Zum Hauptinhalt springen

BAG: Behördlich angeordnete Quarantäne während des Urlaubs

Müssen Arbeitgeber Urlaustage gutschreiben, wenn während des Urlaubs Arbeitnehmer in Quarantäne müssen? Diese Frage hat das Bundesarbeitsgericht im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens an den Europäischen Gerichtshof gerichtet.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Gutschrift von Urlaubstagen für das Jahr 2020. Geklagt hatte ein Schlosser aus der Region Hamm. Sein Arbeitgeber, der Beklagte, hatte ihm im Oktober 2020 acht Urlaubstage genehmigt. Da er Kontakt mit einem Covid-19-Infizierten hatte, ordnete die kommunale Behörde die häusliche Quarantäne an. Der Kläger setzte seinen Arbeitgeber darüber in Kenntnis und forderte ihn mehrmals auf, die in Quarantäne verbrachten acht Urlaubstage gutzuschreiben. Der Arbeitgeber reagierte darauf nicht, so dass der Kläger Klage einreichte.

Der Kläger hatte die auf Wiedergutschrift der Urlaubstage auf seinem Urlaubskonto gerichtete Klage darauf gestützt, es sei ihm nicht möglich gewesen, seinen Urlaub aufgrund der Quarantäne selbstbestimmt zu gestalten. 

Nachdem das erstinstanzliche Gericht die Klage abwies, gab das Landesarbeitsgericht Hamm (LAG) der Klage statt. Als Begründung führte das LAG an, dass im Falle einer angeordneten Quarantäne eine Vergleichbarkeit mit der Situation eines arbeitsunfähigen erkrankten Arbeitnehmers gegeben sei. § 9 Bundesurlaubsgesetz (BurlG) sei daher analog auf den Fall einer angeordneten Quarantäne anzuwenden. Die Anordnung einer Quarantäne stehe einer freien, selbstbestimmten Gestaltung des Urlaubszeitraums diametral gegenüber (vgl. LAG Hamm, Urteil vom 27. Januar 2022 - 5 Sa 1030/21, Rn. 55 ff.). 

Entscheidung

Das BAG hat die Revision der Beklagten zugelassen und im Wege eines Vorabentscheidungs-ersuchens den Europäischen Gerichtshof (EuGH) angerufen.

Für das BAG sei es entscheidungserheblich, ob es mit Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG) und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union im Einklang stehe, wenn ein vom Arbeitnehmer beantragter und vom Arbeitgeber bewilligter Jahresurlaub, der sich mit einer nach Urlaubsbewilligung durch eine Behörde angeordneten häuslichen Quarantäne überschneidet, nach nationalem Recht nicht nachzugewähren sei, weil der betroffene Arbeitgeber selbst nicht krank war.

Bewertung

Die Frage ist von hoher praktischer Relevanz, nicht zuletzt wegen der weiterhin grassierenden Omikron-Variante, die in den vergangenen Monaten die Ausbreitung des Coronavirus beschleunigt und zu Höchstwerten bei der 7-Tage-Inzidenz geführt hat.

In seiner früheren Rechtsprechung hat das BAG entschieden, dass die Bestimmungen der §§ 9, 10 BUrlG nicht verallgemeinerungsfähig seien, und eine entsprechende Anwendung auf andere urlaubsstörende Ereignisse oder Tatbestände, aus denen sich eine Beseitigung der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers ergebe, grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. BAG, Urteil vom 25. August 2020 - 9 AZR 612/19, Rn. 23 m.w.N.). 

Sollte sich der EuGH der Auffassung des LAG anschließen, drohen vielen Arbeitgebern erhebliche Urlaubsnachforderungen seitens der Belegschaft. Es bleibt daher abzuwarten, ob sich das LAG mit seiner arbeitnehmerfreundlichen Auslegung durchsetzen wird.

Die Pressemitteilung zum Urteil des BAG finden Sie hier.

BAG, Beschluss vom 16. August 2022 - Az: 9 AZR 76/22 (A)

Rechtsprechung

Autor/-in: Nicolas Alexandre

Melden Sie sich zum Newsletter an

Seien Sie immer einen Schritt voraus:
Erhalten Sie regelmäßig Informationen zu tarifrechtlichen Entwicklungen sowie wichtige Praxishinweise in unserem Dienstgeberbrief!

 

Newsletter abonnieren