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Einkommens­verteilung in Deutschland ist relativ stabil

IW-Verteilungsreport 2021

Immer wieder wird die sich angeblich immer weiter öffnende Einkommensschere in Diskussionen angeführt, um die Einkommensungleichheit zwischen Arm und Reich anzuprangern. Eine aktuelle Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), die den Zeitraum seit 1991 betrachtet, zeigt nun, dass die Einkommensungleichheit in den letzten Jahren nicht weiter zugenommen hat. Insbesondere im Zeitraum 2015 bis 2018 sind die realen Arbeitseinkommen aller Einkommensgruppen sogar deutlich gestiegen. Die Studie betrachtet aber nicht nur die Arbeitseinkommen, sondern auch die Markt- und Nettoeinkommen der Haushalte. Diese berücksichtigen neben den Arbeitseinkommen auch die zu zahlenden Steuern und Abgaben, sowie die empfangenen Transferleistungen und weitere Einkünfte (z.B. Kapitaleinkünfte oder Mieteinnahmen) und sind deshalb als Wohlstandsmaß besser geeignet. Die Studie des IW basiert auf Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) – einer Langzeithaushaltsbefragung, die regelmäßig vom Deutschen Institut für Wirtschaft (DIW) durchgeführt wird. Die wesentlichen Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Entwicklung seit 2015

Im Zeitraum zwischen 1991 und 2018 sind die nominalen Arbeitseinkommen, die noch immer die Haupteinkunftsquelle des überwiegenden Teils der Haushalte sind, um 76 Prozent gestiegen. Real betrachtet – also nach Berücksichtigung der Inflation – bleibt ein tatsächliches Einkommensplus von zwölf Prozent. Fast die Hälfte des Anstiegs fällt in die Jahre 2015 bis 2018, in denen die realen Arbeitseinkommen um fünf Prozent gestiegen sind. Diesen Zeitraum vor Ausbruch der Corona-Pandemie bezeichnen die Verfasser der Studie als eine Periode inklusiven Wachstums, in dem der Wohlstand breiter Bevölkerungsteile stark gewachsen ist.

Auch die Niedrigeinkommensquote (relative Armutsgefährdungsquote), die den Anteil der Haushalte misst, die über weniger als 60 Prozent des bedarfsgewichteten Mediannettoeinkommens verfügen verharrt seit 2015 auf einem nahezu unveränderten Niveau von 16 Prozent. Gleiches gilt für die sogenannte relative Einkommensarmutsquote, die bei rund zehn Prozent liegt und die sich aus dem Anteil der Personen mit einem bedarfsgewichteten Haushaltsnettoeinkommen von weniger als 50 Prozent des Medians der bedarfsgewichteten Haushaltsnettoeinkommen ergibt (und nicht mit der Armutsgefährdungsquote zu verwechseln ist).

Das bedarfsgewichtete Haushaltseinkommen wird ermittelt, indem das gesamte Markteinkommen eines Haushalts durch die bedarfsgewichtete Zahl der Haushaltsmitglieder geteilt wird. Die Gewichtung ergibt sich aus der neuen OECD-Äquivalenzskale, nach der der erste Erwachsene eines Haushalts mit dem Faktor 1, jedes weitere Haushaltsmitglied ab 14 Jahre mit dem Faktor 0,5 und Kinder unter 14 Jahren mit dem Faktor 0,3 gewichtet werden. Bei einem vierköpfigen Haushalt mit Eltern und zwei Kindern unter 14 Jahren wird also das Haushaltseinkommen durch 2,1 geteilt. Beide Maße setzen dabei auf das Nettomarkteinkommen, in dem Steuern und Abgaben sowie um Transfers und z.B. Miet- und Kapitaleinkünfte berücksichtigt sind.

