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Reallohn­entwicklung im ersten Quartal 2023

Der aktuelle Caritas-Tarifabschluss mit einer durchschnittlichen Steigerung der Tariflöhne um mehr als zehn Prozent wird auch in Zukunft selbst bei unverändert hohen Inflationsraten um sechs Prozent für deutliche Reallohngewinne sorgen.

Das Statistische Bundesamt (Destatis) meldete Ende Mai die aktuellen Zahlen zur Nominal- und Reallohnentwicklung. Die hohen Tarifabschlüsse, die in den letzten Monaten ausgehandelt wurden, werden zeitversetzt – häufig erst in 2024 – wirksam. In diesem Jahr setzen viele Branchen auf die von der Bundesregierung genau zu diesem Zweck eingeführte Möglichkeit zur Zahlung einer steuer- und sozialabgabenfreien Prämie zur Abmilderung des schnellen Anstiegs der Verbraucherpreise in Höhe von bis zu 3.000 Euro. Solche Einmalzahlungen haben neben Lohnerhöhungen zur Abschwächung des Reallohnverlustes im ersten Quartal 2023 beigetragen. Im Bereich der Caritas wurde die erste Rate dieser Inflationsausgleichsprämie – wie in vielen anderen Tarifbereichen auch – Ende Juni ausgezahlt, so dass sich die positive Entwicklung der Reallöhne weiter fortsetzen wird.

Im Folgenden wird neben der Analyse der aktuellen und kurzfristigen Schwankungen der relevanten Kennzahlen auch ein Blick auf die langfristige Entwicklung geworfen. Dieser zeigt, dass die teilweise hohen Reallohngewinne aus der langen Phase niedriger Inflation der letzten zehn Jahre trotz aktuell hoher Inflationsraten nicht aufgebraucht sind.

Entwicklung Reallohn

Die 2010er Jahre waren davon geprägt, dass die Gehälter stärker gestiegen waren als die Inflation. Erst der durch die Corona-Pandemie hervorgerufene wirtschaftliche Einbruch und die damit verbundene Kurzarbeit führten zu einem sinkenden Reallohn. Die wirtschaftliche Erholung von den Auswirkungen der Pandemiezeit wurde von den Folgen des Ukraine-Russland-Kriegs unterbrochen. Energiepreise und Nahrungsmittelpreise stiegen auf den weltweiten Märkten und zogen hohe Inflationsraten in fast allen Volkswirtschaften nach sich. Dies hatte sich in einer deutlich negativen Reallohnentwicklung niedergeschlagen. In der Folge gingen die Gewerkschaften mit hohen Forderungen in die Tarifverhandlungen, um dem Rückgang der Reallöhne entgegenzuwirken.

Im Jahre 2022 erreichte die Inflation einen Wert von 6,9 Prozent; die Löhne stiegen im Durchschnitt um 3,5 Prozent. Der Reallohn sank das dritte Jahr in Folge und verzeichnete einen Rückgang um 3,1 Prozent. (Vgl. Destatis 2023 PM Nr. 078)

Nur in wenigen Branchen stieg der Tariflohn im Jahre 2022 stärker als die Inflation. Im Gastgewerbe zum Beispiel stieg der Tariflohn um 9,1 Prozent. Grund war, dass wegen der Mindestlohnsteigerung die Tariflöhne am unteren Ende der Lohnstruktur angepasst werden mussten; auch der Fachkräftemangel übte zusätzlich Druck auf die Lohnverhandlungen aus. (Vgl. WSI Tarifpolitischer Jahresbericht 2022)

Im ersten Quartal 2023 sind die Nominallöhne einschließlich Sonderzahlungen im Vergleich zum Vorjahr um 5,6 Prozent gestiegen – das ist der höchste Anstieg seit Beginn der Statistik im Jahre 2008. Geringfügig Beschäftigte wiesen mit 8,9 Prozent sogar einen noch höheren Nominallohnanstieg im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf. Laut Statistischem Bundesamt sei dies vor allem auf die seit dem 1. Oktober 2022 gültige Erhöhung der Minijob-Verdienstgrenze von 450 Euro auf 520 Euro zurückzuführen. Vollzeitbeschäftigte verzeichneten ebenfalls einen leicht überdurchschnittlichen Nominallohnzuwachs von 5,9 Prozent. Für Teilzeitkräfte und Auszubildende stieg der Lohn um 4,7 Prozent. Mit 8,3 Prozent war der Anstieg in den Verbraucherpreisen noch höher, so dass das Statistische Bundesamtes einen Reallohnrückgang von 2,3 Prozent vermeldete. Damit setzte sich ein Trend aus dem Jahre 2022 fort: Die hohe Inflation zehrte das Lohnwachstum für die Beschäftigten auch zu Jahresbeginn auf. Der Rückgang der Reallöhne ist jedoch bereits geringer ausgefallen als in den vorangegangenen Quartalen. Grund ist, dass die Bruttomonatsverdienste gestiegen sind und die Inflationsrate leicht zurückging (vgl. Destatis 2023 PM Nr. 206).

