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BAG: Überstunden müssen weiterhin Arbeitnehmer nachweisen

Beweislast für Überstunden liegt trotz der „Stechuhr-Entscheidung“ des EuGH weiterhin beim Arbeitnehmer.

Sachverhalt

Der Kläger war bei der Beklagten als Auslieferungsfahrer beschäftigt. Die Arbeitszeit des Klägers wurde dabei mittels technischer Zeitaufzeichnung erfasst, wobei nur Beginn und Ende der Arbeitszeit, nicht aber Pausenzeiten aufgezeichnet wurden. Die Auswertung der Arbeitszeitaufzeichnungen zum Ende des Arbeitsverhältnisses ergab für den Kläger einen positiven Saldo von 348 Stunden. Der Kläger bewertete diese Stunden als von ihm geleistete Überstunden und verlangte von der Beklagten die finanzielle Abgeltung dieser. Insbesondere habe er nie Pausen machen können, da er seine Lieferaufträge nicht hätte abarbeiten können. Er war zudem der Meinung, das Vorlegen der technisch aufgezeichneten Arbeitszeiten genüge zum Beweis seiner vergütungspflichtigen Überstunden. Dem Klagebegehren wurde in erster Instanz mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH stattgegeben, in zweiter Instanz wurde die Klage im Wesentlichen abgewiesen.

Entscheidung

Das BAG hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen und festgestellt, dass auch vor dem Hintergrund der sogenannten „Stechuhr-Entscheidung“ des EuGH nicht vom Erfordernis der Darlegung der arbeitgeberseitigen Veranlassung von Überstunden durch den Arbeitnehmer und der bisherigen Rechtsprechung hierzu abzurücken sei. Die Vorgaben des EuGH fänden grundsätzlich keine Anwendung auf die Vergütung der Arbeitnehmer, sondern dienten allein dem Gesundheits- und Arbeitsschutz, da sie sich auf die Auslegung und Anwendung der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG und von Art. 31 der Charta der Grundrechte bezieht. Daher habe die unionsrechtlich begründete Pflicht zur Messung der täglichen Arbeitszeit keine Auswirkung auf die für das deutsche Recht entwickelten Grundsätze über die Beweislast in Überstundenvergütungsprozessen. Hiervon ausgehend habe der Kläger durch seine pauschale Behauptung, er habe keine Pausen machen können, nicht hinreichend konkret dargelegt, dass die von ihm geltend gemachten Überstunden erforderlich gewesen seien.

Bewertung

In seiner „Stechuhr-Entscheidung“ hat der EuGH bereits 2019 festgestellt, dass alle Arbeitgeber in der EU zur Befolgung der europäischen Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG verlässliche Systeme einrichten müssen, mit denen sich die Arbeitszeit erfassen lässt. Der deutsche Gesetzgeber hat dieses Urteil bisher nicht umgesetzt. Das ArbG Emden hatte argumentiert, für Arbeitnehmer ergäben sich aus dem Urteil des EuGH unmittelbar Erleichterungen beim Nachweis von Überstunden (Urteil vom 20.02.2020, Az. 2 Ca 94/19). Dem hat das BAG nun eine Absage erteilt.

Das bisher nur als Pressemitteilung vorliegende Urteil des BAG schafft die notwendige Rechtsklarheit in Bezug auf die Auswirkungen dieser EuGH-Entscheidung. Dabei werden zwei wesentliche Punkte festgestellt: Erstens sind die von technischen Zeiterfassungssystemen erfassten Stunden zwischen Arbeitsbeginn und Arbeitsende nicht ohne Weiteres grundsätzlich vergütungspflichtig. Und zweitens führt eine derartige arbeitgeberseitige Zeiterfassung nicht zu einer Beweislastumkehr zugunsten des Arbeitnehmers. Eine Erstreckung der Wirkung einer europäischen Arbeitnehmerschutzregelung auf die Beweislastverteilung bei Vergütungsfragen wäre insofern auch überraschend gewesen. Es obliegt somit weiterhin dem Arbeitnehmer, darzulegen, an welchen Tagen und zu welchen Zeiten er über die übliche Arbeitszeit hinaus gearbeitet hat, welche Tätigkeit er ausgeübt hat und dass die Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet, geduldet oder zumindest gebilligt worden sind. Nur dann müssen Arbeitsgeber Überstunden vergüten.

Gleichwohl bleibt die Reaktion des Gesetzgebers auf die Verpflichtung zur Einführung eines rechtlich effektiven Systems zur Erfassung der Arbeitszeit mit Spannung zu erwarten.

BAG, Urteil vom 4. Mai 2022 Az.: 5 AZR 359/21

Rechtsprechung

Autor/-in: Yolanda Thau

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