Ein weiteres Merkmal der Periode zwischen 2015 und 2018 ist, dass nach längerem Stillstand wieder eine leichte Konvergenz der durchschnittlichen realen Arbeitseinkommen zwischen Ost- und Westdeutschland zu beobachten war und 2018 ein Niveau von 81,0 Prozent erreicht wurde. 1991 lag der Wert noch bei 61,3 Prozent und 2015 bei rund 77,5 Prozent.

Entwicklung zwischen 2005 und 2015

Schon seit 2005 erweist sich die relative Verteilung der Einkommen in Deutschland auf verschiedenen in der Studie betrachteten Ebenen als sehr stabil und variiert phasenweise nur leicht. Für den Zeitraum von 2005/06 bis 2016 wird dies auch durch die im Rahmen des Sechsten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung gestützt.

Ein Kernergebnis ist, dass die positive Beschäftigungsentwicklung isoliert betrachtet zu einer Verringerung der Ungleichheit in den verfügbaren Haushaltseinkommen geführt hätte. Andere Faktoren, wie beispielsweise die erhöhte Migration nach 2010, haben diesem Effekt jedoch entgegengewirkt. Insgesamt führt dies dazu, dass die relative Einkommensungleichheit – gemessen am Gini-Koeffizienten – trotz der positiven gesamtwirtschaftlichen Situation insgesamt nahezu unverändert blieb. Der Gini-Koeffizient ist ein statistisches Standardmaß zur Messung der Ungleichheit einer Verteilung, der häufig zur Bestimmung von Einkommens- und Vermögensungleichheit eingesetzt wird. Er kann Werte zwischen 0 und 1 annehmen. Je höher der Wert, desto stärker ausgeprägt ist die gemessene Ungleichheit.

Zeitraum vor 2005 und weitere Ergebnisse

Die Studienautoren weisen aber auch darauf hin, dass für viele Kennzahlen im Vergleich zu den 1990er Jahren ein leicht höheres Niveau zu verzeichnen ist. Hierfür ist insbesondere die Zeit zwischen Ende der 90iger Jahre und Anfang der 2000er Jahre mit der damals hohen Arbeitslosigkeit verantwortlich. Diese hat tatsächlich zu sinkenden Arbeitseinkommen insbesondere bei den unteren Einkommensgruppen und damit zu einer Vergrößerung der Ungleichheit geführt.

Der Anteil der Haushalte mit positiven Zins- und Kapitaleinkommen ist seit 1991 kontinuierlich gesunken und lag 2018 noch bei 74 Prozent (87 Prozent in 1991). Demgegenüber ist der Anteil der Haushalte mit positiven Einkommen aus Vermietung und Verpachtung – zwar auf niedrigem Niveau - stetig gestiegen und lag 2018 bei rund zwölf Prozent der Bevölkerung.

Für die Entwicklung der durchschnittlichen Höhe der Arbeitseinkommen haben die Forscher mit der steigenden Teilzeitquote und der sogenannten Bildungsexpansion (Zunahme des Bildungsniveaus und insbesondere auch Rückgang des Anteils der niedrig Qualifizierten) im betrachteten Zeitraum weitere wesentliche Einflussfaktoren identifiziert.

Fazit

Von einer sich stetig vergrößernden relativen Einkommensungleichheit kann vor diesem Hintergrund nicht gesprochen werden – auch wenn das Niveau der Ungleichheit heute höher liegt als in 1990er Jahren. Die Jahre vor Ausbruch der Corona-Pandemie können insgesamt sogar als eine Periode starken Einkommenswachstums für nahezu alle betrachteten Bevölkerungs- und Einkommensgruppen betrachtet werden. Die Autoren der Studie bezeichnen sie zurecht als Phase inklusiven Wachstums. Es lässt sich also gerade nicht resümieren, dass Arme immer ärmer und Reiche immer reicher werden. Eine der spannenden Fragen für die Zukunft ist nun, wie sich die Corona-Pandemie auf die Verteilung auswirkt und wie Deutschland die entstandenen Herausforderungen meistert.

Ökonomische Analyse

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