Betrachtet man jedoch die langfristige Entwicklung dieser Kennzahlen in der folgenden Abbildung, so wird deutlich, dass sowohl der Tarifindex als auch die Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer seit 2010 deutlich stärker gestiegen sind als der Verbraucherpreisindex (VPI), also die Inflationsrate. Dies gilt auch für die Tarifentwicklung im Bereich der AVR.

So liegt zum Beispiel der auf 2010 basierte Index der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer 2022 mit fast 140 Punkten noch immer rund 14 Punkte über dem VPI mit 125 Punkten. Auch der Tarifindex und die Tarifentwicklung in den AVR liegen mit mehr als 130 Punkten noch deutlich über dem VPI. Die Grafik zeigt aber auch, dass der maximale Abstand zwischen VPI und den anderen drei Indikatoren aus dem Jahr 2020 von rund 15 Punkten deutlich verringert wurde. Dennoch sind langfristig – also über die letzten zwölf Jahre betrachtet – die Nominallöhne stärker gestiegen als der Verbraucherpreisindex. Das heißt, für den betrachteten Zeitraum liegt eine Reallohnsteigerung vor. Angesichts der hohen Tarifabschlüsse für 2024, die zum Beispiel im Bereich der AVR zu einem durchschnittlichen Anstieg der tariflichen Löhne um mehr als zehn Prozent führen werden, sind selbst bei unverändert hohen Inflationsraten um sechs Prozent deutliche Reallohngewinne zu erwarten.

Entwicklung Medianlohn

Im Jahr 2022 betrug das Medianentgelt aller sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten 3.646 Euro. Die Differenz zum Vorjahr beträgt 130 Euro und entspricht einem Zuwachs von 3,7 Prozent. Im Zeitraum 2015 bis 2022 ist das Medianentgelt um 18,3 Prozent gestiegen. In einzelnen Berufen gibt es noch deutlich höhere Steigerungen, etwa in der Altenpflege: Dort sind die Mediangehälter im gleichen Zeitraum um 40,6 Prozent gestiegen. Zwischen 2021 und 2022 lag die Steigerung für diese Beschäftigtengruppe mit 8,6 Prozent bereits deutlich über dem Durchschnitt und auch höher als der Inflationsanstieg (6,9 Prozent in 2022). Weitere Zahlen aus der aktuellen Entgeltstatistik* 2022 der Bundesagentur für Arbeit finden Sie in unserer Ökonomischen Analyse vom 25.07.2023.

*Die Bundesagentur für Arbeit hat im Juli 2023 die Entgeltstatistik - ihre jährliche Lohnstatistik, die sich aus Daten der Sozialversicherungsmeldungen der Unternehmen speist - veröffentlicht. Die Medianentgelte der einzelnen Berufsgruppen sind im Entgeltatlas einseh- und filterbar (nach Geschlecht, Region und Altersgruppe). Das Medianentgelt - also das Einkommen, das genau in der Mitte der betrachteten und nach Größe sortierten Einkommen liegt - ist das mittlere Entgelt über alle Vollzeitbeschäftigten hinweg. Die untere Hälfte der Beschäftigten erzielt ein Entgelt unterhalb des Medianlohns, die obere Hälfte oberhalb des Medianlohns.

Aussicht für 2023 und 2024

Laut Dr. Dominik Groll, Leiter Arbeitsmarktanalyse am IfW Kiel, dürften die stärksten Kaufkraftverluste überstanden sein. Es sei noch unklar, ob die Reallöhne im Durchschnitt des laufenden Jahres wieder höher ausfallen werden; ein leichtes Plus sei ebenso denkbar wie ein leichtes Minus. Spätestens aber im nächsten Jahr werden nach seiner Einschätzung die Nominallöhne stärker steigen als die Verbraucherpreise. (Vgl. Kiel Institute Statements 30.05.2023)

Auch die Forscher des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) rechnen damit, dass die Löhne und Gehälter im kommenden Jahr mit einer Rate oberhalb der Inflationsrate steigen werden. Für die kommenden Jahre gehen sie davon aus, dass die Inflationsrate deutlich zurückgehe und ab 2024 wieder in die Nähe des Inflationsziels der Europäischen Zentralbank liegen werde. (Vgl. IMK Policy Brief Nr. 151 Juni 2023)

Fazit

Trotz deutlicher Steigerungen der Nominallöhne – im ersten Quartal teilweise sogar mit dem höchsten Anstieg seit Beginn der Statistik im Jahre 2008 – wird der hohe Preisanstieg derzeit nicht in allen Bereichen kompensiert. Bezogen auf die letzten beiden Jahre sind somit tatsächlich in einzelnen Jahren sinkende Reallöhne zu beobachten. Betrachtet man jedoch die lange Frist, so sind die in der Regel deutlich über der Inflationsrate liegenden Steigerungen der Nominallöhne (gleich ob Bruttolöhne und -gehälter oder Tarifverdienste allgemein oder bei Caritas) der letzten zehn Jahre nicht „aufgebraucht“. Im Gegenteil: Der aktuelle Caritas-Tarifabschluss mit einer durchschnittlichen Steigerung der Tariflöhne um mehr als zehn Prozent wird auch in Zukunft selbst bei unverändert hohen Inflationsraten um sechs Prozent für deutliche Reallohngewinne sorgen.

Ökonomische Analyse

Autor/-in: Anusha Anthonippillai, Dr. Pascal Krimmer

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