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BAG: Annahmeverzug nach Vorlage eines negativen PCR-Tests

Der Arbeitgeber darf nach Vorlage eines negativen PCR-Tests kein Betretungsverbot aussprechen.

Sachverhalt

Der Kläger ist als Leiter der Nachtreinigung bei der Beklagten, die Lebensmittel für den Lebensmitteleinzelhandel produziert, beschäftigt. Das von der Beklagten zum Infektionsschutz erstellte Hygienekonzept regelte für Reiserückkehrer aus Risikogebieten u.a. eine zwingende 14-tägige Quarantäne mit einem Betretungsverbot im Betrieb ohne Entgeltanspruch. Die SARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung des Landes Berlin vom 16. Juni 2020 (SARS-CoV-2-EindV) sah nach Einreise aus Risikogebieten grundsätzlich eine Quarantänepflicht für einen Zeitraum von 14 Tagen vor, allerdings mit Ausnahmen: Nicht in Quarantäne mussten sich symptomfreie Personen mit einem negativem PCR-Test begeben, der höchstens 48 Stunden vor der Einreise in einem Mitgliedstaat der EU oder in einem durch das RKI ausgewiesenen Staat vorgenommen wurde.

Während seines Erholungsurlaubs im August 2020 hielt sich der Kläger in der Türkei auf, die zu dieser Zeit als Corona-Risikogebiet ausgewiesen war. Vor seiner Rückreise nach Deutschland unterzog er sich einem PCR-Test, der negativ ausfiel. Der behandelnde Arzt attestierte ihm Symptomfreiheit. Als der Kläger seine Arbeit wieder aufnehmen wollte, verweigerte die Beklagte ihm den Zutritt zum Betrieb für die Dauer von 14 Tagen und zahlte keine Arbeitsvergütung. Mit seiner Klage verlangte der Kläger Vergütung wegen Annahmeverzugs. Er machte geltend, die Beklagte habe zu Unrecht die Annahme seiner Arbeitsleistung verweigert. 

Entscheidung

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LAG) hatte der Klage stattgegeben (vgl. LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 02.03.2022 - 4 Sa 644/21). Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg. 

Das LAG habe zutreffend entschieden, dass sich die Beklagte mit der Annahme der vom Kläger angebotenen Arbeitsleistung in Annahmeverzug befand. Das von ihr erteilte Betretungsverbot führe nicht zur Leistungsunfähigkeit des Klägers (§ 297 BGB), vielmehr habe die Beklagte die Ursache für die Nichterbringung der Arbeitsleistung selbst gesetzt. Im Übrigen habe sie nicht dargelegt, weshalb die Annahme der Arbeitsleistung des Klägers aufgrund der konkreten betrieblichen Umstände unzumutbar gewesen sei. 

Schließlich sei die Weisung, dem Betrieb für die Dauer von 14 Tagen ohne Fortzahlung der Arbeitsvergütung fernzubleiben, unbillig (§ 106 GewO) und daher unwirksam gewesen. Die Beklagte habe dem Kläger nicht die Möglichkeit eingeräumt, durch einen weiteren PCR-Test eine Infektion weitgehend auszuschließen, betonte das BAG. Hierdurch hätte sie den nach § 618 Abs. 1 BGB erforderlichen und angemessenen Gesundheitsschutz der Mitarbeitenden erreichen und einen ordnungsgemäßen Betriebsablauf gewährleisten können.

Bewertung

Die Entscheidung des BAG bietet Arbeitgebern die Möglichkeit, ihr betriebliches Hygienekonzept zu überprüfen und gegebenenfalls zu überarbeiten. Sind im betrieblichen Hygienekonzept strengere Regelungen als die gesetzlichen Quarantänepflichten vorgesehen, ist in der Regel der Ausspruch eines Betretungsverbots im Rahmen des Direktionsrechts unwirksam mit der Folge, dass die betroffenen Mitarbeitenden ihren Vergütungsanspruch nicht verlieren. Ein Betretungsverbot könnte allerdings über eine wirksam geschlossene Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung zulässig sein, wenn sich die Betriebs- bzw. Dienstparteien zuvor darauf verständigt haben.

Arbeitgeber können weiterhin Corona-Schutzmaßnahmen in ihren Betrieben umsetzen, solange das „Wie“ der Arbeitsleistung betroffen ist, z.B. durch die Anordnung des Tragens einer Maske. Sobald arbeitsrechtliche Maßnahmen aber das „Ob“ der Arbeitsleistung tangieren und insbesondere ein Betretungsverbot im Raum steht, wird dies ohne gesetzliche Grundlage nur in sehr engen Ausnahmefällen und nur durch den Abschluss entsprechender Betriebs- bzw. Dienstvereinbarungen möglich sein.

Die Pressemitteilung zum Urteil des BAG finden Sie hier.

Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 10.08.2022 Az: 5 AZR 154/22

Rechtsprechung

Autor/-in: Nicolas Alexandre

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