzende Äußerungen über nicht anwesende Dritte in besonders engen Lebenskreisen getätigt werden. Dies setzt voraus, dass die Äußerung Ausdruck des besonderen Vertrauens ist und keine begründete Möglichkeit ihrer Weitergabe besteht; in dieser Konstellation besteht eine beleidigungsfreie Sphäre. Dies ist Ausdruck des Rechts auf freie Persönlichkeitsentfaltung nach Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG), wonach der einzelne in geschützten Räumen sich selbst überlassen ist oder mit Personen seines besonderen Vertrauens ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Konventionen und ohne Furcht vor Sanktionen verkehren kann. An diesem Schutz nimmt auch die vertrauliche Kommunikation teil.

Bei der Würdigung von diffamierenden oder ehrverletzenden Äußerungen über Vorgesetzte bzw. Kollegen, die eine fristlose Kündigung rechtfertigen könnten, müsse, so das BAG, also immer der Kontext der Äußerungen berücksichtigt werden. Handele es sich um ein vertrauliches Gespräch unter Kollegen, könne der Arbeitnehmer darauf vertrauen, dass die Äußerung nicht nach außen gelangen und müsse daher nicht damit rechnen, dadurch den Betriebsfrieden zu stören und das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber zu belasten. Diese Vertraulichkeit sei aber nicht bei jeder Gesprächssituation mit Arbeitskollegen annehmbar, insbesondere bei Zusammenkünften einer größeren Anzahl dürften Zweifel angebracht sein. Ebenfalls dürfte die Vertraulichkeit bei bestimmten Gesprächsthemen, die sich besonders belastend auf den Betriebsfrieden bzw. das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber auswirken könnten, nicht immer ohne Weiteres anzunehmen sein. Dies sei wie im gegenständlichen Fall u.a. bei beleidigenden und menschenverachtenden Äußerungen der Fall. Hier müsse der Gekündigte darlegen, warum er trotz Größe und Zusammensetzung des Personenkreises und der Art der Äußerungen davon ausgehen durfte, dass diese nicht nach außen dringen würden. Bei einer Kommunikation in einer Chatgruppe sei schon zu berücksichtigen, dass es sich nicht um eine Kommunikation unter Anwesenden handele. Dies mache es bereits schwerer, die Vertraulichkeit der Kommunikation abzuschätzen. Die Vertraulichkeit könne nicht schon auf die „Ende-zu-Ende“-Verschlüsselung des Chats gestützt werden. Denn diese betreffe nur den Übertragungsweg und nicht die Abspeicherung auf dem Telefon. Chatnachrichten seien leicht weiterzugeben. Weder aus der langjährigen Freundschaft noch Verwandtschaft allein lasse sich eine vertrauliche Kommunikation herleiten, auch nicht daraus, dass zuvor jahrelang keine Äußerungen weitergetragen worden seien. Hier spreche sogar gegen die Vertraulichkeit, dass sich die Chat-Mitglieder unterschiedlich am Austausch beteiligten und eines der Mitglieder auch nicht mehr bei der Beklagten beschäftigt war, es also selbst keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen zu befürchten hatte. Insbesondere müsse nach dem BAG auch die Frage gestellt werden, ob nicht bei besonders menschenverachtenden oder zu Gewalt aufrufenden Äußerungen sogar damit zu rechnen sei, dass die Vertraulichkeitserwartung entfalle und eines der Mitglieder den Inhalt nach außen tragen wird.

Bewertung

Eine einheitliche Rechtsprechung zu ehrverletzenden Äußerungen in privaten Chatgruppen gibt es in Deutschland bislang nicht. Das BAG hat sich nun erstmals damit befasst, unter welchen Umständen und in welchem Umfang eine Chatgruppe ein (verfassungsrechtlich) geschützter Raum ist. Das BAG ist erfreulicherweise der Ansicht, dass auch eine geschlossene Chatgruppe ohne betrieblichen Bezug nicht ohne Weiteres einen privaten Raum darstellt, in dem Beleidigungen und Beschimpfungen ohne arbeitsrechtliche Konsequenzen ausgetauscht werden können.

Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 24.08.2023, Az. 2 AZR 17/23

Rechtsprechung

Autor/-in: Yolanda Thau

Aktuelles aus der Rechtsprechung

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