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BAG: Ein durchgeführtes bEM hat kein „Mindesthaltbarkeits­datum“ von einem Jahr

Der Arbeitgeber hat grundsätzlich ein neuerliches betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) durchzuführen, wenn der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres nach Abschluss eines bEM erneut länger als sechs Wochen durchgängig oder wiederholt arbeitsunfähig erkrankt war.

Sachverhalt

Der Kläger war seit 2001 bei der Beklagten als Produktionshelfer beschäftigt. Ab 2017 erkrankte er mehrfach und für längere Zeit arbeitsunfähig. Seine krankheitsbedingten Fehltage beliefen sich dabei im Jahr 2017 auf 40 Arbeitstage, im Jahr 2018 auf 61 Arbeitstage und im Jahr 2019 auf 103 Arbeitstage. Nach einem im März 2019 durchgeführten bEM erkrankte der Kläger erneut an 79 Arbeitstagen arbeitsunfähig. Am 26. Februar 2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31. August 2020. Der Kläger erhob dagegen Kündigungsschutzklage und stütze diese insbesondere darauf, dass vor der Kündigung ein erneutes bEM hätte durchgeführt werden müssen. 

Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht gab dem Kläger recht, die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg. Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt und damit unwirksam, da die Beklagte nicht dargelegt hat, dass keine zumutbare Möglichkeit bestand, die Kündigung durch mildere Maßnahmen zu vermeiden. Hier sei gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX ein erneutes bEM geboten gewesen, um etwaige mildere Maßnahmen erkennen und entwickeln zu können, und zwar obwohl innerhalb eines zwölfmonatigen Zeitraums bereits ein bEM durchgeführt worden war. Ein einjähriges „Mindesthaltbarkeitsdatum“ eines durchgerührten bEM widerspräche dem Sinn und Zweck des § 167 Abs. 2 SGB IX. Es sei nicht ausgeschlossen, dass sich selbst innerhalb von nur sechs Wochen sowohl die Krankheitsursachen als auch die betrieblichen Umstände dergestalt ändern könnten, dass ein erneutes bEM zu einem anderen Ergebnis führen könnte. Die Beklagte hätte hier deshalb darlegen müssen, dass ein erneutes bEM von vornherein nutzlos gewesen wäre, was ihr jedoch nicht gelungen ist.

Bewertung

Das BAG räumt in seiner Entscheidung mit dem Gerücht auf, dass innerhalb eines zwölfmonatigen Zeitraums nur ein bEM durchgeführt werden müsse und entscheidet sich für eine weite Auslegung des § 167 Abs. 2 SGB IX. Es ist somit denkbar, dass bei wiederholter Erkrankung eines Arbeitnehmers für mehr als sechs Wochen mehrere bEM in einem Jahr durchzuführen sind, um bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung als Arbeitgeber darlegen zu können, dass eine krankheitsbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch mildere Maßnahmen vermeidbar war. Ein bEM-Gespräch ist dabei auch dann anzubieten, wenn der Arbeitnehmer vor seiner letzten längeren Krankheit – also unter Umständen erst wenige Wochen zuvor – die Durchführung eines bEM abgelehnt hat. Ob die vom BAG verlangte Häufung von bEM-Gesprächen in der Praxis neben der Erhöhung des organisatorischen und bürokratischen Aufwands auch zu mehr zielführenden Gesprächsergebnissen führt, bleibt abzuwarten.

Rechtsprechung

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