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VG Frankfurt/Main: Keine „Corona-Entschädigung“ bei Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegen den Arbeitgeber

Die staatliche Entschädigung nach § 56 Abs. 1 IfSG ist gegenüber dem privatrechtlichen Anspruch nach § 3 EFZG subsidiär. Bei nachträglicher Arbeitsunfähigkeit entsteht durch § 56 Abs. 7 Satz 2 IfSG ein Nullsaldo, aus dem keine weitergehenden Ansprüche hergeleitet werden können.

Sachverhalt

Den voneinander unabhängigen Verfahren liegen ähnliche Sachverhalte zugrunde:

Die Klägerinnen sind jeweils Arbeitgeberinnen von Mitarbeitenden, die sich im Frühjahr 2020 in behördlich angeordneter Quarantäne befanden und für einen Zeitraum innerhalb der Absonderungszeit arbeitsunfähig erkrankt waren. In einem Fall befand sich die Mitarbeiterin vom 30.03.2020 bis zum 27.04.2020 in Quarantäne und war vom 30.03.2020 bis zum 05.04.2020 arbeitsunfähig erkrankt (anfängliche Arbeitsunfähigkeit). In dem anderen Verfahren wurde die Quarantäne vom 29.03.2020 bis zum 29.05.2020 angeordnet und die Mitarbeiterin erkrankte vom 14.04.2020 bis zum 09.05.2020 arbeitsunfähig (nachtägliche Arbeitsunfähigkeit).

Die Klägerinnen beantragten für die Zeit der Quarantäne eine Entschädigung gemäß § 56 IfSG bei der Beklagten, der entschädigungspflichtigen Stadt. Die Beklagte bewilligte die Anträge jeweils nur für die Zeit, in der keine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorlag. Von dem Quarantänezeitraum ohne Erkrankung zog sie jeweils pauschal drei Tage mit der Begründung ab, dass für diese Tage ein vorrangiger Anspruch nach § 616 S. 1 BGB gegen die Klägerin bestehe, da drei Tage eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit im Sinne der Norm darstellten. Gegen die nur teilweise Bewilligung der Anträge erhoben die Klägerinnen Klage vor dem Verwaltungsgericht.

Entscheidung

Das Gericht entschied, dass ein Anspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG nur für die Zeiten geltend gemacht werden kann, in denen kein Anspruch nach § 3 EFZG bestehe.

Im Falle der anfänglichen Arbeitsunfähigkeit bestehe der staatliche Anspruch nach § 56 IfSG nicht, weil er gegenüber dem privatrechtlichen Anspruch aus § 3 EFZG subsidiär sei. § 56 Abs. 1 IfSG setze seinem Wortlaut nach eine Kausalität zwischen der Absonderungsanordnung und Verdienstausfall voraus. Die Subsidiarität ergebe sich neben dem Wortlaut auch aus dem Sinn und Zweck der „Corona-Entschädigung“ als staatliche Billigkeitsentschädigung, die den Nicht-Kranken einem Kranken (der regelmäßig bereits vom EFZG umfasst sei) gleichstellen soll. Auch die Systematik spreche für eine Subsidiarität. Denn in § 56 Abs. 7 Satz 1 IfSG werde für die Fälle der nachträglich eintretenden Arbeitsunfähigkeit angeordnet, dass der Entschädigungsanspruch in Höhe des Betrags, der bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit an den Berechtigten auszuzahlen war, bestehen bleibt. Wäre § 56 Abs. 1 IfSG gegenüber § 3 EFZG nicht subsidiär, wäre diese Regelung bedeutungslos.

§ 56 Abs. 7 Satz 1 IfSG führe allerdings auch im Fall der nachträglichen Arbeitsunfähigkeit nicht zu einem Entschädigungsanspruch für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit. Denn nach § 56 Abs. 7 Satz 2 gehen Ansprüche, die Entschädigungsberechtigten durch die Arbeitsunfähigkeit entstehen (etwa nach § 3 EFZG) auf das entschädigungspflichtige Land über. Es entstehe dadurch ein „Nullsaldo“, aus dem die Klägerin nichts herleiten könne.

Der von der Rechtsprechung für § 3 EFZG entwickelte Grundsatz der Monokausalität könne der gesetzlich vorgesehen Subsidiarität des § 56 IfSG schon aus Gründen der Gewaltenteilung nicht entgegenstehen.

Soweit die Beklagte unter Verweis auf § 616 Satz 1 BGB pauschal drei Tage vom entschädigungspflichtigen Zeitraum abgezogen hat, war die Klage begründet. Bei dem Merkmal „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ handle es sich um ein Tatbestandsmerkmal, ohne das die Rechtsfolge der Norm nicht eintrete. Eine Aufteilung des Quarantänezeitraums in einen nicht erheblichen Zeitraum von pauschal drei Tagen und einen verbleibenden erheblichen Zeitraum sei daher mit den Grundsätzen des § 616 Satz 1 BGB nicht vereinbar.

Bewertung

In seinen Entscheidungen leitet das VG Frankfurt/Main sauber die inzwischen in der Rechtsprechung einhellig vertretene Meinung her, dass § 56 IfSG gegenüber § 3 EFZG subsidiär ist. Ob die Arbeitsunfähigkeit dabei eine anfängliche oder eine nachträgliche ist, ist im Ergebnis nicht relevant. Ein Entschädigungsanspruch besteht nur für die Zeit, in denen die Quarantäneanordnung der einzige Grund für den Verdienstausfall war. Sobald der Dienstnehmer arbeitsunfähig erkrankt, hat der Dienstgeber Entgeltfortzahlung nach dem EFZG zu leisten. Rechtsanwendende müssen hinnehmen, dass der Gesetzgeber hier Regelungen angeordnet hat, die – ähnlich wie bei § 9 Bundesurlaubsgesetz – dem Grundsatz der Monokausalität des BAG im Rahmen des § 3 EFZG keinen Anwendungsraum lassen.

Zudem wurde richtigerweise festgestellt, dass die pauschale Abwälzung einer Tagesanzahl aus der Gesamtheit der Absonderungstage unter Berufung auf § 616 Satz 1 BGB auf den Arbeitgeber nicht rechtens ist. Handelt es sich bei der Gesamtdauer der angeordneten Quarantäne nicht insgesamt um eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“, tritt die Rechtsfolge der Norm – die Aufrechterhaltung des Vergütungsanspruchs des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber – nicht ein.

Sofern dieser Pauschalabzug im Anwendungsbereich der AVR-Caritas vorgenommen wurde, geht die Argumentation der Beklagten schon aus einem anderen Grund ins Leere: In § 10 Abs. 2 AT AVR werden die Fälle des § 616 Satz 1 BGB abschließend geregelt. Im Falle einer angeordneten Quarantäne besteht daher – unabhängig von deren Dauer – kein Anspruch des Dienstnehmers gegen den Dienstgeber nach § 616 BGB, der gegenüber dem Entschädigungsanspruch aus § 56 IfSG vorrangig sein könnte.

Das Urteil des VG Frankfurt/Main zur anfänglichen Arbeitsunfähigkeit finden Sie hier; das Urteil zur nachträglichen Arbeitsunfähigkeit hier.

Verwaltungsgericht (VG) Frankfurt/Main, Urteile vom 28.09.2022, Az. 5 K 3442/20.F und Az. 5 K 3397/20.F

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