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BAG: Verjährung des Urlaubs­abgeltungs­anspruchs tritt unabhängig von Erfüllung der Mitwirkungs­obliegenheiten ein

Der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, nicht genommenen Urlaub nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzugelten, unterliegt der Verjährung. Die dreijährige Verjährungsfrist beginnt in der Regel mit dem Ende des Jahres, in dem der Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet.

Sachverhalt

Die Beklagte betreibt eine Flugschule. Sie beschäftigte den Kläger seit dem 9. Juni 2010 als Ausbildungsleiter, ohne ihm seinen jährlichen Urlaub von 30 Arbeitstagen zu gewähren. Unter dem 19. Oktober 2015 verständigten sich die Parteien darauf, dass der Kläger in der Folgezeit als selbstständiger Dienstnehmer für die Beklagte tätig werden sollte. Mit der im August 2019 erhobenen Klage verlangte der Kläger die Abgeltung von Urlaub aus seiner Beschäftigungszeit vor der Vertragsänderung. Die Beklagte erhob die Einrede der Verjährung.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers hatte beim Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg, soweit er die Beklagte auf Abgeltung von Urlaub aus den Jahren 2010 bis 2014 in Höhe von 37.416,50 Euro in Anspruch nimmt. Bezogen auf Urlaubs-abgeltung für das Jahr 2015 blieb sie erfolglos.

Entscheidung

Das BAG entschied nun, dass die Rechtsprechung des EuGH zum Beginn der Verjährungsfrist von Urlaubsansprüchen auf die Verjährung des Urlaubsabgeltungsanspruchs unmittelbar keine Auswirkungen habe (siehe Anmerkung unten).

Die dreijährige Verjährungsfrist für den Abgeltungsanspruch beginne in der Regel am Ende des Jahres, in dem das Arbeitsverhältnis endet, ohne dass es auf die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten ankomme. Dies begründet das BAG damit, dass die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Zäsur bilde und die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers ab diesem Zeitpunkt ende. Zudem sei der Urlaubsabgeltungsanspruch auf eine finanzielle Kompensation beschränkt und diene anders als der Urlaubsanspruch nicht Erholungszwecken.

Eine Ausnahme bilden vor 2018 beendete Arbeitsverhältnisse.

Da die Rechtsprechung bis zur Entscheidung des EuGH vom 6. November 2018 - C-684/16 davon ausging, dass Urlaubsansprüche mit Ablauf des Urlaubsjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums unabhängig von der Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten automatisch verfallen, konnte vom Arbeitnehmer bis zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht erwartet werden, dass er den Urlaubsabgeltungsanspruch aus den Vorjahren gerichtlich durchsetzt. Ohne Kenntnis der vom EuGH im Jahr 2018 entwickelten Mitwirkungsobliegenheit konnte der Arbeitnehmer nicht erkennen, ob und in welchem Umfang Urlaubsansprüche mangels Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheit bestanden, damit abzugelten waren und zu verjähren drohten. Der Beginn der Verjährungsfrist für solche Ansprüche verschiebt sich daher auf Ende 2018.

Eine weitere Ausnahme von der Ausnahme (also Beginn der Verjährung bereits vor Ende des Jahres 2018) besteht für den Urlaubsabgeltungsanspruch für den Urlaub aus dem Jahr der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, da dieser Anspruch auch auf der Grundlage der früheren Rechtsprechung bestand und der Arbeitnehmer wusste, dass zur Vermeidung einer Verjährung grundsätzlich eine gerichtliche Geltendmachung erforderlich war.

Parallelentscheidung des Bundesarbeitsgerichts, Urteil vom 31.01.2023 - 9 AZR 244/20

In einer weiteren Entscheidung vom gleichen Tag stellte da Bundesarbeitsgericht auch klar, dass es weiterhin daran festhält, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch als reiner Geldanspruch tariflichen Ausschlussfristen unterfallen kann und begründet dies ebenfalls mit der Zäsurwirkung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Entsprechendes dürfte auch für vertragliche Ausschlussfristen gelten.

Für die Frage Geltendmachung bei Altfällen (bis 2018) gelten dieselben Grundsätze wie bei der Verjährung, sodass Ausschlussfristen – mit Ausnahme für den Anspruch aus dem Jahr der Beendigung – erst mit Verkündung des EuGH-Urteils vom 6. November 2018 zu laufen begonnen haben.

Bewertung

Nach den Urteilen des BAG im Dezember (siehe hier) ist zumindest teilweise Entwarnung angesagt!

Aufgrund der Entscheidungen des BAG im Dezember besteht für Arbeitgeber das Risiko, wenn sie ihren Mitwirkungsobliegenheiten nicht nachgekommen sind, dass sie Urlaub aus vielen früheren Jahren der Tätigkeit noch nachgewähren müssen. Jetzt hat das BAG entschieden, dass zumindest Urlaubsabgeltungsansprüche unabhängig von der Frage, ob Arbeitgeber entsprechenden Hinweisobliegenheiten nachgekommen sind, Ausschlussfristen und Verjährungsfristen unterliegen.

Die regelmäßige Verjährungsfrist für den Urlaubsabgeltungsanspruch ist unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des BAG für Urlaubsansprüche aus vergangenen Jahren bis einschließlich 2019 seit dem 01.01.2023 abgelaufen. Auf die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheit kommt es nicht an. Es können damit (sofern keine Ausschlussfristen gelten) ausschließlich Urlaubsabgeltungsansprüche, die im Zeitraum 2020 bis heute entstanden sind, geltend gemacht werden. Es steht damit nicht zu befürchten, dass ehemalige Arbeitnehmer Urlaubsabgeltungsansprüche aus diesem Zeitraum durchsetzen können. Noch rascher führen Ausschlussfristen zu Rechtsicherheit. In den AVR sind die Ausschlussfristen in § 23 des Allgemeinen Teils geregelt. Ansprüche aus dem Dienstverhältnis verfallen nach dieser Regelung, wenn sie nicht innerhalb von 6 Monaten nach Fälligkeit in Textform gelten gemacht werden.

Anmerkung: EuGH vom 06.11.2018 (C-684/16)
„Ein Ar­beit­neh­mer darf seine er­wor­be­nen An­sprü­che auf be­zahl­ten Jah­res­ur­laub nicht au­to­ma­tisch des­halb ver­lie­ren, weil er kei­nen Ur­laub be­an­tragt hat. Dies hat der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof mit Ur­tei­l vom 06.11.2018 ent­schie­den. Diese An­sprü­che ver­fie­len viel­mehr nur dann, wenn der Ar­beit­ge­ber be­wei­se, dass der Ar­beit­neh­mer frei­wil­lig auf sei­nen Ur­laub ver­zich­tet habe, nach­dem er ihn tat­säch­lich in die Lage ver­setzt habe, recht­zei­tig Ur­laub zu neh­men.“

Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 31.01.2023 - 9 AZR 456/20

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