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Hohe Inflationsraten und eine drohende Gasversorgungskrise

Ein Überblick über die aktuelle Lage in Hinblick auf eine drohende Lohn-Preis-Spirale und die Maßnahmen der Bundesregierung.

Die Inflationsrate in Deutschland liegt inzwischen so hoch wie zuletzt in der Ölpreiskrise in den 70ern. Hohe Energiepreise und teure Lebensmittel belasten den privaten Verbrauch. Die Gaskrise könnte die Gesellschaft vor eine Zerreißprobe stellen.

Inflationsrate im Juni

Die Inflationsrate, gemessen als Veränderung des Verbraucherpreisindex (VPI) zum Vorjahresmonat, verbleibt auch im Juni auf einem hohen Niveau von 7,6 Prozent. Ein leichter Rückgang um 0,3 Prozentpunkte im Vergleich zum Vormonat Mai (7,9 Prozent) sind auf die Entlastungsmaßnahmen im Verkehr, dem 9-Euro-Ticket und der Senkung der Mineralölsteuer, zurückzuführen. Grundsätzlich bleiben die Kriegssituation in der Ukraine und die Lieferengpässe aufgrund der Corona-Pandemie die wichtigsten Ursachen für die hohen Preise. Energieprodukte verteuerten sich binnen Jahresfrist um 38 Prozent, Nahrungsmittel um 12,7 Prozent (vgl. Pressemitteilung Bundesamt für Statistik Nr. 296 vom 13.07.2022).

Leitzinserhöhung erstmals seit 2011

Auf der Ratssitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) am 21.07.2022 wurde eine deutliche Anhebung des Leitzinses auf 0,5 Prozent beschlossen; damit signalisiert die Zentralbank nicht nur ein entschiedenes Vorgehen gegen die hohen Inflationsdaten, sondern verringert auch den Zinsunterschied zu den USA. Die straffere Zinspolitik in den USA und die Rezessionssorgen in Europa hatten Anleger veranlasst Kapital aus dem Euroraum zurückzuziehen und in Dollar zu investieren. Der schwache Euro hat zur Folge, dass Importgüter, vor allem Energieprodukte, langfristig teurer werden und so die Inflationsrate weiter angetrieben wird.

Gaskrise

Auf dem Energiesektor ist keine Beruhigung der Preisentwicklung zu erwarten. Derzeit lässt die Angst vor einem dauerhaften Lieferstopp von Gas nach den Wartungsarbeiten der Pipeline Nordstream 1 die Preise weiter in die Höhe schnellen. Um auf eine drohende Gaskrise vorbereitet zu sein und die Auswirkungen von Versorgungsengpässen möglichst gering zu halten, legte die EU-Kommission am 20.07.2022 einen Gasnotfallplan „Gaseinsparungen für den Winter“ vor.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hatte bereits am 23.06.2022 die zweite Stufe des Notfallplans Gas, die sogenannte Alarmstufe, ausgerufen, nachdem Gaslieferungen aus Russland um 60 Prozent reduziert worden waren. Der Notfallplan Gas basiert auf der EU-Verordnung 2017 / 1938  und regelt die Gasversorgung im Krisenfall in Deutschland.

Vizekanzler und Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck (Bündnis 90 / Die Grünen) erklärte im Interview der Woche im Deutschlandfunk am 10.07.2022, dass die Ausrufung der höchsten Warnstufe im Notfallplan Gas, der Notfallstufe, eine Gasunterversorgung implizieren würde. In diesem Fall hätten private Haushalte und die kritische Infrastruktur (bspw. Krankenhäuser und Pflegeheime) bei der Gasversorgung Vorrang. Allerdings weist Habeck darauf hin, dass diese Verordnung für den Fall einer kurzfristigen Versorgungsstörung geregelt und nicht für eine längere Versorgungskrise konzipiert wurde. Um den Handlungsspielraum der Bundesregierung zu erweitern, habe man das Energiesicherungsgesetz im Eilverfahren angepasst. Es beinhaltet unter anderem, dass Gaspreiserhöhungen unbegrenzt möglich sind und diese binnen einer Woche angepasst und an die Kunden weitergegeben werden können. Aufgrund der bevorstehenden starken finanziellen Belastung der Endverbraucher drohe eine soziale Spaltung, die man sozialpolitisch auffangen müsse, so Habeck. Man werde im Rahmen der konzertierten Aktion über konkrete Maßnahmen sprechen.

Konzertierte Aktion

Bundekanzler Olaf Scholz (SPD) brachte am 04.07.2022 Gewerkschaften, Arbeitgeber, Wissenschaftler, die Bundesbank und Regierungspolitiker zur Auftaktsitzung der Konzertierten Aktion zusammen. Die Tarifpartner stehen vor der Herausforderung, Lohnerhöhungen vor dem Hintergrund der hohen Inflationszahlen abzuschließen; gleichzeitig diese aber in einem Maße anzusetzen, dass kein weiterer Druck auf den Preis ausgeübt wird und eine Lohn-Preis-Spirale in Gang getreten wird (vgl. Dienstgeberbrief 02/2022). Zur Debatte stehen zum Beispiel ein weiteres Entlastungspaket, steuerfreie Einmalzahlungen, ein Gaspreisdeckel oder die Beseitigung der Kalten Progression. Die Konzertierte Aktion sieht weitere Treffen vor; erste Ergebnisse sind im Herbst zu erwarten.

Ifo-Umfrage

Im Rahmen der aktuellen Ranstad-ifo-Personalleiterbefragung wurde untersucht, wie Unternehmen angesichts der steigenden Energiekosten ihre Angestellten unterstützen bzw. Betriebskosten einsparen. Ein Drittel (32 Prozent) der befragten Unternehmen, darunter vor allem klein- und mittelständische Industrie- und Handelsbetriebe, unterstützt die Mitarbeitenden in Form von Tankgutscheinen. 22 Prozent gaben an, Einmalzahlungen zu leisten. Pendlerinnen wurden in Form von Fahrtkostenzuschüssen (21 Prozent) oder der Kostenübernahme für das Jobticket (18 Prozent) entlastet. Laut 19 Prozent der befragten Unternehmen wurde die Homeofficeregelung vorübergehend (im Durchschnitt um 8,5 Tage pro Monat) erweitert. 36 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, keine der genannten Maßnahmen eingeführt zu haben. 57 Prozent bejahten zumindest eine grundsätzliche Unterstützung (vgl. ifo Schnelldienst 2022, 75, Nr. 07, 36 - 39).

Fazit

Anhaltend hohe Inflationsraten und eine Gas- bzw. Energiekrise, die sich im Winter verschlimmern könnte, haben eine drohende Lohn-Preis-Spirale zur Chefsache im Kanzleramt gemacht. Es bleibt abzuwarten, welche Ergebnisse im Rahmen der konzertierten Aktion erzielt werden können.

Ökonomische Analyse