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LAG Berlin-Brandenburg: Entschuldigtes Fehlen trotz fehlender Entschuldigung

Beim entschuldigten Fehlen im arbeitsrechtlichen Sinn kommt es nicht auf die Anzeige beim Arbeitgeber und die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an, sondern darauf, ob der Arbeitnehmer gerechtfertigt gefehlt hat.

Sachverhalt

Die Klägerin war bei der Beklagten seit 2019 beschäftigt. In der Zeit vom 1. bis zum 17. Juli 2020 war die Klägerin im Urlaub. Am 18. Juli 2020 erkrankte die Klägerin und musste stationär im Krankenhaus aufgenommen werden. Ob die Beklagte hierüber durch das Umfeld der Klägerin informiert wurde, ist zwischen den Parteien streitig. Mit Schreiben vom 4. August 2020 erkundigte sich die Beklagte nach dem Verbleib der Klägerin und bat um Rückmeldung. Am 10. August 2020 informierte der Sozialdienst des behandelnden Krankenhauses die Beklagte über die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin und bat für die Klägerin um Entgeltfortzahlung an diese. Mit Schreiben vom 11. August 2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich. Die Vergütung für Juli und August 2020 hat die Beklagte nicht mehr an die Klägerin gezahlt. Die Klägerin wandte sich gegen die Kündigung und forderte die Vergütung für Juli und August 2020. Das Arbeitsgericht (ArbG) Berlin hat ihr in erster Instanz Recht gegeben.

Entscheidung

Das LAG Berlin-Brandenburg hat die Berufung der Beklagten als unzulässig zurückgewiesen und zudem ausgeführt, dass die Berufung auch unbegründet gewesen wäre. Die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung lägen nicht vor. Die Beklagte habe seit dem 10. August 2020 Kenntnis von der bestehenden und fortdauernden Arbeitsunfähigkeit der Klägerin gehabt. Damit hätte zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung jedenfalls kein Verstoß mehr gegen die Anzeigepflicht nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) vorgelegen und damit hätte die Beklagte auch Kenntnis davon gehabt, dass die Klägerin aufgrund ihrer Arbeitsunfähigkeit nicht unentschuldigt gefehlt hatte. Selbst wenn die Klägerin zuvor wochenlang gegen ihre Anzeige- und/oder Nachweispflichten aus dem EFZG verstoßen haben sollte, so handelte es sich um eine auf steuerbarem Verhalten beruhende Vertragspflichtverletzung. Bei dieser sei nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) grundsätzlich davon auszugehen, dass ihr künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden könne. Die ordentliche wie auch die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzten deshalb regelmäßig eine Abmahnung zur Objektivierung der negativen Prognose voraus. Fehle es an einem wichtigen Grund für die außerordentliche, fristlose Kündigung, so komme es auf die Interessenabwägung nicht an.

Bewertung

Die Entscheidung zeigt, dass es wichtig ist, sich den Unterschied zwischen der allgemeingebräuchlichen und der rechtlichen Bedeutung von „unentschuldigtem Fehlen“ zu verdeutlichen. Voraussetzung für entschuldigtes Fehlen im arbeitsrechtlichen Sinne ist keine Entschuldigung des Arbeitnehmers der Art, dass er seinen Arbeitgeber über das Fehlen benachrichtigt. Arbeitsrechtlich meint unentschuldigtes Fehlen, dass kein rechtfertigender Grund für das Fehlen, wie die Arbeitsunfähigkeit, vorgelegen hat. Die Nichtanzeige bzw. die Nichtvorlage der Bescheinigung haben auf die Frage, ob es sich um ein entschuldigtes Fehlen handelt, keinen Einfluss, sondern stellen eine eigene Pflichtverletzung dar, die in der Regel nicht so schwer wiegt wie ein unentschuldigtes Fehlen. Bei wiederholter Nichtanzeige bzw. Nichtvorlage der Bescheinigung ist eine verhaltensbedingte Kündigung jedoch durchaus denkbar, da es sich hierbei in aller Regel um eine steuerbare Pflichtverletzung handelt.

Voraussetzung für verhaltensbedingte Kündigungen ist neben der schuldhaften Pflichtverletzung durch den Mitarbeitenden, dass eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht zu erwarten ist. Die durch den Dienstgeber anzustellende negative Zukunftsprognose ist in der Regel auf ordnungsgemäße Abmahnungen zu stützen. Indem der Dienstgeber Mitarbeitende ordnungsgemäß abmahnt, wird ihnen vermittelt, dass ihr konkretes Verhalten nicht akzeptiert wird (Rügefunktion) und ein wiederholter Verstoß den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet (kündigungsrechtliche Warnfunktion). Erteilte Abmahnungen erfüllen zudem eine wichtige Dokumentationsfunktion für den Streitfall. Wie stets gilt auch bei den hier besprochenen Pflichtverletzungen, dass Kündigungen immer das letzte Mittel sein müssen (Ultima-Ratio-Prinzip), um wirksam sein zu können.

Die Revision wurde nicht zugelassen.

Rechtsprechung

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